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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Lergeil

gedeihen, liegen weit entfernt, und die Tauschmittel zum Ankauf und Trans¬
port, die eine industrielle Bevölkerung aufzubringen vermöchte, fehlen dem fast
schornsteinlosen Cetinje sast gänzlich. Wer ernährt dann also diese überzählige
und noch dazu arbeitsscheue Bevölkerung, wenn nicht Malthus, dessen Lehre
die Nationalökonomie als ein xr?,."" ^ "it ihrer Wissenschaft ansieht, des
Irrtums geziehen werden soll?

Es ist leicht zu erraten, daß günstige politische Verhältnisse hier die Rolle
des Ernährers übernommen haben. Schon seit Jahrhunderten hatte die Diplo¬
matie Venedigs, Frankreichs und Österreichs in dem streitbaren Bergvvlke an
der türkischen Grenze einen wertvollen Sporn in der Flanke des ottomanischen
Reichs erkannt und diesen sorgfältig vergoldet. Weniger in türkenfeindlichem
als in eignem Interesse zahlt Osterreich heute 30000 Gulden jährlich zur Her¬
stellung von Chaussee", und die Regierung wartet gewöhnlich ein Hungerjahr
ab, den Straßenbau auszuführen. Besonders aber hat Rußland seit der Re¬
gierung seines großen Peters die innigsten, nur selten unterbrochner Be¬
ziehungen mit Montenegro unterhalten; die Kaserne wie die Schulen Cetinjes
sind mit russischem Gelde erbaut, Gewehre wie Korn sind Geschenke der Allein¬
herrscher des Winterpalastes an ihren "einzigen Freund," und auch das be¬
kannte geprägte Manna, das, von slawischer Diplomatenklugheit so meisterhaft
gehandhabt, wie die mit Gold beladnen Esel des Macedoniers Philipp, die
feindlichen Mauern von Kabul und Herat, von Lnhore und Peking, von Stambul
und Teheran übersteigt, regnet oft herunter auf die Freunde und Glaubens¬
genossen in der Tscheruagora, die nicht säen und nicht ernten, die aber der
göttliche Cäsar dort oben in den Newanebeln dennoch ernährt.

Auch das kleine Cetinjer Hospital, in der nordöstlichen Ecke des Städtchens,
in das uns Neugierde und Beruf bald führten, dankt den nordischen Freunden
seine Entstehung. Sein dirigierender Arzt, ein aus österreichischen Militär¬
diensten übergetretner Serbe, war öfters unser Gast im Hotel, und seine Unter-
haltnngsgnbe, von Belesenheit und guter Schulbildung unterstützt, verkürzte
uns manche Abendstunde in dem weltabgeschiedenen Städtchen. Grvßserbe, der
er war, sah er natürlich als Lsrvis. irröäönw alle die weiten Strecken der illy¬
rischen Halbinsel an, in denen die serbische Zunge erklingt, also außer dem
eigentlichen Serbien und Montenegro noch Shrmien, Nascien, das Baume,
Slavonien, Kroatien, Jstrien, Dalmatien, Bosnien, die Herzegowina und einen
Teil Macedoniens, Länder, denen nur ein neuer Nemcmjide wie Stephan
Dnschan zu erstehn brauchte, um sie ihren unrechtmäßigen Besitzern zu ent¬
reißen; auf das kleine Montenegro aber, sein Adoptivvaterlcmd, das sich nie
einem feindlichen Eroberer gebeugt hat, sah er in südslawischem Patriotismus
wie auf das Piemont der Balkanhalbinsel, um das sich die serbische Einheit
dermaleinst herumkrhstallisieren müsse.




Aus den schwarzen Lergeil

gedeihen, liegen weit entfernt, und die Tauschmittel zum Ankauf und Trans¬
port, die eine industrielle Bevölkerung aufzubringen vermöchte, fehlen dem fast
schornsteinlosen Cetinje sast gänzlich. Wer ernährt dann also diese überzählige
und noch dazu arbeitsscheue Bevölkerung, wenn nicht Malthus, dessen Lehre
die Nationalökonomie als ein xr?,.»« ^ «it ihrer Wissenschaft ansieht, des
Irrtums geziehen werden soll?

Es ist leicht zu erraten, daß günstige politische Verhältnisse hier die Rolle
des Ernährers übernommen haben. Schon seit Jahrhunderten hatte die Diplo¬
matie Venedigs, Frankreichs und Österreichs in dem streitbaren Bergvvlke an
der türkischen Grenze einen wertvollen Sporn in der Flanke des ottomanischen
Reichs erkannt und diesen sorgfältig vergoldet. Weniger in türkenfeindlichem
als in eignem Interesse zahlt Osterreich heute 30000 Gulden jährlich zur Her¬
stellung von Chaussee», und die Regierung wartet gewöhnlich ein Hungerjahr
ab, den Straßenbau auszuführen. Besonders aber hat Rußland seit der Re¬
gierung seines großen Peters die innigsten, nur selten unterbrochner Be¬
ziehungen mit Montenegro unterhalten; die Kaserne wie die Schulen Cetinjes
sind mit russischem Gelde erbaut, Gewehre wie Korn sind Geschenke der Allein¬
herrscher des Winterpalastes an ihren „einzigen Freund," und auch das be¬
kannte geprägte Manna, das, von slawischer Diplomatenklugheit so meisterhaft
gehandhabt, wie die mit Gold beladnen Esel des Macedoniers Philipp, die
feindlichen Mauern von Kabul und Herat, von Lnhore und Peking, von Stambul
und Teheran übersteigt, regnet oft herunter auf die Freunde und Glaubens¬
genossen in der Tscheruagora, die nicht säen und nicht ernten, die aber der
göttliche Cäsar dort oben in den Newanebeln dennoch ernährt.

Auch das kleine Cetinjer Hospital, in der nordöstlichen Ecke des Städtchens,
in das uns Neugierde und Beruf bald führten, dankt den nordischen Freunden
seine Entstehung. Sein dirigierender Arzt, ein aus österreichischen Militär¬
diensten übergetretner Serbe, war öfters unser Gast im Hotel, und seine Unter-
haltnngsgnbe, von Belesenheit und guter Schulbildung unterstützt, verkürzte
uns manche Abendstunde in dem weltabgeschiedenen Städtchen. Grvßserbe, der
er war, sah er natürlich als Lsrvis. irröäönw alle die weiten Strecken der illy¬
rischen Halbinsel an, in denen die serbische Zunge erklingt, also außer dem
eigentlichen Serbien und Montenegro noch Shrmien, Nascien, das Baume,
Slavonien, Kroatien, Jstrien, Dalmatien, Bosnien, die Herzegowina und einen
Teil Macedoniens, Länder, denen nur ein neuer Nemcmjide wie Stephan
Dnschan zu erstehn brauchte, um sie ihren unrechtmäßigen Besitzern zu ent¬
reißen; auf das kleine Montenegro aber, sein Adoptivvaterlcmd, das sich nie
einem feindlichen Eroberer gebeugt hat, sah er in südslawischem Patriotismus
wie auf das Piemont der Balkanhalbinsel, um das sich die serbische Einheit
dermaleinst herumkrhstallisieren müsse.




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[0432] Aus den schwarzen Lergeil gedeihen, liegen weit entfernt, und die Tauschmittel zum Ankauf und Trans¬ port, die eine industrielle Bevölkerung aufzubringen vermöchte, fehlen dem fast schornsteinlosen Cetinje sast gänzlich. Wer ernährt dann also diese überzählige und noch dazu arbeitsscheue Bevölkerung, wenn nicht Malthus, dessen Lehre die Nationalökonomie als ein xr?,.»« ^ «it ihrer Wissenschaft ansieht, des Irrtums geziehen werden soll? Es ist leicht zu erraten, daß günstige politische Verhältnisse hier die Rolle des Ernährers übernommen haben. Schon seit Jahrhunderten hatte die Diplo¬ matie Venedigs, Frankreichs und Österreichs in dem streitbaren Bergvvlke an der türkischen Grenze einen wertvollen Sporn in der Flanke des ottomanischen Reichs erkannt und diesen sorgfältig vergoldet. Weniger in türkenfeindlichem als in eignem Interesse zahlt Osterreich heute 30000 Gulden jährlich zur Her¬ stellung von Chaussee», und die Regierung wartet gewöhnlich ein Hungerjahr ab, den Straßenbau auszuführen. Besonders aber hat Rußland seit der Re¬ gierung seines großen Peters die innigsten, nur selten unterbrochner Be¬ ziehungen mit Montenegro unterhalten; die Kaserne wie die Schulen Cetinjes sind mit russischem Gelde erbaut, Gewehre wie Korn sind Geschenke der Allein¬ herrscher des Winterpalastes an ihren „einzigen Freund," und auch das be¬ kannte geprägte Manna, das, von slawischer Diplomatenklugheit so meisterhaft gehandhabt, wie die mit Gold beladnen Esel des Macedoniers Philipp, die feindlichen Mauern von Kabul und Herat, von Lnhore und Peking, von Stambul und Teheran übersteigt, regnet oft herunter auf die Freunde und Glaubens¬ genossen in der Tscheruagora, die nicht säen und nicht ernten, die aber der göttliche Cäsar dort oben in den Newanebeln dennoch ernährt. Auch das kleine Cetinjer Hospital, in der nordöstlichen Ecke des Städtchens, in das uns Neugierde und Beruf bald führten, dankt den nordischen Freunden seine Entstehung. Sein dirigierender Arzt, ein aus österreichischen Militär¬ diensten übergetretner Serbe, war öfters unser Gast im Hotel, und seine Unter- haltnngsgnbe, von Belesenheit und guter Schulbildung unterstützt, verkürzte uns manche Abendstunde in dem weltabgeschiedenen Städtchen. Grvßserbe, der er war, sah er natürlich als Lsrvis. irröäönw alle die weiten Strecken der illy¬ rischen Halbinsel an, in denen die serbische Zunge erklingt, also außer dem eigentlichen Serbien und Montenegro noch Shrmien, Nascien, das Baume, Slavonien, Kroatien, Jstrien, Dalmatien, Bosnien, die Herzegowina und einen Teil Macedoniens, Länder, denen nur ein neuer Nemcmjide wie Stephan Dnschan zu erstehn brauchte, um sie ihren unrechtmäßigen Besitzern zu ent¬ reißen; auf das kleine Montenegro aber, sein Adoptivvaterlcmd, das sich nie einem feindlichen Eroberer gebeugt hat, sah er in südslawischem Patriotismus wie auf das Piemont der Balkanhalbinsel, um das sich die serbische Einheit dermaleinst herumkrhstallisieren müsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/432>, abgerufen am 28.09.2024.