Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom litterarischen Jung-Elsaß

können natürlich nicht mehr in dem ihnen am meisten geläufigen Französisch
dichten, können aber ebenso wenig -- und wollen noch weniger! -- behufs
gründlicher ästhetischer, sprachlicher, litterarhistorischer Vertiefung das leidige
Deutsch benutzen: sie verfallen also, aus Elscissertum, aus Partikularismus,
auf den trefflichen Ausweg, die neutrale Mundart in Schwung zu bringen!
Dies ist geradezu der entscheidende Grund, der uns neben allem andern vollends
die starken außer" Erfolge der muntern Gruppe und ihres elsässischen Theaters
verstehn läßt. Auch die Bevölkerung ist für deutsche Kunst und derlei Schwowe-
dings noch nicht zu haben; einige aristokratischere Kreise Pflegen mit Zähigkeit
französische Litteratur und lassen die Werke von Rostand, Bourget, Loki u. a.
von Haus zu Haus wandern; die Masse aber, die im elsässischen Theatersaal
lacht und klatscht, ist eben der richtige demokratische Grundstock des jetzigen
Straßburgischen Bürgertums, des Bürgertums, das aus unreifem Jux den
Bebel wählt, das vom Schwob nichts wissen mag und, offen gestanden, sich
auch von den welschen hitzigen Nevanchemännle nicht allzu arg aufregen läßt,
wenn auch einmal einige betruukne Hitzköpfe die Marseillaise singen: kurz, die
richtigen "Elsässer, Surhab nix." Hier haben diese nicht eben sehr kunstsinnigen
Kreise so etwas wie eine spezifisch elsässische, eigens für fie zurechtgemachte
"Kunst" gefunden. Da zudem jene Gruppe überall in der Presse und in der
Bevölkerung, in Straßburg wie in Kolmar oder Mülhausen, ihre gemütlichen
Kaffeehaus- und Biertischfreunde hat, so ist mit spielerischer Leichtigkeit eine
laute Bewegung geschaffen worden, die noch auf eine Weile hinaus das Tages¬
interesse beschäftigen wird.

Und hier ist nun die Stelle, wo man zu direktem Tadel übergehn muß.
Es hat sich hierbei wieder einmal gezeigt, was man auch in München und
Berlin beobachten kann: wie leicht eine geschlossene Gruppe das Urteil der
Presse und andrer öffentlicher Organe täuschen und beeinflussen kann. Eine
der erfolgreichsten der lustigen Possen, die im elsässischen Theater zur Auffüh¬
rung kommen (gelegentlich untermischt mit naturalistischen Bildern wie Grebers
"Lucie" oder Hauß' "Danneholz"), war kürzlich "Der Maire" von dem auch
als unterhaltsamer Versdichter schon bekannten G. Stoskopf (Straßburg i. E.,
Verlag von Schlesier und Schweikhardt). Dies ist nun, daran kann kein
ästhetisch gebildeter, aber unbefangner Beurteiler zweifeln, eine mitunter ganz
geschickt, mitunter aber auch recht grob gemachte Posse, nichts weiter. Die
vortreffliche Gelegenheit, einen streberischer Maire, diese so bekannte elsässische
Figur, zu zeichnen und zum Typus zu vertiefen, hat Stoskopf nicht auszunützen
gewußt, weil er zwar über etlichen muntern Witz, aber über zu wenig Gemüts-
fttlle und Herzlichkeit verfügt, ästhetisch auch viel zu wenig ernst und durch¬
gebildet ist, was ja vielleicht noch kommen kann. Aber der Schwank, dessen
Hanpteffekt darin besteht, daß ein junger altdeutscher Gelehrter vom Bürger¬
meister als Tierinspektor behandelt, in allen Ställen herumgeschleppt und sonst
gefoppt wird, während ihm ein elsässischer Krümerssohn die Braut wegschnappt:


vom litterarischen Jung-Elsaß

können natürlich nicht mehr in dem ihnen am meisten geläufigen Französisch
dichten, können aber ebenso wenig — und wollen noch weniger! — behufs
gründlicher ästhetischer, sprachlicher, litterarhistorischer Vertiefung das leidige
Deutsch benutzen: sie verfallen also, aus Elscissertum, aus Partikularismus,
auf den trefflichen Ausweg, die neutrale Mundart in Schwung zu bringen!
Dies ist geradezu der entscheidende Grund, der uns neben allem andern vollends
die starken außer« Erfolge der muntern Gruppe und ihres elsässischen Theaters
verstehn läßt. Auch die Bevölkerung ist für deutsche Kunst und derlei Schwowe-
dings noch nicht zu haben; einige aristokratischere Kreise Pflegen mit Zähigkeit
französische Litteratur und lassen die Werke von Rostand, Bourget, Loki u. a.
von Haus zu Haus wandern; die Masse aber, die im elsässischen Theatersaal
lacht und klatscht, ist eben der richtige demokratische Grundstock des jetzigen
Straßburgischen Bürgertums, des Bürgertums, das aus unreifem Jux den
Bebel wählt, das vom Schwob nichts wissen mag und, offen gestanden, sich
auch von den welschen hitzigen Nevanchemännle nicht allzu arg aufregen läßt,
wenn auch einmal einige betruukne Hitzköpfe die Marseillaise singen: kurz, die
richtigen „Elsässer, Surhab nix." Hier haben diese nicht eben sehr kunstsinnigen
Kreise so etwas wie eine spezifisch elsässische, eigens für fie zurechtgemachte
„Kunst" gefunden. Da zudem jene Gruppe überall in der Presse und in der
Bevölkerung, in Straßburg wie in Kolmar oder Mülhausen, ihre gemütlichen
Kaffeehaus- und Biertischfreunde hat, so ist mit spielerischer Leichtigkeit eine
laute Bewegung geschaffen worden, die noch auf eine Weile hinaus das Tages¬
interesse beschäftigen wird.

Und hier ist nun die Stelle, wo man zu direktem Tadel übergehn muß.
Es hat sich hierbei wieder einmal gezeigt, was man auch in München und
Berlin beobachten kann: wie leicht eine geschlossene Gruppe das Urteil der
Presse und andrer öffentlicher Organe täuschen und beeinflussen kann. Eine
der erfolgreichsten der lustigen Possen, die im elsässischen Theater zur Auffüh¬
rung kommen (gelegentlich untermischt mit naturalistischen Bildern wie Grebers
„Lucie" oder Hauß' „Danneholz"), war kürzlich „Der Maire" von dem auch
als unterhaltsamer Versdichter schon bekannten G. Stoskopf (Straßburg i. E.,
Verlag von Schlesier und Schweikhardt). Dies ist nun, daran kann kein
ästhetisch gebildeter, aber unbefangner Beurteiler zweifeln, eine mitunter ganz
geschickt, mitunter aber auch recht grob gemachte Posse, nichts weiter. Die
vortreffliche Gelegenheit, einen streberischer Maire, diese so bekannte elsässische
Figur, zu zeichnen und zum Typus zu vertiefen, hat Stoskopf nicht auszunützen
gewußt, weil er zwar über etlichen muntern Witz, aber über zu wenig Gemüts-
fttlle und Herzlichkeit verfügt, ästhetisch auch viel zu wenig ernst und durch¬
gebildet ist, was ja vielleicht noch kommen kann. Aber der Schwank, dessen
Hanpteffekt darin besteht, daß ein junger altdeutscher Gelehrter vom Bürger¬
meister als Tierinspektor behandelt, in allen Ställen herumgeschleppt und sonst
gefoppt wird, während ihm ein elsässischer Krümerssohn die Braut wegschnappt:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230875"/>
          <fw type="header" place="top"> vom litterarischen Jung-Elsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486"> können natürlich nicht mehr in dem ihnen am meisten geläufigen Französisch<lb/>
dichten, können aber ebenso wenig &#x2014; und wollen noch weniger! &#x2014; behufs<lb/>
gründlicher ästhetischer, sprachlicher, litterarhistorischer Vertiefung das leidige<lb/>
Deutsch benutzen: sie verfallen also, aus Elscissertum, aus Partikularismus,<lb/>
auf den trefflichen Ausweg, die neutrale Mundart in Schwung zu bringen!<lb/>
Dies ist geradezu der entscheidende Grund, der uns neben allem andern vollends<lb/>
die starken außer« Erfolge der muntern Gruppe und ihres elsässischen Theaters<lb/>
verstehn läßt. Auch die Bevölkerung ist für deutsche Kunst und derlei Schwowe-<lb/>
dings noch nicht zu haben; einige aristokratischere Kreise Pflegen mit Zähigkeit<lb/>
französische Litteratur und lassen die Werke von Rostand, Bourget, Loki u. a.<lb/>
von Haus zu Haus wandern; die Masse aber, die im elsässischen Theatersaal<lb/>
lacht und klatscht, ist eben der richtige demokratische Grundstock des jetzigen<lb/>
Straßburgischen Bürgertums, des Bürgertums, das aus unreifem Jux den<lb/>
Bebel wählt, das vom Schwob nichts wissen mag und, offen gestanden, sich<lb/>
auch von den welschen hitzigen Nevanchemännle nicht allzu arg aufregen läßt,<lb/>
wenn auch einmal einige betruukne Hitzköpfe die Marseillaise singen: kurz, die<lb/>
richtigen &#x201E;Elsässer, Surhab nix." Hier haben diese nicht eben sehr kunstsinnigen<lb/>
Kreise so etwas wie eine spezifisch elsässische, eigens für fie zurechtgemachte<lb/>
&#x201E;Kunst" gefunden. Da zudem jene Gruppe überall in der Presse und in der<lb/>
Bevölkerung, in Straßburg wie in Kolmar oder Mülhausen, ihre gemütlichen<lb/>
Kaffeehaus- und Biertischfreunde hat, so ist mit spielerischer Leichtigkeit eine<lb/>
laute Bewegung geschaffen worden, die noch auf eine Weile hinaus das Tages¬<lb/>
interesse beschäftigen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1488" next="#ID_1489"> Und hier ist nun die Stelle, wo man zu direktem Tadel übergehn muß.<lb/>
Es hat sich hierbei wieder einmal gezeigt, was man auch in München und<lb/>
Berlin beobachten kann: wie leicht eine geschlossene Gruppe das Urteil der<lb/>
Presse und andrer öffentlicher Organe täuschen und beeinflussen kann. Eine<lb/>
der erfolgreichsten der lustigen Possen, die im elsässischen Theater zur Auffüh¬<lb/>
rung kommen (gelegentlich untermischt mit naturalistischen Bildern wie Grebers<lb/>
&#x201E;Lucie" oder Hauß' &#x201E;Danneholz"), war kürzlich &#x201E;Der Maire" von dem auch<lb/>
als unterhaltsamer Versdichter schon bekannten G. Stoskopf (Straßburg i. E.,<lb/>
Verlag von Schlesier und Schweikhardt). Dies ist nun, daran kann kein<lb/>
ästhetisch gebildeter, aber unbefangner Beurteiler zweifeln, eine mitunter ganz<lb/>
geschickt, mitunter aber auch recht grob gemachte Posse, nichts weiter. Die<lb/>
vortreffliche Gelegenheit, einen streberischer Maire, diese so bekannte elsässische<lb/>
Figur, zu zeichnen und zum Typus zu vertiefen, hat Stoskopf nicht auszunützen<lb/>
gewußt, weil er zwar über etlichen muntern Witz, aber über zu wenig Gemüts-<lb/>
fttlle und Herzlichkeit verfügt, ästhetisch auch viel zu wenig ernst und durch¬<lb/>
gebildet ist, was ja vielleicht noch kommen kann. Aber der Schwank, dessen<lb/>
Hanpteffekt darin besteht, daß ein junger altdeutscher Gelehrter vom Bürger¬<lb/>
meister als Tierinspektor behandelt, in allen Ställen herumgeschleppt und sonst<lb/>
gefoppt wird, während ihm ein elsässischer Krümerssohn die Braut wegschnappt:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] vom litterarischen Jung-Elsaß können natürlich nicht mehr in dem ihnen am meisten geläufigen Französisch dichten, können aber ebenso wenig — und wollen noch weniger! — behufs gründlicher ästhetischer, sprachlicher, litterarhistorischer Vertiefung das leidige Deutsch benutzen: sie verfallen also, aus Elscissertum, aus Partikularismus, auf den trefflichen Ausweg, die neutrale Mundart in Schwung zu bringen! Dies ist geradezu der entscheidende Grund, der uns neben allem andern vollends die starken außer« Erfolge der muntern Gruppe und ihres elsässischen Theaters verstehn läßt. Auch die Bevölkerung ist für deutsche Kunst und derlei Schwowe- dings noch nicht zu haben; einige aristokratischere Kreise Pflegen mit Zähigkeit französische Litteratur und lassen die Werke von Rostand, Bourget, Loki u. a. von Haus zu Haus wandern; die Masse aber, die im elsässischen Theatersaal lacht und klatscht, ist eben der richtige demokratische Grundstock des jetzigen Straßburgischen Bürgertums, des Bürgertums, das aus unreifem Jux den Bebel wählt, das vom Schwob nichts wissen mag und, offen gestanden, sich auch von den welschen hitzigen Nevanchemännle nicht allzu arg aufregen läßt, wenn auch einmal einige betruukne Hitzköpfe die Marseillaise singen: kurz, die richtigen „Elsässer, Surhab nix." Hier haben diese nicht eben sehr kunstsinnigen Kreise so etwas wie eine spezifisch elsässische, eigens für fie zurechtgemachte „Kunst" gefunden. Da zudem jene Gruppe überall in der Presse und in der Bevölkerung, in Straßburg wie in Kolmar oder Mülhausen, ihre gemütlichen Kaffeehaus- und Biertischfreunde hat, so ist mit spielerischer Leichtigkeit eine laute Bewegung geschaffen worden, die noch auf eine Weile hinaus das Tages¬ interesse beschäftigen wird. Und hier ist nun die Stelle, wo man zu direktem Tadel übergehn muß. Es hat sich hierbei wieder einmal gezeigt, was man auch in München und Berlin beobachten kann: wie leicht eine geschlossene Gruppe das Urteil der Presse und andrer öffentlicher Organe täuschen und beeinflussen kann. Eine der erfolgreichsten der lustigen Possen, die im elsässischen Theater zur Auffüh¬ rung kommen (gelegentlich untermischt mit naturalistischen Bildern wie Grebers „Lucie" oder Hauß' „Danneholz"), war kürzlich „Der Maire" von dem auch als unterhaltsamer Versdichter schon bekannten G. Stoskopf (Straßburg i. E., Verlag von Schlesier und Schweikhardt). Dies ist nun, daran kann kein ästhetisch gebildeter, aber unbefangner Beurteiler zweifeln, eine mitunter ganz geschickt, mitunter aber auch recht grob gemachte Posse, nichts weiter. Die vortreffliche Gelegenheit, einen streberischer Maire, diese so bekannte elsässische Figur, zu zeichnen und zum Typus zu vertiefen, hat Stoskopf nicht auszunützen gewußt, weil er zwar über etlichen muntern Witz, aber über zu wenig Gemüts- fttlle und Herzlichkeit verfügt, ästhetisch auch viel zu wenig ernst und durch¬ gebildet ist, was ja vielleicht noch kommen kann. Aber der Schwank, dessen Hanpteffekt darin besteht, daß ein junger altdeutscher Gelehrter vom Bürger¬ meister als Tierinspektor behandelt, in allen Ställen herumgeschleppt und sonst gefoppt wird, während ihm ein elsässischer Krümerssohn die Braut wegschnappt:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/443>, abgerufen am 28.09.2024.