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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

und den Symbolisten. Es ist auch wahr, daß die Römer nicht um ethische
Güter zu beten pflegten. Das würden sie für sehr ungereimt gehalten haben;
denn das Rechte thun, ihre Pflicht erfüllen, betrachten sie ja eben als ihre
Sache; was sie von den Göttern verlangten, das war der Schutz vor äußer¬
lichen Nöten und Unfällen, die sie an der Pflichterfüllung hindern konnten.
Daß sie selbst tugendhaft, treu, gerecht und züchtig sein mußten, wenn ihre
Verehrung der Virtus, Fides, Justitia, Pndicitia"°) einen Sinn haben sollte,
davon sind sie doch sicherlich überzeugt gewesen. Und indem sie fest glaubten,
daß alle ihre Erfolge den Göttern zu danken seien, hatten sie eigentlich das
Wesentliche vom christlichen Begriff der Gnade. Dessen dogmatische Verfeine¬
rung erschließt zwar dem Forscher die tiefsten Tiefen der Seele, führt aber die
Grübler zu Folgerungen, die, von den Massen grob aufgefaßt, leicht gefährlich
werden. Es ist vollkommen wahr, daß wir ohne Gott das Gute nicht einmal
denken und wollen, geschweige denn thun können. Daraus folgt aber weiter,
daß wir -- das Gebet als den Ausdruck des ernstlichen Willens aufgefaßt --
ohne Gott auch nicht darum beten können. Und da entsteht denn die Frage:
Warum spendet Gott dem einen diesen Willen und verweigert ihn dem andern?
Damit steht man bei der entsetzlichen Frage von der Prädestination. Da ist
es denn doch der seelischen Gesundheit des Volkes zuträglicher, wenn alle über¬
zeugt sind, daß sie das größte aller göttlichen Geschenke, den Willen zum Guten,
schon haben, nicht mehr darum zu bitten, sondern bloß dafür zu danken haben,
und nur zu bitten brauchen, daß Gott die äußerlichen Hindernisse hinweg¬
räume. Insofern mutet uns die römische Religion nicht freundlich an, als
ihr die Menge ihrer Nitualvorschriften, die Peinlichkeit bei deren Beobachtung
und die Angst, die jedes Versehen dabei hervorrief, einen höchst unprotestan¬
tischen und unevangelischen Charakter und eine auffällige Ähnlichkeit mit dem
jüdischen Pharisäismus verleiht. Aber der katholischen Kirche, die gerade diesen
Charakter der strengen Legalität und des Zeremonienwesens von Judäa und
Rom geerbt hat, würde es schlecht einstehn, die alten Römer deshalb anzu¬
klagen, und die Protestanten haben nicht allein ihr Puritanertum, das an die
Stelle lästiger Vorschriften nicht minder lästige Verbote gesetzt hat, sondern
auch ihre weltliche Polizei und ihre militärische Disziplin im tiefsten Frieden.
Keines von diesen "Jochen" -- als ein solches bezeichnet Döllinger die römische



Virginia, die Tochter des Aulus, hatte den Konsul L, Nolnmnius, einen Plebejer, ge¬
heiratet. AIS sie an dein Opfer im Sncellum teilnehmen wollte, wurde sie von den patrizischen
Matronen ausgewiesen und von deren Kultusgcmeinschaft ausgeschlossen. Sie richtete nun einen
Teil ihres Hauses zum Saeellum ein, baute einen Altar, versammelte die plebejischen Matronen,
im neuen Heiligtum und redete sie an: "Diesen Altar weihe ich der t?v.al<ziti->, xlvdo^r; und ich
ermahne euch, daß ihr ebenso in der Keuschheit wetteifert wie unsre Männer in der Tapferkeit
wetteifern. Sorget also dafür, daß man von diesem Altar sage, er sei womöglich noch heiliger
und werde von noch Keuschem bedient als jener andre."
Der Römerstaat

und den Symbolisten. Es ist auch wahr, daß die Römer nicht um ethische
Güter zu beten pflegten. Das würden sie für sehr ungereimt gehalten haben;
denn das Rechte thun, ihre Pflicht erfüllen, betrachten sie ja eben als ihre
Sache; was sie von den Göttern verlangten, das war der Schutz vor äußer¬
lichen Nöten und Unfällen, die sie an der Pflichterfüllung hindern konnten.
Daß sie selbst tugendhaft, treu, gerecht und züchtig sein mußten, wenn ihre
Verehrung der Virtus, Fides, Justitia, Pndicitia"°) einen Sinn haben sollte,
davon sind sie doch sicherlich überzeugt gewesen. Und indem sie fest glaubten,
daß alle ihre Erfolge den Göttern zu danken seien, hatten sie eigentlich das
Wesentliche vom christlichen Begriff der Gnade. Dessen dogmatische Verfeine¬
rung erschließt zwar dem Forscher die tiefsten Tiefen der Seele, führt aber die
Grübler zu Folgerungen, die, von den Massen grob aufgefaßt, leicht gefährlich
werden. Es ist vollkommen wahr, daß wir ohne Gott das Gute nicht einmal
denken und wollen, geschweige denn thun können. Daraus folgt aber weiter,
daß wir — das Gebet als den Ausdruck des ernstlichen Willens aufgefaßt —
ohne Gott auch nicht darum beten können. Und da entsteht denn die Frage:
Warum spendet Gott dem einen diesen Willen und verweigert ihn dem andern?
Damit steht man bei der entsetzlichen Frage von der Prädestination. Da ist
es denn doch der seelischen Gesundheit des Volkes zuträglicher, wenn alle über¬
zeugt sind, daß sie das größte aller göttlichen Geschenke, den Willen zum Guten,
schon haben, nicht mehr darum zu bitten, sondern bloß dafür zu danken haben,
und nur zu bitten brauchen, daß Gott die äußerlichen Hindernisse hinweg¬
räume. Insofern mutet uns die römische Religion nicht freundlich an, als
ihr die Menge ihrer Nitualvorschriften, die Peinlichkeit bei deren Beobachtung
und die Angst, die jedes Versehen dabei hervorrief, einen höchst unprotestan¬
tischen und unevangelischen Charakter und eine auffällige Ähnlichkeit mit dem
jüdischen Pharisäismus verleiht. Aber der katholischen Kirche, die gerade diesen
Charakter der strengen Legalität und des Zeremonienwesens von Judäa und
Rom geerbt hat, würde es schlecht einstehn, die alten Römer deshalb anzu¬
klagen, und die Protestanten haben nicht allein ihr Puritanertum, das an die
Stelle lästiger Vorschriften nicht minder lästige Verbote gesetzt hat, sondern
auch ihre weltliche Polizei und ihre militärische Disziplin im tiefsten Frieden.
Keines von diesen „Jochen" — als ein solches bezeichnet Döllinger die römische



Virginia, die Tochter des Aulus, hatte den Konsul L, Nolnmnius, einen Plebejer, ge¬
heiratet. AIS sie an dein Opfer im Sncellum teilnehmen wollte, wurde sie von den patrizischen
Matronen ausgewiesen und von deren Kultusgcmeinschaft ausgeschlossen. Sie richtete nun einen
Teil ihres Hauses zum Saeellum ein, baute einen Altar, versammelte die plebejischen Matronen,
im neuen Heiligtum und redete sie an: „Diesen Altar weihe ich der t?v.al<ziti->, xlvdo^r; und ich
ermahne euch, daß ihr ebenso in der Keuschheit wetteifert wie unsre Männer in der Tapferkeit
wetteifern. Sorget also dafür, daß man von diesem Altar sage, er sei womöglich noch heiliger
und werde von noch Keuschem bedient als jener andre."
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[0367] Der Römerstaat und den Symbolisten. Es ist auch wahr, daß die Römer nicht um ethische Güter zu beten pflegten. Das würden sie für sehr ungereimt gehalten haben; denn das Rechte thun, ihre Pflicht erfüllen, betrachten sie ja eben als ihre Sache; was sie von den Göttern verlangten, das war der Schutz vor äußer¬ lichen Nöten und Unfällen, die sie an der Pflichterfüllung hindern konnten. Daß sie selbst tugendhaft, treu, gerecht und züchtig sein mußten, wenn ihre Verehrung der Virtus, Fides, Justitia, Pndicitia"°) einen Sinn haben sollte, davon sind sie doch sicherlich überzeugt gewesen. Und indem sie fest glaubten, daß alle ihre Erfolge den Göttern zu danken seien, hatten sie eigentlich das Wesentliche vom christlichen Begriff der Gnade. Dessen dogmatische Verfeine¬ rung erschließt zwar dem Forscher die tiefsten Tiefen der Seele, führt aber die Grübler zu Folgerungen, die, von den Massen grob aufgefaßt, leicht gefährlich werden. Es ist vollkommen wahr, daß wir ohne Gott das Gute nicht einmal denken und wollen, geschweige denn thun können. Daraus folgt aber weiter, daß wir — das Gebet als den Ausdruck des ernstlichen Willens aufgefaßt — ohne Gott auch nicht darum beten können. Und da entsteht denn die Frage: Warum spendet Gott dem einen diesen Willen und verweigert ihn dem andern? Damit steht man bei der entsetzlichen Frage von der Prädestination. Da ist es denn doch der seelischen Gesundheit des Volkes zuträglicher, wenn alle über¬ zeugt sind, daß sie das größte aller göttlichen Geschenke, den Willen zum Guten, schon haben, nicht mehr darum zu bitten, sondern bloß dafür zu danken haben, und nur zu bitten brauchen, daß Gott die äußerlichen Hindernisse hinweg¬ räume. Insofern mutet uns die römische Religion nicht freundlich an, als ihr die Menge ihrer Nitualvorschriften, die Peinlichkeit bei deren Beobachtung und die Angst, die jedes Versehen dabei hervorrief, einen höchst unprotestan¬ tischen und unevangelischen Charakter und eine auffällige Ähnlichkeit mit dem jüdischen Pharisäismus verleiht. Aber der katholischen Kirche, die gerade diesen Charakter der strengen Legalität und des Zeremonienwesens von Judäa und Rom geerbt hat, würde es schlecht einstehn, die alten Römer deshalb anzu¬ klagen, und die Protestanten haben nicht allein ihr Puritanertum, das an die Stelle lästiger Vorschriften nicht minder lästige Verbote gesetzt hat, sondern auch ihre weltliche Polizei und ihre militärische Disziplin im tiefsten Frieden. Keines von diesen „Jochen" — als ein solches bezeichnet Döllinger die römische Virginia, die Tochter des Aulus, hatte den Konsul L, Nolnmnius, einen Plebejer, ge¬ heiratet. AIS sie an dein Opfer im Sncellum teilnehmen wollte, wurde sie von den patrizischen Matronen ausgewiesen und von deren Kultusgcmeinschaft ausgeschlossen. Sie richtete nun einen Teil ihres Hauses zum Saeellum ein, baute einen Altar, versammelte die plebejischen Matronen, im neuen Heiligtum und redete sie an: „Diesen Altar weihe ich der t?v.al<ziti->, xlvdo^r; und ich ermahne euch, daß ihr ebenso in der Keuschheit wetteifert wie unsre Männer in der Tapferkeit wetteifern. Sorget also dafür, daß man von diesem Altar sage, er sei womöglich noch heiliger und werde von noch Keuschem bedient als jener andre."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/367>, abgerufen am 28.09.2024.