Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den schwarzen Bergen

An dem Gasttische des Hotels zu Cetinje stiegen wieder einmal nach be¬
endigtem Essen die bläulichen Rauchwolken des montenegrinischen Tabaks in
die Höhe; der Kellner, ein martialisch aussehender Sohn des Landes, die
Pistole im Gürtel, ging eifrig herum und füllte die Gläser mit schwarzrotem
Tschermnizaer Wein, sowie die kleinern mit wasserklaren Näki (Pflaumenbrannt¬
wein), als der Doktor des Hospitals zu Cetinje, unser Gast, also zu sprechen
anhub: "Sie fragen, was jenes Bild dort an der Wand, der finster dahin-
reitende gewappnete Ritter inmitten der Hab und Gut schleppenden Bauern
und der klagenden Frauen mit den Kindern auf den Armen bedeute. Es
stellt eine traurige Episode unsrer, der serbischen Geschichte dar. Das große
Serbenreich, von Stephan Dnschan einst begründet, das vom Adriatischen,
Ionischen und Ägäischen Meere bespült wurde, ist soeben am 15. Juni 1389
in der Schlacht auf dem Amselfelde vernichtet worden; die Geschichte Serbiens,
kaum begonnen, verstummt aus vier Jahrhunderte. Nur von jenen Aus¬
wandrern, den Uskoken, erzählt sie uns noch, unabhängigen Männern, die sich
in ein trauriges und unwegsames Land, auf diese wilden montenegrinischen
Berge, auf ihren Ararat vor der heranstürmenden Sündflut von Islam und
.Knechtschaft retteten:

"Hier herrschte Balsa, ein Schwiegersohn jenes Zars Lazar, der gegen
die Türken Reich und Leben in der Schlacht auf dem Amselselde eingebüßt
hatte. Das Land hieß damals Zeta und war größer, als es heute ist, zu
ihm gehörten die fruchtbaren Länder am Skutarisee, wo man die Vertriebnen
Stammesgenossen freundlich aufnahm. Doch siebzig Jahre später hatten die
Türken den ganzen Südosten Europas überschwemmt. Tapfer kämpfend war
am Thore des heiligen Romanus, dem Westthore Stambuls, Konstantin XI.,
der letzte der Paläologen gefallen, und auf dem Hippodrom sah der ägyptische
Monolith Theodosius II., der einst Zeuge der Parteikämpfe des Zirkus und
der Niedermetzelung von dreißigtausend Grünen dnrch Belisars Schwert ge¬
wesen war, den asiatischen Feind in Sieges- und Glaubenshochmut wüten und die
welligen Kunstwerke des Altertums, die die Barbarei lateinischer Christen einst
übrig gelassen hatten, in den Staub sinken. Die Mosaiken auf Goldgrund in
der Hagia Sophia, die eben jene Christen schon vorher geplündert hatten, wurden
übertüncht und machten Koransprüchen Platz; auf der Hauptkuppel sank das
Kreuz vor einem riesigen bronzenen Halbmond, das Kruzifix wurde vom Altar


Grenzboten II 1899 S4
Aus den schwarzen Bergen

An dem Gasttische des Hotels zu Cetinje stiegen wieder einmal nach be¬
endigtem Essen die bläulichen Rauchwolken des montenegrinischen Tabaks in
die Höhe; der Kellner, ein martialisch aussehender Sohn des Landes, die
Pistole im Gürtel, ging eifrig herum und füllte die Gläser mit schwarzrotem
Tschermnizaer Wein, sowie die kleinern mit wasserklaren Näki (Pflaumenbrannt¬
wein), als der Doktor des Hospitals zu Cetinje, unser Gast, also zu sprechen
anhub: „Sie fragen, was jenes Bild dort an der Wand, der finster dahin-
reitende gewappnete Ritter inmitten der Hab und Gut schleppenden Bauern
und der klagenden Frauen mit den Kindern auf den Armen bedeute. Es
stellt eine traurige Episode unsrer, der serbischen Geschichte dar. Das große
Serbenreich, von Stephan Dnschan einst begründet, das vom Adriatischen,
Ionischen und Ägäischen Meere bespült wurde, ist soeben am 15. Juni 1389
in der Schlacht auf dem Amselfelde vernichtet worden; die Geschichte Serbiens,
kaum begonnen, verstummt aus vier Jahrhunderte. Nur von jenen Aus¬
wandrern, den Uskoken, erzählt sie uns noch, unabhängigen Männern, die sich
in ein trauriges und unwegsames Land, auf diese wilden montenegrinischen
Berge, auf ihren Ararat vor der heranstürmenden Sündflut von Islam und
.Knechtschaft retteten:

„Hier herrschte Balsa, ein Schwiegersohn jenes Zars Lazar, der gegen
die Türken Reich und Leben in der Schlacht auf dem Amselselde eingebüßt
hatte. Das Land hieß damals Zeta und war größer, als es heute ist, zu
ihm gehörten die fruchtbaren Länder am Skutarisee, wo man die Vertriebnen
Stammesgenossen freundlich aufnahm. Doch siebzig Jahre später hatten die
Türken den ganzen Südosten Europas überschwemmt. Tapfer kämpfend war
am Thore des heiligen Romanus, dem Westthore Stambuls, Konstantin XI.,
der letzte der Paläologen gefallen, und auf dem Hippodrom sah der ägyptische
Monolith Theodosius II., der einst Zeuge der Parteikämpfe des Zirkus und
der Niedermetzelung von dreißigtausend Grünen dnrch Belisars Schwert ge¬
wesen war, den asiatischen Feind in Sieges- und Glaubenshochmut wüten und die
welligen Kunstwerke des Altertums, die die Barbarei lateinischer Christen einst
übrig gelassen hatten, in den Staub sinken. Die Mosaiken auf Goldgrund in
der Hagia Sophia, die eben jene Christen schon vorher geplündert hatten, wurden
übertüncht und machten Koransprüchen Platz; auf der Hauptkuppel sank das
Kreuz vor einem riesigen bronzenen Halbmond, das Kruzifix wurde vom Altar


Grenzboten II 1899 S4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230865"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den schwarzen Bergen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> An dem Gasttische des Hotels zu Cetinje stiegen wieder einmal nach be¬<lb/>
endigtem Essen die bläulichen Rauchwolken des montenegrinischen Tabaks in<lb/>
die Höhe; der Kellner, ein martialisch aussehender Sohn des Landes, die<lb/>
Pistole im Gürtel, ging eifrig herum und füllte die Gläser mit schwarzrotem<lb/>
Tschermnizaer Wein, sowie die kleinern mit wasserklaren Näki (Pflaumenbrannt¬<lb/>
wein), als der Doktor des Hospitals zu Cetinje, unser Gast, also zu sprechen<lb/>
anhub: &#x201E;Sie fragen, was jenes Bild dort an der Wand, der finster dahin-<lb/>
reitende gewappnete Ritter inmitten der Hab und Gut schleppenden Bauern<lb/>
und der klagenden Frauen mit den Kindern auf den Armen bedeute. Es<lb/>
stellt eine traurige Episode unsrer, der serbischen Geschichte dar. Das große<lb/>
Serbenreich, von Stephan Dnschan einst begründet, das vom Adriatischen,<lb/>
Ionischen und Ägäischen Meere bespült wurde, ist soeben am 15. Juni 1389<lb/>
in der Schlacht auf dem Amselfelde vernichtet worden; die Geschichte Serbiens,<lb/>
kaum begonnen, verstummt aus vier Jahrhunderte. Nur von jenen Aus¬<lb/>
wandrern, den Uskoken, erzählt sie uns noch, unabhängigen Männern, die sich<lb/>
in ein trauriges und unwegsames Land, auf diese wilden montenegrinischen<lb/>
Berge, auf ihren Ararat vor der heranstürmenden Sündflut von Islam und<lb/>
.Knechtschaft retteten:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_15" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1458" next="#ID_1459"> &#x201E;Hier herrschte Balsa, ein Schwiegersohn jenes Zars Lazar, der gegen<lb/>
die Türken Reich und Leben in der Schlacht auf dem Amselselde eingebüßt<lb/>
hatte. Das Land hieß damals Zeta und war größer, als es heute ist, zu<lb/>
ihm gehörten die fruchtbaren Länder am Skutarisee, wo man die Vertriebnen<lb/>
Stammesgenossen freundlich aufnahm. Doch siebzig Jahre später hatten die<lb/>
Türken den ganzen Südosten Europas überschwemmt. Tapfer kämpfend war<lb/>
am Thore des heiligen Romanus, dem Westthore Stambuls, Konstantin XI.,<lb/>
der letzte der Paläologen gefallen, und auf dem Hippodrom sah der ägyptische<lb/>
Monolith Theodosius II., der einst Zeuge der Parteikämpfe des Zirkus und<lb/>
der Niedermetzelung von dreißigtausend Grünen dnrch Belisars Schwert ge¬<lb/>
wesen war, den asiatischen Feind in Sieges- und Glaubenshochmut wüten und die<lb/>
welligen Kunstwerke des Altertums, die die Barbarei lateinischer Christen einst<lb/>
übrig gelassen hatten, in den Staub sinken. Die Mosaiken auf Goldgrund in<lb/>
der Hagia Sophia, die eben jene Christen schon vorher geplündert hatten, wurden<lb/>
übertüncht und machten Koransprüchen Platz; auf der Hauptkuppel sank das<lb/>
Kreuz vor einem riesigen bronzenen Halbmond, das Kruzifix wurde vom Altar</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1899 S4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Aus den schwarzen Bergen An dem Gasttische des Hotels zu Cetinje stiegen wieder einmal nach be¬ endigtem Essen die bläulichen Rauchwolken des montenegrinischen Tabaks in die Höhe; der Kellner, ein martialisch aussehender Sohn des Landes, die Pistole im Gürtel, ging eifrig herum und füllte die Gläser mit schwarzrotem Tschermnizaer Wein, sowie die kleinern mit wasserklaren Näki (Pflaumenbrannt¬ wein), als der Doktor des Hospitals zu Cetinje, unser Gast, also zu sprechen anhub: „Sie fragen, was jenes Bild dort an der Wand, der finster dahin- reitende gewappnete Ritter inmitten der Hab und Gut schleppenden Bauern und der klagenden Frauen mit den Kindern auf den Armen bedeute. Es stellt eine traurige Episode unsrer, der serbischen Geschichte dar. Das große Serbenreich, von Stephan Dnschan einst begründet, das vom Adriatischen, Ionischen und Ägäischen Meere bespült wurde, ist soeben am 15. Juni 1389 in der Schlacht auf dem Amselfelde vernichtet worden; die Geschichte Serbiens, kaum begonnen, verstummt aus vier Jahrhunderte. Nur von jenen Aus¬ wandrern, den Uskoken, erzählt sie uns noch, unabhängigen Männern, die sich in ein trauriges und unwegsames Land, auf diese wilden montenegrinischen Berge, auf ihren Ararat vor der heranstürmenden Sündflut von Islam und .Knechtschaft retteten: „Hier herrschte Balsa, ein Schwiegersohn jenes Zars Lazar, der gegen die Türken Reich und Leben in der Schlacht auf dem Amselselde eingebüßt hatte. Das Land hieß damals Zeta und war größer, als es heute ist, zu ihm gehörten die fruchtbaren Länder am Skutarisee, wo man die Vertriebnen Stammesgenossen freundlich aufnahm. Doch siebzig Jahre später hatten die Türken den ganzen Südosten Europas überschwemmt. Tapfer kämpfend war am Thore des heiligen Romanus, dem Westthore Stambuls, Konstantin XI., der letzte der Paläologen gefallen, und auf dem Hippodrom sah der ägyptische Monolith Theodosius II., der einst Zeuge der Parteikämpfe des Zirkus und der Niedermetzelung von dreißigtausend Grünen dnrch Belisars Schwert ge¬ wesen war, den asiatischen Feind in Sieges- und Glaubenshochmut wüten und die welligen Kunstwerke des Altertums, die die Barbarei lateinischer Christen einst übrig gelassen hatten, in den Staub sinken. Die Mosaiken auf Goldgrund in der Hagia Sophia, die eben jene Christen schon vorher geplündert hatten, wurden übertüncht und machten Koransprüchen Platz; auf der Hauptkuppel sank das Kreuz vor einem riesigen bronzenen Halbmond, das Kruzifix wurde vom Altar Grenzboten II 1899 S4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/433>, abgerufen am 28.09.2024.