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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Das Thal zeigt ovale Form, ist vielleicht eine halbe Meile lang und eine
viertel Meile breit. Die Straße von Njegusch wird zur Hauptstraße Cetinjes,
durchschneidet die ganze etwa zweitausend Einwohner zählende Hauptstadt und
wird schließlich am Ostende durch ein stattliches graues, zweistöckiges Gebäude
wie von einem Querriegel abgeschlossen und von der ursprünglichen Richtung
abgelenkt. Dies ist der Gasthof der Stadt. Wer ins Innere weiter will, hat
hier Gelegenheit, sich noch einmal satt zu essen, oft denkt er dann wohl später
in stiller Dankbarkeit zurück an die einzige Oase, in der es Weißbrot und
Butter gab, und an das einzige Bett der Tschernagora, das so unbewohnt
war wie ihre Karstgipfel. Ehre dem Cetinjer Gasthause und seinem Tscherm-
nizaer Wein, selbst Reisende, wie der vom Athenäus erwähnte Archistrcitos,
der alle Gegenden der Welt "seines Magens wegen und der Dinge unterhalb
desselben" (r^x ^et<?7^on,' MLXtt Xttt rei^ z/"c?re^") bereiste, würde gegen
Küche und Keller hier nichts einzuwenden haben.

Rechts vom Hotel liegt das Posthaus, wo ein pistolenbewaffneter Beamter
so viele Briefmarken verkauft, als er hat, und dahinter ein hübsches Häuschen,
das ein einfaches Lesezimmer sowie ein kleines Theater enthält. Wenn wir
unsre Schritte zurückwenden und wieder die Hauptstraße kreuzen, so kommen
wir an einem Brunnen vorbei auf die Rue an l?auoc>urs' Le. Houorö von
Cetinje, an der dem Hause des englischen Gesandten*) gegenüber das Neue
Palais des Fürsten steht. Es hat Ähnlichkeit mit dem Landhause eines nord¬
deutschen Gutsbesitzers, hat, wie alle Häuser in Cetinje, zwei Stockwerke und
ist wie diese mit Ziegeln gedeckt. Schräg gegenüber steht der alte Palast, im
Volksmunde "das Billard" deswegen genannt, weil ein Vorgänger des jetzigen
Fürsten einst das erste Billard hier aufstellte, dessen schwieriger Transport
die gefährliche Leiter von Cattaro herauf das allgemeine Interesse der Bevölke¬
rung erregt hatte.

Zwischen dem alten und dem neuen Palast steht eine mächtige, dicht¬
belaubte Ulme, von einer Bank umgeben, auf der der Fürst sitzend mehrere
male in der Woche seinen Unterthanen Recht spricht, da er in Zivil- wie Straf¬
sachen letzte Appellationsinstanz ist. Montenegro ist meines Wissens das einzige
Land Europas, das ein väterlicher Despotismus regiert; wohl stehn dem Fürsten
ein Staatsrat mit einem Präsidenten und mehreren Mitgliedern sowie Minister
zur Seite, aber sie haben nur beratende Stimmen und tragen keinerlei Ver¬
antwortlichkeit. Hier heißt es nicht: "Der König kann nicht Unrecht thun,"
sondern "Was der König thut, ist recht." Selbst die "Stimme des Volkes."
"das Gewissen der Regierung," die Presse, ist nur durch ein Blatt, den Glas
Tschernagorza (Stimme des Montenegriners) vertreten, dessen Redakteur seinen



") Dem englischen Diplomaten Mr. Kennedy, der deutsche Unterthanen, deren Vaterland
in Cetinje keinen Vertreter hat, mit Rat und That unterstützte, um dieser Stelle meinen Dank!
Aus den schwarzen Bergen

Das Thal zeigt ovale Form, ist vielleicht eine halbe Meile lang und eine
viertel Meile breit. Die Straße von Njegusch wird zur Hauptstraße Cetinjes,
durchschneidet die ganze etwa zweitausend Einwohner zählende Hauptstadt und
wird schließlich am Ostende durch ein stattliches graues, zweistöckiges Gebäude
wie von einem Querriegel abgeschlossen und von der ursprünglichen Richtung
abgelenkt. Dies ist der Gasthof der Stadt. Wer ins Innere weiter will, hat
hier Gelegenheit, sich noch einmal satt zu essen, oft denkt er dann wohl später
in stiller Dankbarkeit zurück an die einzige Oase, in der es Weißbrot und
Butter gab, und an das einzige Bett der Tschernagora, das so unbewohnt
war wie ihre Karstgipfel. Ehre dem Cetinjer Gasthause und seinem Tscherm-
nizaer Wein, selbst Reisende, wie der vom Athenäus erwähnte Archistrcitos,
der alle Gegenden der Welt „seines Magens wegen und der Dinge unterhalb
desselben" (r^x ^et<?7^on,' MLXtt Xttt rei^ z/«c?re^«) bereiste, würde gegen
Küche und Keller hier nichts einzuwenden haben.

Rechts vom Hotel liegt das Posthaus, wo ein pistolenbewaffneter Beamter
so viele Briefmarken verkauft, als er hat, und dahinter ein hübsches Häuschen,
das ein einfaches Lesezimmer sowie ein kleines Theater enthält. Wenn wir
unsre Schritte zurückwenden und wieder die Hauptstraße kreuzen, so kommen
wir an einem Brunnen vorbei auf die Rue an l?auoc>urs' Le. Houorö von
Cetinje, an der dem Hause des englischen Gesandten*) gegenüber das Neue
Palais des Fürsten steht. Es hat Ähnlichkeit mit dem Landhause eines nord¬
deutschen Gutsbesitzers, hat, wie alle Häuser in Cetinje, zwei Stockwerke und
ist wie diese mit Ziegeln gedeckt. Schräg gegenüber steht der alte Palast, im
Volksmunde „das Billard" deswegen genannt, weil ein Vorgänger des jetzigen
Fürsten einst das erste Billard hier aufstellte, dessen schwieriger Transport
die gefährliche Leiter von Cattaro herauf das allgemeine Interesse der Bevölke¬
rung erregt hatte.

Zwischen dem alten und dem neuen Palast steht eine mächtige, dicht¬
belaubte Ulme, von einer Bank umgeben, auf der der Fürst sitzend mehrere
male in der Woche seinen Unterthanen Recht spricht, da er in Zivil- wie Straf¬
sachen letzte Appellationsinstanz ist. Montenegro ist meines Wissens das einzige
Land Europas, das ein väterlicher Despotismus regiert; wohl stehn dem Fürsten
ein Staatsrat mit einem Präsidenten und mehreren Mitgliedern sowie Minister
zur Seite, aber sie haben nur beratende Stimmen und tragen keinerlei Ver¬
antwortlichkeit. Hier heißt es nicht: „Der König kann nicht Unrecht thun,"
sondern „Was der König thut, ist recht." Selbst die „Stimme des Volkes."
„das Gewissen der Regierung," die Presse, ist nur durch ein Blatt, den Glas
Tschernagorza (Stimme des Montenegriners) vertreten, dessen Redakteur seinen



") Dem englischen Diplomaten Mr. Kennedy, der deutsche Unterthanen, deren Vaterland
in Cetinje keinen Vertreter hat, mit Rat und That unterstützte, um dieser Stelle meinen Dank!
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[0357] Aus den schwarzen Bergen Das Thal zeigt ovale Form, ist vielleicht eine halbe Meile lang und eine viertel Meile breit. Die Straße von Njegusch wird zur Hauptstraße Cetinjes, durchschneidet die ganze etwa zweitausend Einwohner zählende Hauptstadt und wird schließlich am Ostende durch ein stattliches graues, zweistöckiges Gebäude wie von einem Querriegel abgeschlossen und von der ursprünglichen Richtung abgelenkt. Dies ist der Gasthof der Stadt. Wer ins Innere weiter will, hat hier Gelegenheit, sich noch einmal satt zu essen, oft denkt er dann wohl später in stiller Dankbarkeit zurück an die einzige Oase, in der es Weißbrot und Butter gab, und an das einzige Bett der Tschernagora, das so unbewohnt war wie ihre Karstgipfel. Ehre dem Cetinjer Gasthause und seinem Tscherm- nizaer Wein, selbst Reisende, wie der vom Athenäus erwähnte Archistrcitos, der alle Gegenden der Welt „seines Magens wegen und der Dinge unterhalb desselben" (r^x ^et<?7^on,' MLXtt Xttt rei^ z/«c?re^«) bereiste, würde gegen Küche und Keller hier nichts einzuwenden haben. Rechts vom Hotel liegt das Posthaus, wo ein pistolenbewaffneter Beamter so viele Briefmarken verkauft, als er hat, und dahinter ein hübsches Häuschen, das ein einfaches Lesezimmer sowie ein kleines Theater enthält. Wenn wir unsre Schritte zurückwenden und wieder die Hauptstraße kreuzen, so kommen wir an einem Brunnen vorbei auf die Rue an l?auoc>urs' Le. Houorö von Cetinje, an der dem Hause des englischen Gesandten*) gegenüber das Neue Palais des Fürsten steht. Es hat Ähnlichkeit mit dem Landhause eines nord¬ deutschen Gutsbesitzers, hat, wie alle Häuser in Cetinje, zwei Stockwerke und ist wie diese mit Ziegeln gedeckt. Schräg gegenüber steht der alte Palast, im Volksmunde „das Billard" deswegen genannt, weil ein Vorgänger des jetzigen Fürsten einst das erste Billard hier aufstellte, dessen schwieriger Transport die gefährliche Leiter von Cattaro herauf das allgemeine Interesse der Bevölke¬ rung erregt hatte. Zwischen dem alten und dem neuen Palast steht eine mächtige, dicht¬ belaubte Ulme, von einer Bank umgeben, auf der der Fürst sitzend mehrere male in der Woche seinen Unterthanen Recht spricht, da er in Zivil- wie Straf¬ sachen letzte Appellationsinstanz ist. Montenegro ist meines Wissens das einzige Land Europas, das ein väterlicher Despotismus regiert; wohl stehn dem Fürsten ein Staatsrat mit einem Präsidenten und mehreren Mitgliedern sowie Minister zur Seite, aber sie haben nur beratende Stimmen und tragen keinerlei Ver¬ antwortlichkeit. Hier heißt es nicht: „Der König kann nicht Unrecht thun," sondern „Was der König thut, ist recht." Selbst die „Stimme des Volkes." „das Gewissen der Regierung," die Presse, ist nur durch ein Blatt, den Glas Tschernagorza (Stimme des Montenegriners) vertreten, dessen Redakteur seinen ") Dem englischen Diplomaten Mr. Kennedy, der deutsche Unterthanen, deren Vaterland in Cetinje keinen Vertreter hat, mit Rat und That unterstützte, um dieser Stelle meinen Dank!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/357>, abgerufen am 28.09.2024.