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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Streitkräfte Italiens

lesener Cigarrenrest, auf dem Leibe buchstäblich nur Lumpen, so lange die
Witterung es irgend gestattet, unter freiem Himmel Nachtquartier und dabei
einige hundert, ja tausend Lire auf den Postsparkassen, solche Widersprüche
sind gar nicht selten. Diese Anspruchslosigkeit der Italiener ist es vor allem
gewesen, was in Zürich im Sommer 1896 zu einem mehrtägigen blutigen
Kampfe der einheimischen Bevölkerung gegen die Italiener und schließlich zu
einem förmlichen Aufruhr geführt hat.

Daher kann man mit doppeltem Rechte sagen, daß im Heere der Italiener
gezwungen wird, seine ganze Lebensauffassung sehr vorteilhaft für sich und
das Ganze zu verbessern. Dort lernt er einsehen, daß Arbeit und Genuß in
einem gewissen gesunden Verhältnis zu einander stehn müssen, er erkennt den
Unterschied zwischen seinem Vorleben und einem menschenwürdigen Dasein. Die
italienische Volksschule, auch die auf dem Lande, in den ärmsten Dörfern, ist
nicht schlecht, aber die Auffassung der untern Klassen von der allgemeinen
Schulpflicht ist sehr weitherzig. Es ist daher ein nicht hoch genug zu schätzendes
Verdienst der Armeeleitung, daß sie dem jungen Wehrmann vom Tage seines
Eintritts in das Heer förmlichen Schulunterricht erteilt. Im Jahre 1860
zählte man noch 83 Prozent Analphabeten, heute noch 44 der Gesamtbevölkerung.

Gleich wie der deutsche Bürger denkt der italienische mit Stolz und innerer
Genugthuung an seine Dienstzeit. Die geschickteste politische Bearbeitung der
Massen ist nicht imstande, daran etwas zu ändern. Wer erst in Italien Ge¬
legenheit gehabt hat, die in die Kaserne einziehenden Rekrutentrupps mit aus¬
ziehenden Reservistenscharen zu vergleichen, wird fast an das Bild erinnert, das
uus lebende Hasen zeigt, die in eine Maschine springen und auf der andern
Seite als blanke Hüte Herauskommen. Der Gegensatz, den die militärische
Ausbildung erzeugt, ist staunenswert. Italien hat jetzt 5,3 Prozent seiner
Gesamtbevölkerung militärisch ausgebildet; Österreich etwas weniger, nur 5,
Deutschland 6,5, Frankreich 7,8, Nußland 8,9. Die sich hieraus ergebenden
Daten für die mobilen Armeen dieser Staaten sind eben die beste Friedens-
sicherung; der Beweis ist seit drei Jahrzehnten erbracht.

Was das italienische Offizierkorps betrifft, so kann ohne Übertreibung
gesagt werden, daß es aller Achtung vollauf wert ist. Seine allgemeine wissen¬
schaftliche Bildung steht ganz entschieden höher als die des französischen; auch
seine Berufstüchtigkeit wetteifert mindestens mit ihnen. Wenn man Gelegenheit
gehabt hat, italienische und französische Offiziere im Dienste zu sehen, so füllt
einem bei diesen eine peinlich berührende Eigenschaft auf, moll ins Widers ist
die beste Bezeichnung dafür, während der Italiener mit lebensvoller Wärme
von sichtbarer und wohlthuender Rückwirkung bei der Sache ist. Einen die
soldatische Gesinnung besonders verletzenden Eindruck gewinnt man, wenn man
mit ansehen muß, wie der französische Vorgesetzte, auch der Unteroffizier, seine
Untergebnen nach den größten und anstrengendsten Manövern sich selbst über-


Die Streitkräfte Italiens

lesener Cigarrenrest, auf dem Leibe buchstäblich nur Lumpen, so lange die
Witterung es irgend gestattet, unter freiem Himmel Nachtquartier und dabei
einige hundert, ja tausend Lire auf den Postsparkassen, solche Widersprüche
sind gar nicht selten. Diese Anspruchslosigkeit der Italiener ist es vor allem
gewesen, was in Zürich im Sommer 1896 zu einem mehrtägigen blutigen
Kampfe der einheimischen Bevölkerung gegen die Italiener und schließlich zu
einem förmlichen Aufruhr geführt hat.

Daher kann man mit doppeltem Rechte sagen, daß im Heere der Italiener
gezwungen wird, seine ganze Lebensauffassung sehr vorteilhaft für sich und
das Ganze zu verbessern. Dort lernt er einsehen, daß Arbeit und Genuß in
einem gewissen gesunden Verhältnis zu einander stehn müssen, er erkennt den
Unterschied zwischen seinem Vorleben und einem menschenwürdigen Dasein. Die
italienische Volksschule, auch die auf dem Lande, in den ärmsten Dörfern, ist
nicht schlecht, aber die Auffassung der untern Klassen von der allgemeinen
Schulpflicht ist sehr weitherzig. Es ist daher ein nicht hoch genug zu schätzendes
Verdienst der Armeeleitung, daß sie dem jungen Wehrmann vom Tage seines
Eintritts in das Heer förmlichen Schulunterricht erteilt. Im Jahre 1860
zählte man noch 83 Prozent Analphabeten, heute noch 44 der Gesamtbevölkerung.

Gleich wie der deutsche Bürger denkt der italienische mit Stolz und innerer
Genugthuung an seine Dienstzeit. Die geschickteste politische Bearbeitung der
Massen ist nicht imstande, daran etwas zu ändern. Wer erst in Italien Ge¬
legenheit gehabt hat, die in die Kaserne einziehenden Rekrutentrupps mit aus¬
ziehenden Reservistenscharen zu vergleichen, wird fast an das Bild erinnert, das
uus lebende Hasen zeigt, die in eine Maschine springen und auf der andern
Seite als blanke Hüte Herauskommen. Der Gegensatz, den die militärische
Ausbildung erzeugt, ist staunenswert. Italien hat jetzt 5,3 Prozent seiner
Gesamtbevölkerung militärisch ausgebildet; Österreich etwas weniger, nur 5,
Deutschland 6,5, Frankreich 7,8, Nußland 8,9. Die sich hieraus ergebenden
Daten für die mobilen Armeen dieser Staaten sind eben die beste Friedens-
sicherung; der Beweis ist seit drei Jahrzehnten erbracht.

Was das italienische Offizierkorps betrifft, so kann ohne Übertreibung
gesagt werden, daß es aller Achtung vollauf wert ist. Seine allgemeine wissen¬
schaftliche Bildung steht ganz entschieden höher als die des französischen; auch
seine Berufstüchtigkeit wetteifert mindestens mit ihnen. Wenn man Gelegenheit
gehabt hat, italienische und französische Offiziere im Dienste zu sehen, so füllt
einem bei diesen eine peinlich berührende Eigenschaft auf, moll ins Widers ist
die beste Bezeichnung dafür, während der Italiener mit lebensvoller Wärme
von sichtbarer und wohlthuender Rückwirkung bei der Sache ist. Einen die
soldatische Gesinnung besonders verletzenden Eindruck gewinnt man, wenn man
mit ansehen muß, wie der französische Vorgesetzte, auch der Unteroffizier, seine
Untergebnen nach den größten und anstrengendsten Manövern sich selbst über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/26>, abgerufen am 28.09.2024.