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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Handlung der Tiere hervortreten, hätten noch hinzugefügt werden müssen. Man
hätte dann erst sehen können, wie sich die hellen Seiten und die tiefen Schatten
im Charakter des Jtalieners recht deutlich von einander abheben, und wie scharf
der tiefe Unterschied auch den romanischen Schwestervölkern der Spanier und
Franzosen gegenüber hervortritt.

Noch eine andre Erscheinung im Leben Italiens hätte eingehender be¬
sprochen werden müssen: die Auswanderung, sowohl die für Jahre als die
jahreszeitlichen Züge über die Alpen und die Adria; beide führen jährlich viele
Hunderttausende aus dem Lande. Die italienische Auswanderung ist eine
wichtige Sache. Sie hat ähnlich wie die deutsche, die sie aber jetzt weit über¬
ragt, ohne jede Staatshilfe, ja ohne jede Spur politischer Absicht Kolonien
geschaffen, die eine ganz andre Zukunft haben als das zunächst noch ganz
künstliche Eriträci oder als etwa das vielersehnte Tripolitanien haben würde.
Man braucht noch nicht tief in das italienische Volksleben hineinzublicken, um
die Erweiterung des Horizonts und der Hilfsquellen wahrzunehmen, die durch
die Auswanderung nach Amerika bewirkt wird. Brasilien und die La Plata-
länder, die Vereinigten Staaten von Amerika, Nordafrika in seiner ganzen
Breite, der Orient und in geringerm Maße alle spanisch-amerikanischen Länder
der Neuen Welt nehmen einen sehr stark und regelmäßig gewordnen Strom
italienischer Auswandrer auf, die besonders dnrch zwei Eigenschaften für Italien
wichtig waren. Die Italiener bewahren in fremden Ländern ihre Nationalität
treu, viel treuer als die Deutschen, und sie kehren, wenn sie Erfolg gehabt haben,
zurück oder senden mindestens ihre Ersparnisse in die Heimat. So manche
milde Stiftung, manche dankende Denktafel verkündet den guten Gebrauch, den
zurückgekehrte Auswandrer von ihren Reichtümern machen, und die Millionen
der "Amerikaner" machen es erklärlicher, wie das Volk überhaupt die Last der
öffentliche" Abgaben aushält.

Dabei tritt gerade bei den italienischen Auswandreru der Typus eines
Volks deutlich heraus, dessen geschichtlicher Beruf mehr in der Geschicklichkeit,
Arbeitsamkeit, Bedürfnislosigkeit der Einzelnen, die unmerkliche Siege erringen,
als in der Durchführung großer Pläne mit der gesammelten Kraft des Volks
zu liegen scheint. In einer Zeit, wie der jetzigen, wo mit der ungeahnt raschen
Erweiterung des politischen Horizonts der Nutzen des Dreibunds immer
problematischer wird -- was ist er uns in China, in Samoa, in der Dcla-
goabai? --, ist gerade diese Thatsache geeignet, zur gründlichsten Prüfung der
Grundlagen und politischen Kraft des jungen Großstaats Italien aufzufordern.


F. R.


Handlung der Tiere hervortreten, hätten noch hinzugefügt werden müssen. Man
hätte dann erst sehen können, wie sich die hellen Seiten und die tiefen Schatten
im Charakter des Jtalieners recht deutlich von einander abheben, und wie scharf
der tiefe Unterschied auch den romanischen Schwestervölkern der Spanier und
Franzosen gegenüber hervortritt.

Noch eine andre Erscheinung im Leben Italiens hätte eingehender be¬
sprochen werden müssen: die Auswanderung, sowohl die für Jahre als die
jahreszeitlichen Züge über die Alpen und die Adria; beide führen jährlich viele
Hunderttausende aus dem Lande. Die italienische Auswanderung ist eine
wichtige Sache. Sie hat ähnlich wie die deutsche, die sie aber jetzt weit über¬
ragt, ohne jede Staatshilfe, ja ohne jede Spur politischer Absicht Kolonien
geschaffen, die eine ganz andre Zukunft haben als das zunächst noch ganz
künstliche Eriträci oder als etwa das vielersehnte Tripolitanien haben würde.
Man braucht noch nicht tief in das italienische Volksleben hineinzublicken, um
die Erweiterung des Horizonts und der Hilfsquellen wahrzunehmen, die durch
die Auswanderung nach Amerika bewirkt wird. Brasilien und die La Plata-
länder, die Vereinigten Staaten von Amerika, Nordafrika in seiner ganzen
Breite, der Orient und in geringerm Maße alle spanisch-amerikanischen Länder
der Neuen Welt nehmen einen sehr stark und regelmäßig gewordnen Strom
italienischer Auswandrer auf, die besonders dnrch zwei Eigenschaften für Italien
wichtig waren. Die Italiener bewahren in fremden Ländern ihre Nationalität
treu, viel treuer als die Deutschen, und sie kehren, wenn sie Erfolg gehabt haben,
zurück oder senden mindestens ihre Ersparnisse in die Heimat. So manche
milde Stiftung, manche dankende Denktafel verkündet den guten Gebrauch, den
zurückgekehrte Auswandrer von ihren Reichtümern machen, und die Millionen
der „Amerikaner" machen es erklärlicher, wie das Volk überhaupt die Last der
öffentliche» Abgaben aushält.

Dabei tritt gerade bei den italienischen Auswandreru der Typus eines
Volks deutlich heraus, dessen geschichtlicher Beruf mehr in der Geschicklichkeit,
Arbeitsamkeit, Bedürfnislosigkeit der Einzelnen, die unmerkliche Siege erringen,
als in der Durchführung großer Pläne mit der gesammelten Kraft des Volks
zu liegen scheint. In einer Zeit, wie der jetzigen, wo mit der ungeahnt raschen
Erweiterung des politischen Horizonts der Nutzen des Dreibunds immer
problematischer wird — was ist er uns in China, in Samoa, in der Dcla-
goabai? —, ist gerade diese Thatsache geeignet, zur gründlichsten Prüfung der
Grundlagen und politischen Kraft des jungen Großstaats Italien aufzufordern.


F. R.


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[0429] Handlung der Tiere hervortreten, hätten noch hinzugefügt werden müssen. Man hätte dann erst sehen können, wie sich die hellen Seiten und die tiefen Schatten im Charakter des Jtalieners recht deutlich von einander abheben, und wie scharf der tiefe Unterschied auch den romanischen Schwestervölkern der Spanier und Franzosen gegenüber hervortritt. Noch eine andre Erscheinung im Leben Italiens hätte eingehender be¬ sprochen werden müssen: die Auswanderung, sowohl die für Jahre als die jahreszeitlichen Züge über die Alpen und die Adria; beide führen jährlich viele Hunderttausende aus dem Lande. Die italienische Auswanderung ist eine wichtige Sache. Sie hat ähnlich wie die deutsche, die sie aber jetzt weit über¬ ragt, ohne jede Staatshilfe, ja ohne jede Spur politischer Absicht Kolonien geschaffen, die eine ganz andre Zukunft haben als das zunächst noch ganz künstliche Eriträci oder als etwa das vielersehnte Tripolitanien haben würde. Man braucht noch nicht tief in das italienische Volksleben hineinzublicken, um die Erweiterung des Horizonts und der Hilfsquellen wahrzunehmen, die durch die Auswanderung nach Amerika bewirkt wird. Brasilien und die La Plata- länder, die Vereinigten Staaten von Amerika, Nordafrika in seiner ganzen Breite, der Orient und in geringerm Maße alle spanisch-amerikanischen Länder der Neuen Welt nehmen einen sehr stark und regelmäßig gewordnen Strom italienischer Auswandrer auf, die besonders dnrch zwei Eigenschaften für Italien wichtig waren. Die Italiener bewahren in fremden Ländern ihre Nationalität treu, viel treuer als die Deutschen, und sie kehren, wenn sie Erfolg gehabt haben, zurück oder senden mindestens ihre Ersparnisse in die Heimat. So manche milde Stiftung, manche dankende Denktafel verkündet den guten Gebrauch, den zurückgekehrte Auswandrer von ihren Reichtümern machen, und die Millionen der „Amerikaner" machen es erklärlicher, wie das Volk überhaupt die Last der öffentliche» Abgaben aushält. Dabei tritt gerade bei den italienischen Auswandreru der Typus eines Volks deutlich heraus, dessen geschichtlicher Beruf mehr in der Geschicklichkeit, Arbeitsamkeit, Bedürfnislosigkeit der Einzelnen, die unmerkliche Siege erringen, als in der Durchführung großer Pläne mit der gesammelten Kraft des Volks zu liegen scheint. In einer Zeit, wie der jetzigen, wo mit der ungeahnt raschen Erweiterung des politischen Horizonts der Nutzen des Dreibunds immer problematischer wird — was ist er uns in China, in Samoa, in der Dcla- goabai? —, ist gerade diese Thatsache geeignet, zur gründlichsten Prüfung der Grundlagen und politischen Kraft des jungen Großstaats Italien aufzufordern. F. R.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/429>, abgerufen am 28.09.2024.