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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rassen und Uriege

Die große Masse bleibt vollständig stumpf. Die geknebelten Kleinrussen,
Finnländer oder Kaukasier haben zudem für großrussische Mcichterweiteruug
begreiflicherweise gar keine überflüssige Sympathie.

Vei dem russischen Heere kommen psychologisch noch folgende Umstände
in Betracht: Ihre fähigsten und gebildetsten Offiziere sind Abkömmlinge von
Deutschen. Diese sind die Elite des Offizierkorps. Sie bekleiden aber selten
die höchsten, meistens die zweiten Naugchargen. In angebornem Rassenhaß
steht ihnen eine Anzahl der höchstkommandierenden russischen Befehlshaber zur
Seite, besser gesagt "gegenüber." Was dieser Deutschenhaß den Russen vor
Plewna und am Shipkapaß gekostet hat, ist wohl kaum nach zehntausenden
zu berechnen! Wenn man aber bedenkt, wie lange die schlecht organisierten
Türken (denn damals hatte von der Goltz noch nicht sein großes Neorgnni-
sationswerk begonnen) gegen die russische Übermacht standhielten, welche un¬
glaublichen Zustände in der Armee des Zaren herrschten, so kann man einige
Bedenken über den mutmaßlichen Wert der russischen Heere gegen europäische
Truppen nicht ganz unterdrücken. Auf jeden Fall werden die Russen keinen
uneinigen Feind vor sich haben, wie in der Türkei.

Der Zusammenstoß zwischen England und Nußland hat Ähnlichkeit mit
einem Faustkampf zwischen einem ungeschlachten Niesen und einem gewandten
Faustkämpfer von Profession. Schnelligkeit und Freiheit der Muskelbewegungen
geben dem Boxer den Vorteil über rohe Kraft. Denn der englische "Walfisch"
erfreut sich der größten Bewegungsfreiheit in seinem Element, während
der russische "Elefaut" als Staatskörper betrachtet an einer Hypertrophie des
Gehirns leidet, verbunden mit einer dauernden Atrophie seines Magens
(Hungersnot, schlechte Finanzen, Armut des Mittelstandes). Ein politisch
freies und reifes Volk hat immer einen Vorsprung vor einem unmündigen,
ohne Zusammenhang, ohne Ausgleich der wirtschaftlichen Kräfte, ohne gemein¬
same Interessen zwischen Regierung und Regierten. Auf "gesunden Stoff¬
wechsel" kommt es bei staatlichen Organismen ebenso sehr an, wie bei Einzel¬
wesen. In Rußland ist der Blutumlauf langsam und stockend, im britischen
Weltreich schnell und gesund.

Darf ich aus der Kenntnis des englischen Nationalcharakters meine per¬
sönliche Ansicht äußern, so ist es diese: Wenn es Großbritannien nicht noch
im letzten Augenblick gelingt, durch Drohungen und Kraftdemonstrationen zur
See die Russen von einem Angriff abzuschrecken,") so wird an dem Tage, wo
die Kriegserklärung zwischen Slawen und Angelsachsen erfolgt ist, ein elektrischer
Schlag durch das britische Weltreich gehn, der seinen innern Zusammenhang



Die vor kurzem so energisch betriebnen englischen Flottenrüstungen bei Gelegenheit des
"Faschodaruinmels" sind auf die Initiative eines ehemaligen deutschen Kaufmanns zurück¬
zuführe"! denn der jetzige Chef der Admiralität, Mr. Mischen, ist der frühere Chef der deutschen
Firma Frühling und Göschen in London gewesen! So giebt Deutschland seine Kräfte nach
"Osten und nach Westen" ab.
Rassen und Uriege

Die große Masse bleibt vollständig stumpf. Die geknebelten Kleinrussen,
Finnländer oder Kaukasier haben zudem für großrussische Mcichterweiteruug
begreiflicherweise gar keine überflüssige Sympathie.

Vei dem russischen Heere kommen psychologisch noch folgende Umstände
in Betracht: Ihre fähigsten und gebildetsten Offiziere sind Abkömmlinge von
Deutschen. Diese sind die Elite des Offizierkorps. Sie bekleiden aber selten
die höchsten, meistens die zweiten Naugchargen. In angebornem Rassenhaß
steht ihnen eine Anzahl der höchstkommandierenden russischen Befehlshaber zur
Seite, besser gesagt „gegenüber." Was dieser Deutschenhaß den Russen vor
Plewna und am Shipkapaß gekostet hat, ist wohl kaum nach zehntausenden
zu berechnen! Wenn man aber bedenkt, wie lange die schlecht organisierten
Türken (denn damals hatte von der Goltz noch nicht sein großes Neorgnni-
sationswerk begonnen) gegen die russische Übermacht standhielten, welche un¬
glaublichen Zustände in der Armee des Zaren herrschten, so kann man einige
Bedenken über den mutmaßlichen Wert der russischen Heere gegen europäische
Truppen nicht ganz unterdrücken. Auf jeden Fall werden die Russen keinen
uneinigen Feind vor sich haben, wie in der Türkei.

Der Zusammenstoß zwischen England und Nußland hat Ähnlichkeit mit
einem Faustkampf zwischen einem ungeschlachten Niesen und einem gewandten
Faustkämpfer von Profession. Schnelligkeit und Freiheit der Muskelbewegungen
geben dem Boxer den Vorteil über rohe Kraft. Denn der englische „Walfisch"
erfreut sich der größten Bewegungsfreiheit in seinem Element, während
der russische „Elefaut" als Staatskörper betrachtet an einer Hypertrophie des
Gehirns leidet, verbunden mit einer dauernden Atrophie seines Magens
(Hungersnot, schlechte Finanzen, Armut des Mittelstandes). Ein politisch
freies und reifes Volk hat immer einen Vorsprung vor einem unmündigen,
ohne Zusammenhang, ohne Ausgleich der wirtschaftlichen Kräfte, ohne gemein¬
same Interessen zwischen Regierung und Regierten. Auf „gesunden Stoff¬
wechsel" kommt es bei staatlichen Organismen ebenso sehr an, wie bei Einzel¬
wesen. In Rußland ist der Blutumlauf langsam und stockend, im britischen
Weltreich schnell und gesund.

Darf ich aus der Kenntnis des englischen Nationalcharakters meine per¬
sönliche Ansicht äußern, so ist es diese: Wenn es Großbritannien nicht noch
im letzten Augenblick gelingt, durch Drohungen und Kraftdemonstrationen zur
See die Russen von einem Angriff abzuschrecken,") so wird an dem Tage, wo
die Kriegserklärung zwischen Slawen und Angelsachsen erfolgt ist, ein elektrischer
Schlag durch das britische Weltreich gehn, der seinen innern Zusammenhang



Die vor kurzem so energisch betriebnen englischen Flottenrüstungen bei Gelegenheit des
„Faschodaruinmels" sind auf die Initiative eines ehemaligen deutschen Kaufmanns zurück¬
zuführe»! denn der jetzige Chef der Admiralität, Mr. Mischen, ist der frühere Chef der deutschen
Firma Frühling und Göschen in London gewesen! So giebt Deutschland seine Kräfte nach
„Osten und nach Westen" ab.
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[0248] Rassen und Uriege Die große Masse bleibt vollständig stumpf. Die geknebelten Kleinrussen, Finnländer oder Kaukasier haben zudem für großrussische Mcichterweiteruug begreiflicherweise gar keine überflüssige Sympathie. Vei dem russischen Heere kommen psychologisch noch folgende Umstände in Betracht: Ihre fähigsten und gebildetsten Offiziere sind Abkömmlinge von Deutschen. Diese sind die Elite des Offizierkorps. Sie bekleiden aber selten die höchsten, meistens die zweiten Naugchargen. In angebornem Rassenhaß steht ihnen eine Anzahl der höchstkommandierenden russischen Befehlshaber zur Seite, besser gesagt „gegenüber." Was dieser Deutschenhaß den Russen vor Plewna und am Shipkapaß gekostet hat, ist wohl kaum nach zehntausenden zu berechnen! Wenn man aber bedenkt, wie lange die schlecht organisierten Türken (denn damals hatte von der Goltz noch nicht sein großes Neorgnni- sationswerk begonnen) gegen die russische Übermacht standhielten, welche un¬ glaublichen Zustände in der Armee des Zaren herrschten, so kann man einige Bedenken über den mutmaßlichen Wert der russischen Heere gegen europäische Truppen nicht ganz unterdrücken. Auf jeden Fall werden die Russen keinen uneinigen Feind vor sich haben, wie in der Türkei. Der Zusammenstoß zwischen England und Nußland hat Ähnlichkeit mit einem Faustkampf zwischen einem ungeschlachten Niesen und einem gewandten Faustkämpfer von Profession. Schnelligkeit und Freiheit der Muskelbewegungen geben dem Boxer den Vorteil über rohe Kraft. Denn der englische „Walfisch" erfreut sich der größten Bewegungsfreiheit in seinem Element, während der russische „Elefaut" als Staatskörper betrachtet an einer Hypertrophie des Gehirns leidet, verbunden mit einer dauernden Atrophie seines Magens (Hungersnot, schlechte Finanzen, Armut des Mittelstandes). Ein politisch freies und reifes Volk hat immer einen Vorsprung vor einem unmündigen, ohne Zusammenhang, ohne Ausgleich der wirtschaftlichen Kräfte, ohne gemein¬ same Interessen zwischen Regierung und Regierten. Auf „gesunden Stoff¬ wechsel" kommt es bei staatlichen Organismen ebenso sehr an, wie bei Einzel¬ wesen. In Rußland ist der Blutumlauf langsam und stockend, im britischen Weltreich schnell und gesund. Darf ich aus der Kenntnis des englischen Nationalcharakters meine per¬ sönliche Ansicht äußern, so ist es diese: Wenn es Großbritannien nicht noch im letzten Augenblick gelingt, durch Drohungen und Kraftdemonstrationen zur See die Russen von einem Angriff abzuschrecken,") so wird an dem Tage, wo die Kriegserklärung zwischen Slawen und Angelsachsen erfolgt ist, ein elektrischer Schlag durch das britische Weltreich gehn, der seinen innern Zusammenhang Die vor kurzem so energisch betriebnen englischen Flottenrüstungen bei Gelegenheit des „Faschodaruinmels" sind auf die Initiative eines ehemaligen deutschen Kaufmanns zurück¬ zuführe»! denn der jetzige Chef der Admiralität, Mr. Mischen, ist der frühere Chef der deutschen Firma Frühling und Göschen in London gewesen! So giebt Deutschland seine Kräfte nach „Osten und nach Westen" ab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/248>, abgerufen am 28.09.2024.