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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Litterarisches Lebe" am Rhein

die Eisenbahn gefügt wurde. Oben links auf dem Felsen steht ein neues
Gebäude im gotischen Stile. Sei mir gegrüßt, freundliche Marienburg mit
deinen gastlichen Besitzern! Heute kann ich dich nicht besteigen und mir das
muntre Gespräch, die hübschen Geigen- und Picmosonaten und den duftigen
Obercmmeler zu Gemüte führen. Gleich unterhalb, wo das Thal sich öffnet,
welches den Arsbach aus der waldigen Schlucht des an glänzenden Fernsichten
reichen Scheidskopfes bringt, schwenke ich mich links. Dort liegt in frisch an¬
gelegtem Garten ein neues blankes Haus. Das ist Herresberg.

"Hier wohnt Gustav Pfarrius, der Poet des "Nahthals", der "Wald¬
lieder", eines Bündchens "Gedichte", der Erzählungen: "Zwischen Soonwald
und Westlich" und "Schein und Sein". Avr iriulta, sha nMwin. Wer diese
Bücher mit Muße durchnippt, wird ihnen vielfache Genüsse danken und den
Dichter herzlich lieben lernen, denn es offenbart sich in ihnen ein feiner Geist,
eine reiche Erfahrung, eine liebenswürdige Weltanschauung und ein heitrer
Humor, die sich stets reinster und edelster Formen bedienen. Wenn der
Grundton der lyrischen Dichtungen auch in der Reflexion besteht, so hat
Pfarrius doch auch häufig eiuen charmanter flugbaren Liederzug. Und so
verdiente er im allgemeinen bekannter zu sein, als er es in der That ist. Seltsam
genng haben die Franzosen seine Novellen mit Vorliebe übersetzt, während sie
von unsern Landsleuten verhältnismäßig wenig gelesen worden sind. Glück¬
licherweise deklamiert man in der Schule und singt in heitrer Gesellschaft
einzelne seiner Gedichte mit wahrem Vergnügen. "Der Trunk aus dem Stiefel"
gehört zu meinen Lieblingsballaden. Und ganz allerliebst ist das Lied auf den
"Siebenundfünfziger", das in den Weinlauben lange Zeit in allen Kehlen war
und dem Dichter manche köstliche Flasche von Rhein und Mosel einbrachte,
die ihm von den Verehrern seiner Muse anonym, aber mit berühmt klingender
Etikette zugesandt wurde. Vielleicht, dachte ich, liegt noch die eine oder andre
im Keller zu Herresberg und kehrte ein. Ich traf den gemütvollen liebens¬
würdigen Freund, der einst seines Zeichens ein Theologe war, dann Erzieher
der Jugend zu Köln am dortigen Friedrich Wilhelms-Gymnasium wurde und
erst vor kurzem seine Stelle aufgegeben hat, im Kreise seiner freundlichen
Frau und seiner blühenden Kinder. Der erwünschte Trank stand bald auf
dem Tische der Terrasse, wo man einen herrlichen Blick auf den Rhein hat,
und wir sangen das Lied des Dichters:

"Und als wir gesungen hatten, da plauderten wir noch lange über dies
und das, was in der Zeit und in der Luft lag, denn es plaudert sich eben
ganz allerliebst mit dem Dichter, der ein trefflicher, gerader, grundbraver und
neidloser und guter Mensch ist.

"Aber ich darf mich nicht zu lange verweilen, denn ich habe noch einen weiten
Weg vor mir. Der Freund giebt mir das Geleite bis an die Fähre von Unkel.
Ich rufe: "Hol über!", ein Schiffer rudert mich auf die rechte Rheinseite. Im
Boot gedenke ich eines andern poetischen Genossen, der vor fünfundzwanzig
Jahren dort in dem gelben Hause am Ufer des Rheins wohnte. Freilich


Litterarisches Lebe» am Rhein

die Eisenbahn gefügt wurde. Oben links auf dem Felsen steht ein neues
Gebäude im gotischen Stile. Sei mir gegrüßt, freundliche Marienburg mit
deinen gastlichen Besitzern! Heute kann ich dich nicht besteigen und mir das
muntre Gespräch, die hübschen Geigen- und Picmosonaten und den duftigen
Obercmmeler zu Gemüte führen. Gleich unterhalb, wo das Thal sich öffnet,
welches den Arsbach aus der waldigen Schlucht des an glänzenden Fernsichten
reichen Scheidskopfes bringt, schwenke ich mich links. Dort liegt in frisch an¬
gelegtem Garten ein neues blankes Haus. Das ist Herresberg.

„Hier wohnt Gustav Pfarrius, der Poet des »Nahthals«, der »Wald¬
lieder«, eines Bündchens »Gedichte«, der Erzählungen: »Zwischen Soonwald
und Westlich« und »Schein und Sein«. Avr iriulta, sha nMwin. Wer diese
Bücher mit Muße durchnippt, wird ihnen vielfache Genüsse danken und den
Dichter herzlich lieben lernen, denn es offenbart sich in ihnen ein feiner Geist,
eine reiche Erfahrung, eine liebenswürdige Weltanschauung und ein heitrer
Humor, die sich stets reinster und edelster Formen bedienen. Wenn der
Grundton der lyrischen Dichtungen auch in der Reflexion besteht, so hat
Pfarrius doch auch häufig eiuen charmanter flugbaren Liederzug. Und so
verdiente er im allgemeinen bekannter zu sein, als er es in der That ist. Seltsam
genng haben die Franzosen seine Novellen mit Vorliebe übersetzt, während sie
von unsern Landsleuten verhältnismäßig wenig gelesen worden sind. Glück¬
licherweise deklamiert man in der Schule und singt in heitrer Gesellschaft
einzelne seiner Gedichte mit wahrem Vergnügen. »Der Trunk aus dem Stiefel«
gehört zu meinen Lieblingsballaden. Und ganz allerliebst ist das Lied auf den
»Siebenundfünfziger«, das in den Weinlauben lange Zeit in allen Kehlen war
und dem Dichter manche köstliche Flasche von Rhein und Mosel einbrachte,
die ihm von den Verehrern seiner Muse anonym, aber mit berühmt klingender
Etikette zugesandt wurde. Vielleicht, dachte ich, liegt noch die eine oder andre
im Keller zu Herresberg und kehrte ein. Ich traf den gemütvollen liebens¬
würdigen Freund, der einst seines Zeichens ein Theologe war, dann Erzieher
der Jugend zu Köln am dortigen Friedrich Wilhelms-Gymnasium wurde und
erst vor kurzem seine Stelle aufgegeben hat, im Kreise seiner freundlichen
Frau und seiner blühenden Kinder. Der erwünschte Trank stand bald auf
dem Tische der Terrasse, wo man einen herrlichen Blick auf den Rhein hat,
und wir sangen das Lied des Dichters:

„Und als wir gesungen hatten, da plauderten wir noch lange über dies
und das, was in der Zeit und in der Luft lag, denn es plaudert sich eben
ganz allerliebst mit dem Dichter, der ein trefflicher, gerader, grundbraver und
neidloser und guter Mensch ist.

„Aber ich darf mich nicht zu lange verweilen, denn ich habe noch einen weiten
Weg vor mir. Der Freund giebt mir das Geleite bis an die Fähre von Unkel.
Ich rufe: »Hol über!«, ein Schiffer rudert mich auf die rechte Rheinseite. Im
Boot gedenke ich eines andern poetischen Genossen, der vor fünfundzwanzig
Jahren dort in dem gelben Hause am Ufer des Rheins wohnte. Freilich


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[0309] Litterarisches Lebe» am Rhein die Eisenbahn gefügt wurde. Oben links auf dem Felsen steht ein neues Gebäude im gotischen Stile. Sei mir gegrüßt, freundliche Marienburg mit deinen gastlichen Besitzern! Heute kann ich dich nicht besteigen und mir das muntre Gespräch, die hübschen Geigen- und Picmosonaten und den duftigen Obercmmeler zu Gemüte führen. Gleich unterhalb, wo das Thal sich öffnet, welches den Arsbach aus der waldigen Schlucht des an glänzenden Fernsichten reichen Scheidskopfes bringt, schwenke ich mich links. Dort liegt in frisch an¬ gelegtem Garten ein neues blankes Haus. Das ist Herresberg. „Hier wohnt Gustav Pfarrius, der Poet des »Nahthals«, der »Wald¬ lieder«, eines Bündchens »Gedichte«, der Erzählungen: »Zwischen Soonwald und Westlich« und »Schein und Sein«. Avr iriulta, sha nMwin. Wer diese Bücher mit Muße durchnippt, wird ihnen vielfache Genüsse danken und den Dichter herzlich lieben lernen, denn es offenbart sich in ihnen ein feiner Geist, eine reiche Erfahrung, eine liebenswürdige Weltanschauung und ein heitrer Humor, die sich stets reinster und edelster Formen bedienen. Wenn der Grundton der lyrischen Dichtungen auch in der Reflexion besteht, so hat Pfarrius doch auch häufig eiuen charmanter flugbaren Liederzug. Und so verdiente er im allgemeinen bekannter zu sein, als er es in der That ist. Seltsam genng haben die Franzosen seine Novellen mit Vorliebe übersetzt, während sie von unsern Landsleuten verhältnismäßig wenig gelesen worden sind. Glück¬ licherweise deklamiert man in der Schule und singt in heitrer Gesellschaft einzelne seiner Gedichte mit wahrem Vergnügen. »Der Trunk aus dem Stiefel« gehört zu meinen Lieblingsballaden. Und ganz allerliebst ist das Lied auf den »Siebenundfünfziger«, das in den Weinlauben lange Zeit in allen Kehlen war und dem Dichter manche köstliche Flasche von Rhein und Mosel einbrachte, die ihm von den Verehrern seiner Muse anonym, aber mit berühmt klingender Etikette zugesandt wurde. Vielleicht, dachte ich, liegt noch die eine oder andre im Keller zu Herresberg und kehrte ein. Ich traf den gemütvollen liebens¬ würdigen Freund, der einst seines Zeichens ein Theologe war, dann Erzieher der Jugend zu Köln am dortigen Friedrich Wilhelms-Gymnasium wurde und erst vor kurzem seine Stelle aufgegeben hat, im Kreise seiner freundlichen Frau und seiner blühenden Kinder. Der erwünschte Trank stand bald auf dem Tische der Terrasse, wo man einen herrlichen Blick auf den Rhein hat, und wir sangen das Lied des Dichters: „Und als wir gesungen hatten, da plauderten wir noch lange über dies und das, was in der Zeit und in der Luft lag, denn es plaudert sich eben ganz allerliebst mit dem Dichter, der ein trefflicher, gerader, grundbraver und neidloser und guter Mensch ist. „Aber ich darf mich nicht zu lange verweilen, denn ich habe noch einen weiten Weg vor mir. Der Freund giebt mir das Geleite bis an die Fähre von Unkel. Ich rufe: »Hol über!«, ein Schiffer rudert mich auf die rechte Rheinseite. Im Boot gedenke ich eines andern poetischen Genossen, der vor fünfundzwanzig Jahren dort in dem gelben Hause am Ufer des Rheins wohnte. Freilich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/309>, abgerufen am 28.09.2024.