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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

knüpft, an das Tiefblau des Meeresarmes. Die Straße steigt immer noch in
Windungen aufwärts, dann biegt sie langsamer sich hebend in eine Schlucht
zwischen den Bergen Kerstatsch und Lowtschen hinein, noch ein Blick zurück auf
den lachenden Fjord, und ein andrer vorwärts überzeugt uns, daß wir jetzt
wirklich in Montenegro sind.

Man stelle sich ein großes Felsenbassin vor, das rings von grauem,
kahlem Kalkgestein umgeben ist, den Boden bedeckt mit glatten, mächtigen Fels¬
blöcken, kaum daß irgend eine verkümmerte Eiche oder Buche die Lokalfarbe
(die nicht schwarz, sondern grauweißlich ist) unterbricht, ein Steinmeer, das
auf eines Höhern Gebot plötzlich ins Feste, Starre, Tote metamorphosiert
wurde, zersägte Berggrate, den Kessel überragend, Schlünde, Abgründe, Do¬
lmen, dazwischen hie und da, wie als ob Mutter Natur sich ihrer Dürre und
Nacktheit schäme, Fetzen angebauten Landes, ein Maisfeld wie ein Handtuch,
ein Kartoffelfeld wie ein Bettlaken groß, von Wasser keine Spur, nicht einmal
die ausgetrockneten Rinnen, das ist der erste Eindruck des Hochlands, das ist
der wahre, echte Karst, wie wir ihn vierzehn Tage lang nicht aus den Augen
verlieren sollten, das ist die Umgebung des ersten montenegrinischen Dorfes,
Njegusch, aus dem die jetzige fürstliche Dynastie der Petrowitsch-Njegusch Ur¬
sprung und Namen genommen hat!

Der Weg läßt links neben sich ein freundliches Landhaus mit grünen
Fensterjalousien liegen, den Sommerlustsitz des Fürsten dieser Einöde, und
windet sich dann am Golo Berto, einer hohen Felskante, in die Höhe, die bis
zu 1200 Metern aufragend das Kesselthal Njegusch von dem Cetinjes
trennt. Die Schatten der Nacht hatten sich schon auf Berg und Thal gesenkt,
als wir die Paßhöhe erklommen und Pferden und Kutscher eine kurze Rast
gönnten. Der brave Morlcckke hatte anscheinend von der Rast einen guten
Gebrauch gemacht; denn als er ins Freie kam, erklärte er mit einem Mute,
der vorher nicht auffällig war, er fürchte sich vor keinem Montenegriner, wenn
er auch noch so weite Hosen hätte, noch so viele Aatagans und Handschccks
und silberbeschlagne Revolver im Gürtel trüge. Es schien demnach geraten,
sich zu ihm auf den Bock zu setzen, damit das Übermaß seiner Energie ihn
nicht etwa in den großartigen Serpentinen, die in das Cetinjer Feld herunter¬
fuhren, zu unnötigen Bravourstücken verleitete -- eine Vorsicht, die nicht un¬
angebracht war. Wilder und steiler führt der geschlängelte Weg hinunter ins
Thal, wie die berühmte grusinische Heerstraße im Kaukasus vom Gipfel des
Kreuzbergs hinunter nach Transkaukasien, und lächelnd muß ich daran denken,
daß ich auch damals auf dem Bocke sitzend den Ossetenkutscher, den das ge¬
nossene gebrannte Wässerchen zum Schlafen einlud, durch lautes Brüllen (in
Ermanglung von Russisch) aus Morpheus Armen und mich aus den Wassern
der brausenden Aragwa zu retten suchte.

Am Boden einer zweiten punschbowlenförmigen Einsenkung liegt Cetinje


Aus den schwarzen Bergen

knüpft, an das Tiefblau des Meeresarmes. Die Straße steigt immer noch in
Windungen aufwärts, dann biegt sie langsamer sich hebend in eine Schlucht
zwischen den Bergen Kerstatsch und Lowtschen hinein, noch ein Blick zurück auf
den lachenden Fjord, und ein andrer vorwärts überzeugt uns, daß wir jetzt
wirklich in Montenegro sind.

Man stelle sich ein großes Felsenbassin vor, das rings von grauem,
kahlem Kalkgestein umgeben ist, den Boden bedeckt mit glatten, mächtigen Fels¬
blöcken, kaum daß irgend eine verkümmerte Eiche oder Buche die Lokalfarbe
(die nicht schwarz, sondern grauweißlich ist) unterbricht, ein Steinmeer, das
auf eines Höhern Gebot plötzlich ins Feste, Starre, Tote metamorphosiert
wurde, zersägte Berggrate, den Kessel überragend, Schlünde, Abgründe, Do¬
lmen, dazwischen hie und da, wie als ob Mutter Natur sich ihrer Dürre und
Nacktheit schäme, Fetzen angebauten Landes, ein Maisfeld wie ein Handtuch,
ein Kartoffelfeld wie ein Bettlaken groß, von Wasser keine Spur, nicht einmal
die ausgetrockneten Rinnen, das ist der erste Eindruck des Hochlands, das ist
der wahre, echte Karst, wie wir ihn vierzehn Tage lang nicht aus den Augen
verlieren sollten, das ist die Umgebung des ersten montenegrinischen Dorfes,
Njegusch, aus dem die jetzige fürstliche Dynastie der Petrowitsch-Njegusch Ur¬
sprung und Namen genommen hat!

Der Weg läßt links neben sich ein freundliches Landhaus mit grünen
Fensterjalousien liegen, den Sommerlustsitz des Fürsten dieser Einöde, und
windet sich dann am Golo Berto, einer hohen Felskante, in die Höhe, die bis
zu 1200 Metern aufragend das Kesselthal Njegusch von dem Cetinjes
trennt. Die Schatten der Nacht hatten sich schon auf Berg und Thal gesenkt,
als wir die Paßhöhe erklommen und Pferden und Kutscher eine kurze Rast
gönnten. Der brave Morlcckke hatte anscheinend von der Rast einen guten
Gebrauch gemacht; denn als er ins Freie kam, erklärte er mit einem Mute,
der vorher nicht auffällig war, er fürchte sich vor keinem Montenegriner, wenn
er auch noch so weite Hosen hätte, noch so viele Aatagans und Handschccks
und silberbeschlagne Revolver im Gürtel trüge. Es schien demnach geraten,
sich zu ihm auf den Bock zu setzen, damit das Übermaß seiner Energie ihn
nicht etwa in den großartigen Serpentinen, die in das Cetinjer Feld herunter¬
fuhren, zu unnötigen Bravourstücken verleitete — eine Vorsicht, die nicht un¬
angebracht war. Wilder und steiler führt der geschlängelte Weg hinunter ins
Thal, wie die berühmte grusinische Heerstraße im Kaukasus vom Gipfel des
Kreuzbergs hinunter nach Transkaukasien, und lächelnd muß ich daran denken,
daß ich auch damals auf dem Bocke sitzend den Ossetenkutscher, den das ge¬
nossene gebrannte Wässerchen zum Schlafen einlud, durch lautes Brüllen (in
Ermanglung von Russisch) aus Morpheus Armen und mich aus den Wassern
der brausenden Aragwa zu retten suchte.

Am Boden einer zweiten punschbowlenförmigen Einsenkung liegt Cetinje


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[0356] Aus den schwarzen Bergen knüpft, an das Tiefblau des Meeresarmes. Die Straße steigt immer noch in Windungen aufwärts, dann biegt sie langsamer sich hebend in eine Schlucht zwischen den Bergen Kerstatsch und Lowtschen hinein, noch ein Blick zurück auf den lachenden Fjord, und ein andrer vorwärts überzeugt uns, daß wir jetzt wirklich in Montenegro sind. Man stelle sich ein großes Felsenbassin vor, das rings von grauem, kahlem Kalkgestein umgeben ist, den Boden bedeckt mit glatten, mächtigen Fels¬ blöcken, kaum daß irgend eine verkümmerte Eiche oder Buche die Lokalfarbe (die nicht schwarz, sondern grauweißlich ist) unterbricht, ein Steinmeer, das auf eines Höhern Gebot plötzlich ins Feste, Starre, Tote metamorphosiert wurde, zersägte Berggrate, den Kessel überragend, Schlünde, Abgründe, Do¬ lmen, dazwischen hie und da, wie als ob Mutter Natur sich ihrer Dürre und Nacktheit schäme, Fetzen angebauten Landes, ein Maisfeld wie ein Handtuch, ein Kartoffelfeld wie ein Bettlaken groß, von Wasser keine Spur, nicht einmal die ausgetrockneten Rinnen, das ist der erste Eindruck des Hochlands, das ist der wahre, echte Karst, wie wir ihn vierzehn Tage lang nicht aus den Augen verlieren sollten, das ist die Umgebung des ersten montenegrinischen Dorfes, Njegusch, aus dem die jetzige fürstliche Dynastie der Petrowitsch-Njegusch Ur¬ sprung und Namen genommen hat! Der Weg läßt links neben sich ein freundliches Landhaus mit grünen Fensterjalousien liegen, den Sommerlustsitz des Fürsten dieser Einöde, und windet sich dann am Golo Berto, einer hohen Felskante, in die Höhe, die bis zu 1200 Metern aufragend das Kesselthal Njegusch von dem Cetinjes trennt. Die Schatten der Nacht hatten sich schon auf Berg und Thal gesenkt, als wir die Paßhöhe erklommen und Pferden und Kutscher eine kurze Rast gönnten. Der brave Morlcckke hatte anscheinend von der Rast einen guten Gebrauch gemacht; denn als er ins Freie kam, erklärte er mit einem Mute, der vorher nicht auffällig war, er fürchte sich vor keinem Montenegriner, wenn er auch noch so weite Hosen hätte, noch so viele Aatagans und Handschccks und silberbeschlagne Revolver im Gürtel trüge. Es schien demnach geraten, sich zu ihm auf den Bock zu setzen, damit das Übermaß seiner Energie ihn nicht etwa in den großartigen Serpentinen, die in das Cetinjer Feld herunter¬ fuhren, zu unnötigen Bravourstücken verleitete — eine Vorsicht, die nicht un¬ angebracht war. Wilder und steiler führt der geschlängelte Weg hinunter ins Thal, wie die berühmte grusinische Heerstraße im Kaukasus vom Gipfel des Kreuzbergs hinunter nach Transkaukasien, und lächelnd muß ich daran denken, daß ich auch damals auf dem Bocke sitzend den Ossetenkutscher, den das ge¬ nossene gebrannte Wässerchen zum Schlafen einlud, durch lautes Brüllen (in Ermanglung von Russisch) aus Morpheus Armen und mich aus den Wassern der brausenden Aragwa zu retten suchte. Am Boden einer zweiten punschbowlenförmigen Einsenkung liegt Cetinje

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/356>, abgerufen am 28.09.2024.