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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Jakob Burckhardts letztes U?ort über die Renaissance

vorherrschend von seiner eigenhändigen Ausführung" -- in die sich heute kaum
jemand mehr finden wird. Sein Schüler Wölfflin erklärt in dem oben ge¬
nannten Buche sogar die persönliche Beteiligung Raffaels an der Komposition
für ausgeschlossen. Auf die heilige Erzählung als Inhalt des Altarbildes
folgt noch die Legende der Heiligen, wobei es entweder mehr auf die Erschei¬
nung der Person des Heiligen abgesehen sein kann oder auf das Geschehnis
(Martyrium Sebastians von Pollajuolo, Petrus Martyr von Bellini und
Tizian), die Auswahl ist immer durch die Stiftung bedingt und in der Regel
noch jetzt erklärbar.

Der Abschnitt über das Porträt beginnt mit einer höchst gelehrten Ge¬
schichte der Anfänge bis auf Giotto und das vierzehnte Jahrhundert, wo die
ersten Einzelbildnisfe auf Tafeln erscheinen. Das isolierte Porträt wird jedoch
noch lange zurückgehalten durch die "Assistenzen" der Cittadini auf den reli¬
giösen Fresken, die in mancher kleinern Provinzialstadt schon die ganze bildnis¬
fähige Honoratiorenschaft umfassen konnten. Daneben war dann für ein be¬
sondres Porträt nur selten Bedürfnis. An diesen Zuschauern auf den Fresken
des fünfzehnten Jahrhunderts lassen sich die Fortschritte im Individualisieren
und der Realismus, soweit ihn die Malerei damals überhaupt geben kann,
am besten wahrnehmen. In der Verwertung des Details waren die Flandrer
um jene Zeit weiter, sie zeigten den Florentinern und Venezianern, daß die
kleinen Zufälligkeiten der Auffassung des Ganzen keinen Schaden thäten, und
keine der nordischen Gattungen schützte man auch darum in Italien so wie
das Porträt, demnächst dann auch die Landschaft. Die Italiener geben vor
allem im Einzelbildnis noch lange häufig die Profilstellnng, die Flandrer schon
früh das volle Gesicht und namentlich die malerisch wirksame Dreiviertelwendung
(italienisch ausgedrückt un oeodio s iruWo, auch in inWM oeellio und un Mg-rto
ä'ooollio). Es werden nun sämtliche Malereien des fünfzehnten Jahrhunderts
von Masaccio an, nach Schulen und einzelnen Meistern geordnet, besprochen
und auf ihren Porträtgehalt geprüft, die immer noch nicht häufigen guten
Einzelbildnisfe werden hervorgehoben, die wichtigern Maler charakterisiert,
manche mit besondrer Wärme: Piero dei Franeeschi, Giovanni Bellini und
Antonello von Messina. Die Betrachtungsweise mit immer nur andeutenden
Sätzen ist höchst geistvoll. Sie ist aber auch ertragreich, was schon an wenigen
Proben sichtbar sein wird. Warum kommen uns die Zuschauer auf den histo¬
rischen Breitbildern der Gentile Bellini und Carpaecio weniger erlesen und
geistig vor als auf den florentinischen Fresken? Weil in Venedig die Zu¬
gehörigkeit zu einer Brüderschaft ohne jedes weitere persönliche Verdienst ge¬
nügte, auf ein solches Bild zu kommen, und die individuelle Berühmtheit,
nach der in Florenz der höhere Bürger strebte, bei dem Geiste der venezia¬
nischen Verfassung nicht einmal geraten gewesen wäre; das Amt gab die
Stellung, und die Vornehmheit ließ sich nur durch die Amtstracht ausdrücken,
so auf den Dogen- und Prvknratorenbildern. Die für eine Hcmsknnst günstigen


Jakob Burckhardts letztes U?ort über die Renaissance

vorherrschend von seiner eigenhändigen Ausführung" — in die sich heute kaum
jemand mehr finden wird. Sein Schüler Wölfflin erklärt in dem oben ge¬
nannten Buche sogar die persönliche Beteiligung Raffaels an der Komposition
für ausgeschlossen. Auf die heilige Erzählung als Inhalt des Altarbildes
folgt noch die Legende der Heiligen, wobei es entweder mehr auf die Erschei¬
nung der Person des Heiligen abgesehen sein kann oder auf das Geschehnis
(Martyrium Sebastians von Pollajuolo, Petrus Martyr von Bellini und
Tizian), die Auswahl ist immer durch die Stiftung bedingt und in der Regel
noch jetzt erklärbar.

Der Abschnitt über das Porträt beginnt mit einer höchst gelehrten Ge¬
schichte der Anfänge bis auf Giotto und das vierzehnte Jahrhundert, wo die
ersten Einzelbildnisfe auf Tafeln erscheinen. Das isolierte Porträt wird jedoch
noch lange zurückgehalten durch die „Assistenzen" der Cittadini auf den reli¬
giösen Fresken, die in mancher kleinern Provinzialstadt schon die ganze bildnis¬
fähige Honoratiorenschaft umfassen konnten. Daneben war dann für ein be¬
sondres Porträt nur selten Bedürfnis. An diesen Zuschauern auf den Fresken
des fünfzehnten Jahrhunderts lassen sich die Fortschritte im Individualisieren
und der Realismus, soweit ihn die Malerei damals überhaupt geben kann,
am besten wahrnehmen. In der Verwertung des Details waren die Flandrer
um jene Zeit weiter, sie zeigten den Florentinern und Venezianern, daß die
kleinen Zufälligkeiten der Auffassung des Ganzen keinen Schaden thäten, und
keine der nordischen Gattungen schützte man auch darum in Italien so wie
das Porträt, demnächst dann auch die Landschaft. Die Italiener geben vor
allem im Einzelbildnis noch lange häufig die Profilstellnng, die Flandrer schon
früh das volle Gesicht und namentlich die malerisch wirksame Dreiviertelwendung
(italienisch ausgedrückt un oeodio s iruWo, auch in inWM oeellio und un Mg-rto
ä'ooollio). Es werden nun sämtliche Malereien des fünfzehnten Jahrhunderts
von Masaccio an, nach Schulen und einzelnen Meistern geordnet, besprochen
und auf ihren Porträtgehalt geprüft, die immer noch nicht häufigen guten
Einzelbildnisfe werden hervorgehoben, die wichtigern Maler charakterisiert,
manche mit besondrer Wärme: Piero dei Franeeschi, Giovanni Bellini und
Antonello von Messina. Die Betrachtungsweise mit immer nur andeutenden
Sätzen ist höchst geistvoll. Sie ist aber auch ertragreich, was schon an wenigen
Proben sichtbar sein wird. Warum kommen uns die Zuschauer auf den histo¬
rischen Breitbildern der Gentile Bellini und Carpaecio weniger erlesen und
geistig vor als auf den florentinischen Fresken? Weil in Venedig die Zu¬
gehörigkeit zu einer Brüderschaft ohne jedes weitere persönliche Verdienst ge¬
nügte, auf ein solches Bild zu kommen, und die individuelle Berühmtheit,
nach der in Florenz der höhere Bürger strebte, bei dem Geiste der venezia¬
nischen Verfassung nicht einmal geraten gewesen wäre; das Amt gab die
Stellung, und die Vornehmheit ließ sich nur durch die Amtstracht ausdrücken,
so auf den Dogen- und Prvknratorenbildern. Die für eine Hcmsknnst günstigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/266>, abgerufen am 28.09.2024.