Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

262

in Szene gesetzt, denn der Italiener will nicht durch Wichtigkeit lächerlich er¬
scheinen. Das bloße Sein des bevorzugten Menschen, ungesucht und unauf¬
dringlich, genügt. Die Kunst weiß jetzt, was für jede Person das Vorteil¬
hafteste ist, und spricht es in jedesmal neu erscheinenden Wendungen von Kopf,
Hals und Schultern und in dem Gegeneinander der Hände aus. Die Dar¬
gestellten aber kommen der Kunst entgegen; man steht und sitzt anders als
früher; Beispiel: die nicht einmal von Naffael selbst gemalte Johanna von
Aragonien. Man wird nun bei der Charakterisierung fast jedes neuen Por¬
träts auch durch eine neue Wendung Jakob Burckhardts überrascht werden:
Herzog Francesco Maria von Urbino, ein Mann von kurzer Prozedur, das
sollte man inne werden; Admiral Doria von Sebastiano del Piombo, mit den
Zügen eines Unbedenklichen. Gegenüber der vornehmen Zurückhaltung des
städtischen Venezianers wird das unvenezianische Sichgehenlassen der Provin-
zialhonoratioren hervorgehoben auf den wenn auch noch so herrlich gemalten
Bildnissen von Cariani, Morello und Moroni, der "den einzigen und höchst
lächerlichen Wichtigthuer der ganzen italienischen Porträtkunst hat verewigen
dürfen oder müssen (National Gatters); in der Provinz war dieses Bild noch
innerhalb des Respektes möglich, während es in Venedig den vollsten Hohn
würde erregt haben, trotz erstaunlicher Behandlung." Mit einem andern Bei¬
spiel feinen Spotts wollen wir von diesem Kapitel Abschied nehmen. An¬
gesichts des Doppelbildes mit den ausdrucksvollen, vortrefflich kontrastierenden
und sympathischen Köpfen Navageros und Beazzanos von Naffael möge man
sich die verschiednen Gründe der Unmöglichkeit eines solchen Gemäldes im
heutigen hochgebildeten Europa deutlich machen, und man wird in vergnügliche
Stimmung kommen.

Der letzte Abschnitt: Die Sammler, ist schon allein durch seine Anordnung
höchst originell. Er umfaßt solche Kunstwerke, die nicht für Kirchen und öffent¬
liche Profanräume bestimmt waren, sondern für die Privcitsammlmigcn, deren
Besitzer als Gönner der werdenden Kunst einen sich allmählich, wie später in
der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts, ausbildenden Privat¬
geschmack geltend machten. Es kamen dafür nicht nur Gemälde in Betracht,
sondern Sachen der verschiedensten Art: gewirkte Teppiche, die nach Gegenstand
und Stil mit den Bildern konkurrierten, Skulpturen, darunter Kleinbronzen und
Plakette", Medaillen, endlich ältere Kunstwerke und Erzeugnisse des Kunsthand¬
werks, die ebenfalls zur Bildung des neuen Geschmacks mit beitrugen, inso¬
fern z. B. die Antike im weitesten Umfange, nicht aber das Mittelalter dabei
Berücksichtigung fand. Allein schon die gegossenen (nicht geprägten) und von den
Künstlern nachziselierten Medaillen (Vittore Pisano usw.) auf Ereignisse und
Personen sind in Italien ein für den Kunstgeschmack wichtiges Gebiet. Außer
den fürstlichen Persönlichkeiten wurden Privatleute, Humanisten, Kondottiereu
dargestellt, die Bildnismedaille vertritt die Stelle des in Italien damals noch


Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance

262

in Szene gesetzt, denn der Italiener will nicht durch Wichtigkeit lächerlich er¬
scheinen. Das bloße Sein des bevorzugten Menschen, ungesucht und unauf¬
dringlich, genügt. Die Kunst weiß jetzt, was für jede Person das Vorteil¬
hafteste ist, und spricht es in jedesmal neu erscheinenden Wendungen von Kopf,
Hals und Schultern und in dem Gegeneinander der Hände aus. Die Dar¬
gestellten aber kommen der Kunst entgegen; man steht und sitzt anders als
früher; Beispiel: die nicht einmal von Naffael selbst gemalte Johanna von
Aragonien. Man wird nun bei der Charakterisierung fast jedes neuen Por¬
träts auch durch eine neue Wendung Jakob Burckhardts überrascht werden:
Herzog Francesco Maria von Urbino, ein Mann von kurzer Prozedur, das
sollte man inne werden; Admiral Doria von Sebastiano del Piombo, mit den
Zügen eines Unbedenklichen. Gegenüber der vornehmen Zurückhaltung des
städtischen Venezianers wird das unvenezianische Sichgehenlassen der Provin-
zialhonoratioren hervorgehoben auf den wenn auch noch so herrlich gemalten
Bildnissen von Cariani, Morello und Moroni, der „den einzigen und höchst
lächerlichen Wichtigthuer der ganzen italienischen Porträtkunst hat verewigen
dürfen oder müssen (National Gatters); in der Provinz war dieses Bild noch
innerhalb des Respektes möglich, während es in Venedig den vollsten Hohn
würde erregt haben, trotz erstaunlicher Behandlung." Mit einem andern Bei¬
spiel feinen Spotts wollen wir von diesem Kapitel Abschied nehmen. An¬
gesichts des Doppelbildes mit den ausdrucksvollen, vortrefflich kontrastierenden
und sympathischen Köpfen Navageros und Beazzanos von Naffael möge man
sich die verschiednen Gründe der Unmöglichkeit eines solchen Gemäldes im
heutigen hochgebildeten Europa deutlich machen, und man wird in vergnügliche
Stimmung kommen.

Der letzte Abschnitt: Die Sammler, ist schon allein durch seine Anordnung
höchst originell. Er umfaßt solche Kunstwerke, die nicht für Kirchen und öffent¬
liche Profanräume bestimmt waren, sondern für die Privcitsammlmigcn, deren
Besitzer als Gönner der werdenden Kunst einen sich allmählich, wie später in
der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts, ausbildenden Privat¬
geschmack geltend machten. Es kamen dafür nicht nur Gemälde in Betracht,
sondern Sachen der verschiedensten Art: gewirkte Teppiche, die nach Gegenstand
und Stil mit den Bildern konkurrierten, Skulpturen, darunter Kleinbronzen und
Plakette», Medaillen, endlich ältere Kunstwerke und Erzeugnisse des Kunsthand¬
werks, die ebenfalls zur Bildung des neuen Geschmacks mit beitrugen, inso¬
fern z. B. die Antike im weitesten Umfange, nicht aber das Mittelalter dabei
Berücksichtigung fand. Allein schon die gegossenen (nicht geprägten) und von den
Künstlern nachziselierten Medaillen (Vittore Pisano usw.) auf Ereignisse und
Personen sind in Italien ein für den Kunstgeschmack wichtiges Gebiet. Außer
den fürstlichen Persönlichkeiten wurden Privatleute, Humanisten, Kondottiereu
dargestellt, die Bildnismedaille vertritt die Stelle des in Italien damals noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230702"/>
          <fw type="header" place="top"> Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_843" prev="#ID_842" next="#ID_844"> 262</p><lb/>
          <p xml:id="ID_844" prev="#ID_843"> in Szene gesetzt, denn der Italiener will nicht durch Wichtigkeit lächerlich er¬<lb/>
scheinen. Das bloße Sein des bevorzugten Menschen, ungesucht und unauf¬<lb/>
dringlich, genügt. Die Kunst weiß jetzt, was für jede Person das Vorteil¬<lb/>
hafteste ist, und spricht es in jedesmal neu erscheinenden Wendungen von Kopf,<lb/>
Hals und Schultern und in dem Gegeneinander der Hände aus. Die Dar¬<lb/>
gestellten aber kommen der Kunst entgegen; man steht und sitzt anders als<lb/>
früher; Beispiel: die nicht einmal von Naffael selbst gemalte Johanna von<lb/>
Aragonien. Man wird nun bei der Charakterisierung fast jedes neuen Por¬<lb/>
träts auch durch eine neue Wendung Jakob Burckhardts überrascht werden:<lb/>
Herzog Francesco Maria von Urbino, ein Mann von kurzer Prozedur, das<lb/>
sollte man inne werden; Admiral Doria von Sebastiano del Piombo, mit den<lb/>
Zügen eines Unbedenklichen. Gegenüber der vornehmen Zurückhaltung des<lb/>
städtischen Venezianers wird das unvenezianische Sichgehenlassen der Provin-<lb/>
zialhonoratioren hervorgehoben auf den wenn auch noch so herrlich gemalten<lb/>
Bildnissen von Cariani, Morello und Moroni, der &#x201E;den einzigen und höchst<lb/>
lächerlichen Wichtigthuer der ganzen italienischen Porträtkunst hat verewigen<lb/>
dürfen oder müssen (National Gatters); in der Provinz war dieses Bild noch<lb/>
innerhalb des Respektes möglich, während es in Venedig den vollsten Hohn<lb/>
würde erregt haben, trotz erstaunlicher Behandlung." Mit einem andern Bei¬<lb/>
spiel feinen Spotts wollen wir von diesem Kapitel Abschied nehmen. An¬<lb/>
gesichts des Doppelbildes mit den ausdrucksvollen, vortrefflich kontrastierenden<lb/>
und sympathischen Köpfen Navageros und Beazzanos von Naffael möge man<lb/>
sich die verschiednen Gründe der Unmöglichkeit eines solchen Gemäldes im<lb/>
heutigen hochgebildeten Europa deutlich machen, und man wird in vergnügliche<lb/>
Stimmung kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_845" next="#ID_846"> Der letzte Abschnitt: Die Sammler, ist schon allein durch seine Anordnung<lb/>
höchst originell. Er umfaßt solche Kunstwerke, die nicht für Kirchen und öffent¬<lb/>
liche Profanräume bestimmt waren, sondern für die Privcitsammlmigcn, deren<lb/>
Besitzer als Gönner der werdenden Kunst einen sich allmählich, wie später in<lb/>
der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts, ausbildenden Privat¬<lb/>
geschmack geltend machten. Es kamen dafür nicht nur Gemälde in Betracht,<lb/>
sondern Sachen der verschiedensten Art: gewirkte Teppiche, die nach Gegenstand<lb/>
und Stil mit den Bildern konkurrierten, Skulpturen, darunter Kleinbronzen und<lb/>
Plakette», Medaillen, endlich ältere Kunstwerke und Erzeugnisse des Kunsthand¬<lb/>
werks, die ebenfalls zur Bildung des neuen Geschmacks mit beitrugen, inso¬<lb/>
fern z. B. die Antike im weitesten Umfange, nicht aber das Mittelalter dabei<lb/>
Berücksichtigung fand. Allein schon die gegossenen (nicht geprägten) und von den<lb/>
Künstlern nachziselierten Medaillen (Vittore Pisano usw.) auf Ereignisse und<lb/>
Personen sind in Italien ein für den Kunstgeschmack wichtiges Gebiet. Außer<lb/>
den fürstlichen Persönlichkeiten wurden Privatleute, Humanisten, Kondottiereu<lb/>
dargestellt, die Bildnismedaille vertritt die Stelle des in Italien damals noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Jakob Burckhardts letztes Wort über die Renaissance 262 in Szene gesetzt, denn der Italiener will nicht durch Wichtigkeit lächerlich er¬ scheinen. Das bloße Sein des bevorzugten Menschen, ungesucht und unauf¬ dringlich, genügt. Die Kunst weiß jetzt, was für jede Person das Vorteil¬ hafteste ist, und spricht es in jedesmal neu erscheinenden Wendungen von Kopf, Hals und Schultern und in dem Gegeneinander der Hände aus. Die Dar¬ gestellten aber kommen der Kunst entgegen; man steht und sitzt anders als früher; Beispiel: die nicht einmal von Naffael selbst gemalte Johanna von Aragonien. Man wird nun bei der Charakterisierung fast jedes neuen Por¬ träts auch durch eine neue Wendung Jakob Burckhardts überrascht werden: Herzog Francesco Maria von Urbino, ein Mann von kurzer Prozedur, das sollte man inne werden; Admiral Doria von Sebastiano del Piombo, mit den Zügen eines Unbedenklichen. Gegenüber der vornehmen Zurückhaltung des städtischen Venezianers wird das unvenezianische Sichgehenlassen der Provin- zialhonoratioren hervorgehoben auf den wenn auch noch so herrlich gemalten Bildnissen von Cariani, Morello und Moroni, der „den einzigen und höchst lächerlichen Wichtigthuer der ganzen italienischen Porträtkunst hat verewigen dürfen oder müssen (National Gatters); in der Provinz war dieses Bild noch innerhalb des Respektes möglich, während es in Venedig den vollsten Hohn würde erregt haben, trotz erstaunlicher Behandlung." Mit einem andern Bei¬ spiel feinen Spotts wollen wir von diesem Kapitel Abschied nehmen. An¬ gesichts des Doppelbildes mit den ausdrucksvollen, vortrefflich kontrastierenden und sympathischen Köpfen Navageros und Beazzanos von Naffael möge man sich die verschiednen Gründe der Unmöglichkeit eines solchen Gemäldes im heutigen hochgebildeten Europa deutlich machen, und man wird in vergnügliche Stimmung kommen. Der letzte Abschnitt: Die Sammler, ist schon allein durch seine Anordnung höchst originell. Er umfaßt solche Kunstwerke, die nicht für Kirchen und öffent¬ liche Profanräume bestimmt waren, sondern für die Privcitsammlmigcn, deren Besitzer als Gönner der werdenden Kunst einen sich allmählich, wie später in der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts, ausbildenden Privat¬ geschmack geltend machten. Es kamen dafür nicht nur Gemälde in Betracht, sondern Sachen der verschiedensten Art: gewirkte Teppiche, die nach Gegenstand und Stil mit den Bildern konkurrierten, Skulpturen, darunter Kleinbronzen und Plakette», Medaillen, endlich ältere Kunstwerke und Erzeugnisse des Kunsthand¬ werks, die ebenfalls zur Bildung des neuen Geschmacks mit beitrugen, inso¬ fern z. B. die Antike im weitesten Umfange, nicht aber das Mittelalter dabei Berücksichtigung fand. Allein schon die gegossenen (nicht geprägten) und von den Künstlern nachziselierten Medaillen (Vittore Pisano usw.) auf Ereignisse und Personen sind in Italien ein für den Kunstgeschmack wichtiges Gebiet. Außer den fürstlichen Persönlichkeiten wurden Privatleute, Humanisten, Kondottiereu dargestellt, die Bildnismedaille vertritt die Stelle des in Italien damals noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/270>, abgerufen am 28.09.2024.