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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Bernstein als Stoff für das Knnstgowerbe

Hunderts. Die großen Bewegungen des Kunstgewerbes nach der Errichtung
des Deutschen Reiches und die der neusten Zeit haben die Bernsteinbearbeitung
gänzlich unberührt gelassen. Die Bernsteindrechsler haben nach wie vor ihre
Perlen, Oliven und Zotten, ihre Rosenkränze für den ausländischen Export,
ihre kümmerlichen Schmucksachen für die Sommersaison der Ostseebäder und
ihre Nippes auf Damenschreibtische in althergebrachter Weise geliefert, aber
keiner unter ihnen hat daran gedacht, etwas dem heutigen Stande des Kunst¬
gewerbes genügendes, unsern Lebensgewohnheiten und der größern Wohl¬
habenheit entsprechendes zu fertigen und auf den Markt zu bringen, irgend
einen Gegenstand, der mit der Kostbarkeit des Materials auch die Schönheit
der Form verbindet. Daß in Deutschland nicht viel derartige Ware gekauft
wird, liegt an den häßlichen, ungenügenden Formen, die sie zeigt; an der
Leistnngslosigkeit unsrer Bernsteinindustrie, die wiederum ihren Grund darin
hat, daß sowohl Händler als Dreher ihr einziges Heil in dem ausländischen
Export sehen, bei dem sich der Stein am schnellsten unverarbeitet oder nur
fabrikmäßig bearbeitet, z. B. in der Gestalt von Perlen, verwerten läßt.

Daß dies nicht in Zukunft so bleiben kann, daß diese rohe Art der
Verwertung durch eine ins Leben zu rufende Kunstindustrie, die ihren Absatz
im eignen Lande und bei den europäischen Kulturvölkern hat, wenigstens teil¬
weise zu ersetzen sein wird, scheint mir geboten zu sein; geboten vor allem
durch die neuste Periode, in die wir durch den Übergang der Vernsteinwerke
an den Staat und durch den Preßbernstein eingetreten sind, sowohl um den
größern Stücken des natürlichen Steins ihren Überpreis zu erhalten, als auch
um ihnen eine ihrem Werte angemessene und ihn erhöhende kunstvolle Be¬
arbeitung zu teil werden zu lassen.

Um zu Vorschlägen zu kommen, wie dies geschehen soll, ist es not¬
wendig, nachzuforschen, in welcher Weise das Kunstgewerbe vergangner Jahr¬
hunderte den Bernstein verwandt hat. Dies wird uns Fingerzeige für die
Zukunft geben. Ich habe mich, da sich um diesen Gegenstand noch niemand
gekümmert hat, der Mühe unterzogen, sowohl litterarische und archivalische
Zeugnisse über die kunstgewerbliche Verwendung des Bernsteins zu sammeln
als auch in den Museen, die ich besucht habe, auf die vorhandnen Bernstein¬
arbeiten zu achten.

Sichere Nachrichten über ein bestehendes Bernsteinvernrbeitungsgewerbe
im Mittelalter sind uns erst aus dem vierzehnten Jahrhundert und nur aus
einigen an der See gelegnen Orten überliefert. Am Anfange des genannten
Jahrhunderts gab es in Brügge, dieser im Mittelalter so bedeutenden Handels¬
stadt Flanderns, ein Gewerk der Paternostermacher, das hauptsächlich Bernstein
zu den Perlen der Rosenkränze verarbeitete; bald darauf finden wir, noch im
ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts, ein Amt der Paternostermacher
auf deutschem Boden, in Lübeck.


Grmzbown II 1809 87
Der Bernstein als Stoff für das Knnstgowerbe

Hunderts. Die großen Bewegungen des Kunstgewerbes nach der Errichtung
des Deutschen Reiches und die der neusten Zeit haben die Bernsteinbearbeitung
gänzlich unberührt gelassen. Die Bernsteindrechsler haben nach wie vor ihre
Perlen, Oliven und Zotten, ihre Rosenkränze für den ausländischen Export,
ihre kümmerlichen Schmucksachen für die Sommersaison der Ostseebäder und
ihre Nippes auf Damenschreibtische in althergebrachter Weise geliefert, aber
keiner unter ihnen hat daran gedacht, etwas dem heutigen Stande des Kunst¬
gewerbes genügendes, unsern Lebensgewohnheiten und der größern Wohl¬
habenheit entsprechendes zu fertigen und auf den Markt zu bringen, irgend
einen Gegenstand, der mit der Kostbarkeit des Materials auch die Schönheit
der Form verbindet. Daß in Deutschland nicht viel derartige Ware gekauft
wird, liegt an den häßlichen, ungenügenden Formen, die sie zeigt; an der
Leistnngslosigkeit unsrer Bernsteinindustrie, die wiederum ihren Grund darin
hat, daß sowohl Händler als Dreher ihr einziges Heil in dem ausländischen
Export sehen, bei dem sich der Stein am schnellsten unverarbeitet oder nur
fabrikmäßig bearbeitet, z. B. in der Gestalt von Perlen, verwerten läßt.

Daß dies nicht in Zukunft so bleiben kann, daß diese rohe Art der
Verwertung durch eine ins Leben zu rufende Kunstindustrie, die ihren Absatz
im eignen Lande und bei den europäischen Kulturvölkern hat, wenigstens teil¬
weise zu ersetzen sein wird, scheint mir geboten zu sein; geboten vor allem
durch die neuste Periode, in die wir durch den Übergang der Vernsteinwerke
an den Staat und durch den Preßbernstein eingetreten sind, sowohl um den
größern Stücken des natürlichen Steins ihren Überpreis zu erhalten, als auch
um ihnen eine ihrem Werte angemessene und ihn erhöhende kunstvolle Be¬
arbeitung zu teil werden zu lassen.

Um zu Vorschlägen zu kommen, wie dies geschehen soll, ist es not¬
wendig, nachzuforschen, in welcher Weise das Kunstgewerbe vergangner Jahr¬
hunderte den Bernstein verwandt hat. Dies wird uns Fingerzeige für die
Zukunft geben. Ich habe mich, da sich um diesen Gegenstand noch niemand
gekümmert hat, der Mühe unterzogen, sowohl litterarische und archivalische
Zeugnisse über die kunstgewerbliche Verwendung des Bernsteins zu sammeln
als auch in den Museen, die ich besucht habe, auf die vorhandnen Bernstein¬
arbeiten zu achten.

Sichere Nachrichten über ein bestehendes Bernsteinvernrbeitungsgewerbe
im Mittelalter sind uns erst aus dem vierzehnten Jahrhundert und nur aus
einigen an der See gelegnen Orten überliefert. Am Anfange des genannten
Jahrhunderts gab es in Brügge, dieser im Mittelalter so bedeutenden Handels¬
stadt Flanderns, ein Gewerk der Paternostermacher, das hauptsächlich Bernstein
zu den Perlen der Rosenkränze verarbeitete; bald darauf finden wir, noch im
ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts, ein Amt der Paternostermacher
auf deutschem Boden, in Lübeck.


Grmzbown II 1809 87
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[0297] Der Bernstein als Stoff für das Knnstgowerbe Hunderts. Die großen Bewegungen des Kunstgewerbes nach der Errichtung des Deutschen Reiches und die der neusten Zeit haben die Bernsteinbearbeitung gänzlich unberührt gelassen. Die Bernsteindrechsler haben nach wie vor ihre Perlen, Oliven und Zotten, ihre Rosenkränze für den ausländischen Export, ihre kümmerlichen Schmucksachen für die Sommersaison der Ostseebäder und ihre Nippes auf Damenschreibtische in althergebrachter Weise geliefert, aber keiner unter ihnen hat daran gedacht, etwas dem heutigen Stande des Kunst¬ gewerbes genügendes, unsern Lebensgewohnheiten und der größern Wohl¬ habenheit entsprechendes zu fertigen und auf den Markt zu bringen, irgend einen Gegenstand, der mit der Kostbarkeit des Materials auch die Schönheit der Form verbindet. Daß in Deutschland nicht viel derartige Ware gekauft wird, liegt an den häßlichen, ungenügenden Formen, die sie zeigt; an der Leistnngslosigkeit unsrer Bernsteinindustrie, die wiederum ihren Grund darin hat, daß sowohl Händler als Dreher ihr einziges Heil in dem ausländischen Export sehen, bei dem sich der Stein am schnellsten unverarbeitet oder nur fabrikmäßig bearbeitet, z. B. in der Gestalt von Perlen, verwerten läßt. Daß dies nicht in Zukunft so bleiben kann, daß diese rohe Art der Verwertung durch eine ins Leben zu rufende Kunstindustrie, die ihren Absatz im eignen Lande und bei den europäischen Kulturvölkern hat, wenigstens teil¬ weise zu ersetzen sein wird, scheint mir geboten zu sein; geboten vor allem durch die neuste Periode, in die wir durch den Übergang der Vernsteinwerke an den Staat und durch den Preßbernstein eingetreten sind, sowohl um den größern Stücken des natürlichen Steins ihren Überpreis zu erhalten, als auch um ihnen eine ihrem Werte angemessene und ihn erhöhende kunstvolle Be¬ arbeitung zu teil werden zu lassen. Um zu Vorschlägen zu kommen, wie dies geschehen soll, ist es not¬ wendig, nachzuforschen, in welcher Weise das Kunstgewerbe vergangner Jahr¬ hunderte den Bernstein verwandt hat. Dies wird uns Fingerzeige für die Zukunft geben. Ich habe mich, da sich um diesen Gegenstand noch niemand gekümmert hat, der Mühe unterzogen, sowohl litterarische und archivalische Zeugnisse über die kunstgewerbliche Verwendung des Bernsteins zu sammeln als auch in den Museen, die ich besucht habe, auf die vorhandnen Bernstein¬ arbeiten zu achten. Sichere Nachrichten über ein bestehendes Bernsteinvernrbeitungsgewerbe im Mittelalter sind uns erst aus dem vierzehnten Jahrhundert und nur aus einigen an der See gelegnen Orten überliefert. Am Anfange des genannten Jahrhunderts gab es in Brügge, dieser im Mittelalter so bedeutenden Handels¬ stadt Flanderns, ein Gewerk der Paternostermacher, das hauptsächlich Bernstein zu den Perlen der Rosenkränze verarbeitete; bald darauf finden wir, noch im ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts, ein Amt der Paternostermacher auf deutschem Boden, in Lübeck. Grmzbown II 1809 87

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/297>, abgerufen am 28.09.2024.