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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

zu erkennen verstanden, wurden nicht gewählt, sondern ihr aus vier oder fünf
unabsetzbaren Mitgliedern bestehendes Kollegium ergänzte sich durch Kooptation.
Ihr Einspruch unterbrach jede Staatshandlung; von ihrer Erlaubnis hing es
ab, ob eine Volksversammlung stattfinden könne; sie konnten sogar den Konsul
nötigen, sein Amt niederzulegen. "Zwar wurden einzelne Auspizien noch
immer von den Staatsbeamten ohne Zuziehung eines Augurs angestellt und
beurteilt, z. B. bei Ernennung eines Diktators oder im Felde; zwar war auch
bei den vom Augur vorgenommneu Auspizien der Staatsbeamte der Befehlende,
der Augur der Vollstreckende; aber wenn die Magistrate einmal einen Augur
beigezogen hatten, dann mußten sie auch seiner Nunziation oder Obnunziation
gehorchen. Es fand also zwischen den Magistraten und den Augurn eine
wechselseitige Abhängigkeit statt" (Döllinger). Die Haruspiees, die nicht aus
den römischen Männern gewählt sondern immer wieder von neuem aus Etrurien
bezogen wurden, wo ihre Kunst einheimisch war, hatten zunächst die Opfer¬
schau vorzunehmen, d. h. nach Beschauung der Eingeweide zu erklären, ob die
Götter dem Unternehmen günstig seien. Indes machte man dieses nicht etwa
vom Ausfall der Schau abhängig; was man beschlossen hatte, das führte man
auch aus; entweder wurde mehreren Göttern geopfert, und waren die einen
abgeneigt, so erwiesen sich die andern dafür wohlwollend, oder man "litierte,"
d. h. opferte zur Erlangung günstiger Vorzeichen so lange, bis sich der Gott
erweichen ließ und das Gewünschte spendete. Die Haruspicien hatte also nur
den Zweck, den Feldherrn wie die Soldaten -- die Unternehmungen der
Römer waren ja zumeist kriegerischer Art -- des Beistands der Götter zu ver¬
sichern und ihnen dadurch Zuversicht einzuflößen.^) Bequemer war die Deutung
des Götterwillens aus dem Fressen der heiligen Hühner, wozu der Feldherr
weder der Augurn noch der Haruspiees bedürfte. Diesen lag es außerdem
noch ob, die Prodigien zu deuten, die eine ungeheuer wichtige Rolle spielten.
Man kann im Livius nicht fünfzig Seiten lesen, ohne auf einen Bericht über
solche zu stoßen. Zunächst gehören die Sonnen- und Mondfinsternisse und
die Sternschnuppen dazu; dann aber auch die Mißgeburten von Menschen
und Tieren, endlich alle die Wunder, die der Aberglaube bei allen Völkern
zu erleben pflegt: es regnet Steine, die Götterbilder weinen oder schwitzen,
in den Bächen fließt Blut, Mäuse fressen irgend ein Heiligtum an oder
auf, Ochsen reden oder steigen aufs Dach, Hennen verwandeln sich in
Hähne. Manches davon kommt ja nicht bloß in der Einbildung von
Abergläubischen, sondern wirklich vor, aber es wird eben abergläubisch
gedeutet; so wurde, wenn der Blitz in ein öffentliches Gebäude oder gar in



") Das Volk benahm sich zuweilen den Göttern gegenüber so, wie heute noch der gemeine
Mann in Italien, der seine Heiligen prügelt; nützte in schlimmen Zeiten alles Beten und Opfern
nichts, so ward man zornig, warf die Tempel mit Steinen, riß die Altare ein und warf die
Hausgötter zum Hause hinaus- - .
Der Römerstaat

zu erkennen verstanden, wurden nicht gewählt, sondern ihr aus vier oder fünf
unabsetzbaren Mitgliedern bestehendes Kollegium ergänzte sich durch Kooptation.
Ihr Einspruch unterbrach jede Staatshandlung; von ihrer Erlaubnis hing es
ab, ob eine Volksversammlung stattfinden könne; sie konnten sogar den Konsul
nötigen, sein Amt niederzulegen. „Zwar wurden einzelne Auspizien noch
immer von den Staatsbeamten ohne Zuziehung eines Augurs angestellt und
beurteilt, z. B. bei Ernennung eines Diktators oder im Felde; zwar war auch
bei den vom Augur vorgenommneu Auspizien der Staatsbeamte der Befehlende,
der Augur der Vollstreckende; aber wenn die Magistrate einmal einen Augur
beigezogen hatten, dann mußten sie auch seiner Nunziation oder Obnunziation
gehorchen. Es fand also zwischen den Magistraten und den Augurn eine
wechselseitige Abhängigkeit statt" (Döllinger). Die Haruspiees, die nicht aus
den römischen Männern gewählt sondern immer wieder von neuem aus Etrurien
bezogen wurden, wo ihre Kunst einheimisch war, hatten zunächst die Opfer¬
schau vorzunehmen, d. h. nach Beschauung der Eingeweide zu erklären, ob die
Götter dem Unternehmen günstig seien. Indes machte man dieses nicht etwa
vom Ausfall der Schau abhängig; was man beschlossen hatte, das führte man
auch aus; entweder wurde mehreren Göttern geopfert, und waren die einen
abgeneigt, so erwiesen sich die andern dafür wohlwollend, oder man „litierte,"
d. h. opferte zur Erlangung günstiger Vorzeichen so lange, bis sich der Gott
erweichen ließ und das Gewünschte spendete. Die Haruspicien hatte also nur
den Zweck, den Feldherrn wie die Soldaten — die Unternehmungen der
Römer waren ja zumeist kriegerischer Art — des Beistands der Götter zu ver¬
sichern und ihnen dadurch Zuversicht einzuflößen.^) Bequemer war die Deutung
des Götterwillens aus dem Fressen der heiligen Hühner, wozu der Feldherr
weder der Augurn noch der Haruspiees bedürfte. Diesen lag es außerdem
noch ob, die Prodigien zu deuten, die eine ungeheuer wichtige Rolle spielten.
Man kann im Livius nicht fünfzig Seiten lesen, ohne auf einen Bericht über
solche zu stoßen. Zunächst gehören die Sonnen- und Mondfinsternisse und
die Sternschnuppen dazu; dann aber auch die Mißgeburten von Menschen
und Tieren, endlich alle die Wunder, die der Aberglaube bei allen Völkern
zu erleben pflegt: es regnet Steine, die Götterbilder weinen oder schwitzen,
in den Bächen fließt Blut, Mäuse fressen irgend ein Heiligtum an oder
auf, Ochsen reden oder steigen aufs Dach, Hennen verwandeln sich in
Hähne. Manches davon kommt ja nicht bloß in der Einbildung von
Abergläubischen, sondern wirklich vor, aber es wird eben abergläubisch
gedeutet; so wurde, wenn der Blitz in ein öffentliches Gebäude oder gar in



") Das Volk benahm sich zuweilen den Göttern gegenüber so, wie heute noch der gemeine
Mann in Italien, der seine Heiligen prügelt; nützte in schlimmen Zeiten alles Beten und Opfern
nichts, so ward man zornig, warf die Tempel mit Steinen, riß die Altare ein und warf die
Hausgötter zum Hause hinaus- - .
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/253>, abgerufen am 20.10.2024.