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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes Ivort über die Renaissance

Bedingungen, ungestörter Friede, Reichtum, Behaglichkeit der innern Einrichtung
(Glasfenster sind früh allgemein in Venedig!) konnten auch auf das Familien-
Portrat hinführen; es finden sich auf venezianischen Hausandachtsbildern
oft Mann und Frau dargestellt. Sonst aber sind Allianzbildnisfe von Ehe¬
gatten, wie überhaupt in Italien, äußerst selten, auch Bildnisse von einzelnen
Frauen und Mädchen sind nicht häufig, denn die berühmten Halbfigureubilder
weiblicher Schönheiten sind ja keine Familienporträts. Männcrbildnisfe da¬
gegen kommen schon früh in großer Zahl vor, auch zu zweien angeordnet, und
zwar sind die Dargestellten dann seltner Verwandte als nahestehende Freunde.
Während nun in Mittelitalien im fünfzehnten Jahrhundert das Einzelbild noch
selten, und gewöhnlich weder der Meister noch der Dargestellte sicher ist, wiegen
die "assistierenden Cittadini" der Fresken von Toskana wohl die ganze damalige
Porträtleistung des übrigen Italiens auf. Filippo Lippi und Ghirlandajo
werden mit jung gebliebner Bewunderung gefeiert. Bei Lucu Signorelli, meint
Burckhcirdt, zeige es sich schon in den Fresken der Sixtinischen Kapelle, "wie
frei er sich hielt von aller Einführung angesehener Ortspersonen, indem gewiß
nur in seine Gruppen aufgenommen ist, wen er wollte, und weil er es wollte,
wie schon die Kraft und Schönheit der meisten Köpfe beweist." Das wird
nun weiter ausgeführt. Bei keinem Qucittrocentisten sei das Individuelle so
frei von der Absicht ans Kenntlichkeit nach Ort und Person, oft dagegen habe
er seine eignen Züge in die Gesichter gelegt. Alles erscheine bei ihm als sreie
Schöpfung, vorgetragen von einer hohen momentanen Kraft, die gar keiner
Erinnerung an bestimmte zeitgenössische Individuen bedürfe. Die Florentiner
geben mehr als die übrigen Italiener den Madonnen und Heiligen nicht nur
individuelle Züge, sondern die Züge bestimmter Personen, die dann nicht mehr
besonders als Stifter aufgeführt zu werden brauchten. Dahin gehören die
Bilder des jungen Tobias mit einem oder mehreren begleitenden Engeln, in
der Skulptur die Büsten und Reliefs des Knaben Johannes des Täufers.
Pietro Perugino hat auf deu Fresken der Sixtinischen Kapelle noch Zuschauer¬
gruppen, später hat er keinen Sinn mehr sür das Vildnismäßigc. Sein Lnnds-
mann Pinturicchio aber ist der geborne Schilderer der Assistenzen; er wird in
allen seinen Cyklen von der Sixtinischen Kapelle bis zu der Libreria in Siena
(wo nebenbei Burckhardt für Raffaels Anteil eintritt) mit Ausführlichkeit be¬
sprochen.

Am Schluß der Übersicht über die Bildnisse "dieses erstaunlichen fünf¬
zehnten Jahrhunderts" läßt Burckhardt einen "(unmöglicher) objektiven Euro¬
päer" durch das Abendland wandern, ein Gegenstück zu Macaulays berühmtem
Neuseeländer, der dermaleinst in ferner Zukunft auf einem letzten Bogen der
gebrochnen Londonbrücke inmitten tiefer Einsamkeit die Ruinen der Paulskirche
zeichnen wird. Dieser unmögliche Wandrer würde schon aus der enormen
Masse "der gemalten Bildnisse aller Stufen und Gattungen geschlossen haben,
daß südlich von den Alpen eine besonders geartete Menschheit lebe, und diese


Jakob Burckhardts letztes Ivort über die Renaissance

Bedingungen, ungestörter Friede, Reichtum, Behaglichkeit der innern Einrichtung
(Glasfenster sind früh allgemein in Venedig!) konnten auch auf das Familien-
Portrat hinführen; es finden sich auf venezianischen Hausandachtsbildern
oft Mann und Frau dargestellt. Sonst aber sind Allianzbildnisfe von Ehe¬
gatten, wie überhaupt in Italien, äußerst selten, auch Bildnisse von einzelnen
Frauen und Mädchen sind nicht häufig, denn die berühmten Halbfigureubilder
weiblicher Schönheiten sind ja keine Familienporträts. Männcrbildnisfe da¬
gegen kommen schon früh in großer Zahl vor, auch zu zweien angeordnet, und
zwar sind die Dargestellten dann seltner Verwandte als nahestehende Freunde.
Während nun in Mittelitalien im fünfzehnten Jahrhundert das Einzelbild noch
selten, und gewöhnlich weder der Meister noch der Dargestellte sicher ist, wiegen
die „assistierenden Cittadini" der Fresken von Toskana wohl die ganze damalige
Porträtleistung des übrigen Italiens auf. Filippo Lippi und Ghirlandajo
werden mit jung gebliebner Bewunderung gefeiert. Bei Lucu Signorelli, meint
Burckhcirdt, zeige es sich schon in den Fresken der Sixtinischen Kapelle, „wie
frei er sich hielt von aller Einführung angesehener Ortspersonen, indem gewiß
nur in seine Gruppen aufgenommen ist, wen er wollte, und weil er es wollte,
wie schon die Kraft und Schönheit der meisten Köpfe beweist." Das wird
nun weiter ausgeführt. Bei keinem Qucittrocentisten sei das Individuelle so
frei von der Absicht ans Kenntlichkeit nach Ort und Person, oft dagegen habe
er seine eignen Züge in die Gesichter gelegt. Alles erscheine bei ihm als sreie
Schöpfung, vorgetragen von einer hohen momentanen Kraft, die gar keiner
Erinnerung an bestimmte zeitgenössische Individuen bedürfe. Die Florentiner
geben mehr als die übrigen Italiener den Madonnen und Heiligen nicht nur
individuelle Züge, sondern die Züge bestimmter Personen, die dann nicht mehr
besonders als Stifter aufgeführt zu werden brauchten. Dahin gehören die
Bilder des jungen Tobias mit einem oder mehreren begleitenden Engeln, in
der Skulptur die Büsten und Reliefs des Knaben Johannes des Täufers.
Pietro Perugino hat auf deu Fresken der Sixtinischen Kapelle noch Zuschauer¬
gruppen, später hat er keinen Sinn mehr sür das Vildnismäßigc. Sein Lnnds-
mann Pinturicchio aber ist der geborne Schilderer der Assistenzen; er wird in
allen seinen Cyklen von der Sixtinischen Kapelle bis zu der Libreria in Siena
(wo nebenbei Burckhardt für Raffaels Anteil eintritt) mit Ausführlichkeit be¬
sprochen.

Am Schluß der Übersicht über die Bildnisse „dieses erstaunlichen fünf¬
zehnten Jahrhunderts" läßt Burckhardt einen „(unmöglicher) objektiven Euro¬
päer" durch das Abendland wandern, ein Gegenstück zu Macaulays berühmtem
Neuseeländer, der dermaleinst in ferner Zukunft auf einem letzten Bogen der
gebrochnen Londonbrücke inmitten tiefer Einsamkeit die Ruinen der Paulskirche
zeichnen wird. Dieser unmögliche Wandrer würde schon aus der enormen
Masse „der gemalten Bildnisse aller Stufen und Gattungen geschlossen haben,
daß südlich von den Alpen eine besonders geartete Menschheit lebe, und diese


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[0267] Jakob Burckhardts letztes Ivort über die Renaissance Bedingungen, ungestörter Friede, Reichtum, Behaglichkeit der innern Einrichtung (Glasfenster sind früh allgemein in Venedig!) konnten auch auf das Familien- Portrat hinführen; es finden sich auf venezianischen Hausandachtsbildern oft Mann und Frau dargestellt. Sonst aber sind Allianzbildnisfe von Ehe¬ gatten, wie überhaupt in Italien, äußerst selten, auch Bildnisse von einzelnen Frauen und Mädchen sind nicht häufig, denn die berühmten Halbfigureubilder weiblicher Schönheiten sind ja keine Familienporträts. Männcrbildnisfe da¬ gegen kommen schon früh in großer Zahl vor, auch zu zweien angeordnet, und zwar sind die Dargestellten dann seltner Verwandte als nahestehende Freunde. Während nun in Mittelitalien im fünfzehnten Jahrhundert das Einzelbild noch selten, und gewöhnlich weder der Meister noch der Dargestellte sicher ist, wiegen die „assistierenden Cittadini" der Fresken von Toskana wohl die ganze damalige Porträtleistung des übrigen Italiens auf. Filippo Lippi und Ghirlandajo werden mit jung gebliebner Bewunderung gefeiert. Bei Lucu Signorelli, meint Burckhcirdt, zeige es sich schon in den Fresken der Sixtinischen Kapelle, „wie frei er sich hielt von aller Einführung angesehener Ortspersonen, indem gewiß nur in seine Gruppen aufgenommen ist, wen er wollte, und weil er es wollte, wie schon die Kraft und Schönheit der meisten Köpfe beweist." Das wird nun weiter ausgeführt. Bei keinem Qucittrocentisten sei das Individuelle so frei von der Absicht ans Kenntlichkeit nach Ort und Person, oft dagegen habe er seine eignen Züge in die Gesichter gelegt. Alles erscheine bei ihm als sreie Schöpfung, vorgetragen von einer hohen momentanen Kraft, die gar keiner Erinnerung an bestimmte zeitgenössische Individuen bedürfe. Die Florentiner geben mehr als die übrigen Italiener den Madonnen und Heiligen nicht nur individuelle Züge, sondern die Züge bestimmter Personen, die dann nicht mehr besonders als Stifter aufgeführt zu werden brauchten. Dahin gehören die Bilder des jungen Tobias mit einem oder mehreren begleitenden Engeln, in der Skulptur die Büsten und Reliefs des Knaben Johannes des Täufers. Pietro Perugino hat auf deu Fresken der Sixtinischen Kapelle noch Zuschauer¬ gruppen, später hat er keinen Sinn mehr sür das Vildnismäßigc. Sein Lnnds- mann Pinturicchio aber ist der geborne Schilderer der Assistenzen; er wird in allen seinen Cyklen von der Sixtinischen Kapelle bis zu der Libreria in Siena (wo nebenbei Burckhardt für Raffaels Anteil eintritt) mit Ausführlichkeit be¬ sprochen. Am Schluß der Übersicht über die Bildnisse „dieses erstaunlichen fünf¬ zehnten Jahrhunderts" läßt Burckhardt einen „(unmöglicher) objektiven Euro¬ päer" durch das Abendland wandern, ein Gegenstück zu Macaulays berühmtem Neuseeländer, der dermaleinst in ferner Zukunft auf einem letzten Bogen der gebrochnen Londonbrücke inmitten tiefer Einsamkeit die Ruinen der Paulskirche zeichnen wird. Dieser unmögliche Wandrer würde schon aus der enormen Masse „der gemalten Bildnisse aller Stufen und Gattungen geschlossen haben, daß südlich von den Alpen eine besonders geartete Menschheit lebe, und diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/267>, abgerufen am 28.09.2024.