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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rassen und Kriege

zeichnend für seine Auffassungsweise. Als die böhmischen Schlachten geschlagen
waren, redete man sich in Österreich auf die preußischen Zündnadelgewehre
heraus und versuchte die Niederlage von Königgrütz mit dieser Überlegenheit
der preußischen Waffen zu bemänteln, obwohl von preußischer Seite vier Armee¬
korps gegen sieben von acht Uhr morgens bis gegen ein Uhr mittags eine
Angriffsschlacht führen mußten gegen eine Stellung, die von ganz ausgezeich¬
neter, dazu an Zahl weit überlegner Artillerie unterstützt wurde. Warum
hat denn vier Jahre später die überlegne französische Infanteriewaffe nicht
gleiches mit gleichem vergolten und Rache für Sadowa genommen? Kurz
vor Ausbruch des Krieges dachte man in Preußen an eine Verbesserung der
Waffe. Da kam die französische Kriegserklärung dazwischen, und nun blieb
es beim alten Gewehr. Warum? Unsre Soldaten kannten ihre Waffe und
hatten sich an ihren Gebrauch gewöhnt. Der Feind hatte weittragende Ge¬
schosse, gegen die unsre Infanterie erst auf etwa dreihundert Meter wirken
konnte. Grund gering für uns, das eigne Pulver nicht nutzlos zu verkrallen,
sondern möglichst rasch an den Feind zu kommen. Wer kann sagen, wie weit
unsre Erfolge im letzten Grunde auf diese moralische Seite der altpreußischen
Tradition des Drauflosgchns zurückzuführen sind? Oder siegte 1870 wirklich
nur die bessere Marschdisziplin, wie Dr. Peters anzunehmen scheint in seinem
Brief an die Magdeburgische Zeitung? Wer die Spicherer Höhen gesehen hat,
wird wissen, daß sie etwas zu uneben und steil sind, als daß sie eine schnur¬
gerade Marschlinie zulassen könnten. Die Pommern sind jedenfalls nicht da
hinauf marschiert, sondern gelaufen lind geklettert, so gut sie konnten. Und
das rücksichtslose Vordringen und Sichopfern der preußischen Garden gegen
die unabsehbaren Linien der Chassepots bei Se. Privat la Montagne hatte die
weite, offne Strecke des von Heldenblut getränkten Feldes vorgearbeitet, damit
das tapfre 12. Armeekorps die Entscheidung gegen Abend herbeiführen konnte.
Diese Dinge haben mit Parademarsch und Kasernendisziplin unmittelbar gar
nichts zu thun. Mittelbar stehn sie freilich unter einander vielfach im Zu¬
sammenhang.

Die moralische, also seelische Wirkung eines heroischen Angriffs gegen
bessere, weittragendere Waffen hat schon oft das Vertrauen des Verteidigers
in seine bessern Waffen erschüttert und eine Panik verursacht. Ein mit eiserner
Entschlossenheit unter Benutzung aller Vorsichtsmaßregeln, sowie Terrain- und
Deckungsvorteile ausgeführter Angriff wird wohl unter allen Umständen seine
Geltung behalten, wie sehr auch die moderne Waffentechnik die Kampfmittel
verbessern mag. Daß in künftigen Kriegen die entscheidenden Schlachten jemals
ganz aus der Entfernung geschlagen werden können, sozusagen "ohne daß man
den Feind sieht," scheint'doch ^ ähnlich wie das ewige Prophezeien hinsichtlich
der Wertlosigkeit der Reiterei-- auch eine von den grauen Theorie", die die
Praxis gründlich korrigieren wird. Noch so vollkommne Zerstörnngswerkzenge


Rassen und Kriege

zeichnend für seine Auffassungsweise. Als die böhmischen Schlachten geschlagen
waren, redete man sich in Österreich auf die preußischen Zündnadelgewehre
heraus und versuchte die Niederlage von Königgrütz mit dieser Überlegenheit
der preußischen Waffen zu bemänteln, obwohl von preußischer Seite vier Armee¬
korps gegen sieben von acht Uhr morgens bis gegen ein Uhr mittags eine
Angriffsschlacht führen mußten gegen eine Stellung, die von ganz ausgezeich¬
neter, dazu an Zahl weit überlegner Artillerie unterstützt wurde. Warum
hat denn vier Jahre später die überlegne französische Infanteriewaffe nicht
gleiches mit gleichem vergolten und Rache für Sadowa genommen? Kurz
vor Ausbruch des Krieges dachte man in Preußen an eine Verbesserung der
Waffe. Da kam die französische Kriegserklärung dazwischen, und nun blieb
es beim alten Gewehr. Warum? Unsre Soldaten kannten ihre Waffe und
hatten sich an ihren Gebrauch gewöhnt. Der Feind hatte weittragende Ge¬
schosse, gegen die unsre Infanterie erst auf etwa dreihundert Meter wirken
konnte. Grund gering für uns, das eigne Pulver nicht nutzlos zu verkrallen,
sondern möglichst rasch an den Feind zu kommen. Wer kann sagen, wie weit
unsre Erfolge im letzten Grunde auf diese moralische Seite der altpreußischen
Tradition des Drauflosgchns zurückzuführen sind? Oder siegte 1870 wirklich
nur die bessere Marschdisziplin, wie Dr. Peters anzunehmen scheint in seinem
Brief an die Magdeburgische Zeitung? Wer die Spicherer Höhen gesehen hat,
wird wissen, daß sie etwas zu uneben und steil sind, als daß sie eine schnur¬
gerade Marschlinie zulassen könnten. Die Pommern sind jedenfalls nicht da
hinauf marschiert, sondern gelaufen lind geklettert, so gut sie konnten. Und
das rücksichtslose Vordringen und Sichopfern der preußischen Garden gegen
die unabsehbaren Linien der Chassepots bei Se. Privat la Montagne hatte die
weite, offne Strecke des von Heldenblut getränkten Feldes vorgearbeitet, damit
das tapfre 12. Armeekorps die Entscheidung gegen Abend herbeiführen konnte.
Diese Dinge haben mit Parademarsch und Kasernendisziplin unmittelbar gar
nichts zu thun. Mittelbar stehn sie freilich unter einander vielfach im Zu¬
sammenhang.

Die moralische, also seelische Wirkung eines heroischen Angriffs gegen
bessere, weittragendere Waffen hat schon oft das Vertrauen des Verteidigers
in seine bessern Waffen erschüttert und eine Panik verursacht. Ein mit eiserner
Entschlossenheit unter Benutzung aller Vorsichtsmaßregeln, sowie Terrain- und
Deckungsvorteile ausgeführter Angriff wird wohl unter allen Umständen seine
Geltung behalten, wie sehr auch die moderne Waffentechnik die Kampfmittel
verbessern mag. Daß in künftigen Kriegen die entscheidenden Schlachten jemals
ganz aus der Entfernung geschlagen werden können, sozusagen „ohne daß man
den Feind sieht," scheint'doch ^ ähnlich wie das ewige Prophezeien hinsichtlich
der Wertlosigkeit der Reiterei— auch eine von den grauen Theorie», die die
Praxis gründlich korrigieren wird. Noch so vollkommne Zerstörnngswerkzenge


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[0244] Rassen und Kriege zeichnend für seine Auffassungsweise. Als die böhmischen Schlachten geschlagen waren, redete man sich in Österreich auf die preußischen Zündnadelgewehre heraus und versuchte die Niederlage von Königgrütz mit dieser Überlegenheit der preußischen Waffen zu bemänteln, obwohl von preußischer Seite vier Armee¬ korps gegen sieben von acht Uhr morgens bis gegen ein Uhr mittags eine Angriffsschlacht führen mußten gegen eine Stellung, die von ganz ausgezeich¬ neter, dazu an Zahl weit überlegner Artillerie unterstützt wurde. Warum hat denn vier Jahre später die überlegne französische Infanteriewaffe nicht gleiches mit gleichem vergolten und Rache für Sadowa genommen? Kurz vor Ausbruch des Krieges dachte man in Preußen an eine Verbesserung der Waffe. Da kam die französische Kriegserklärung dazwischen, und nun blieb es beim alten Gewehr. Warum? Unsre Soldaten kannten ihre Waffe und hatten sich an ihren Gebrauch gewöhnt. Der Feind hatte weittragende Ge¬ schosse, gegen die unsre Infanterie erst auf etwa dreihundert Meter wirken konnte. Grund gering für uns, das eigne Pulver nicht nutzlos zu verkrallen, sondern möglichst rasch an den Feind zu kommen. Wer kann sagen, wie weit unsre Erfolge im letzten Grunde auf diese moralische Seite der altpreußischen Tradition des Drauflosgchns zurückzuführen sind? Oder siegte 1870 wirklich nur die bessere Marschdisziplin, wie Dr. Peters anzunehmen scheint in seinem Brief an die Magdeburgische Zeitung? Wer die Spicherer Höhen gesehen hat, wird wissen, daß sie etwas zu uneben und steil sind, als daß sie eine schnur¬ gerade Marschlinie zulassen könnten. Die Pommern sind jedenfalls nicht da hinauf marschiert, sondern gelaufen lind geklettert, so gut sie konnten. Und das rücksichtslose Vordringen und Sichopfern der preußischen Garden gegen die unabsehbaren Linien der Chassepots bei Se. Privat la Montagne hatte die weite, offne Strecke des von Heldenblut getränkten Feldes vorgearbeitet, damit das tapfre 12. Armeekorps die Entscheidung gegen Abend herbeiführen konnte. Diese Dinge haben mit Parademarsch und Kasernendisziplin unmittelbar gar nichts zu thun. Mittelbar stehn sie freilich unter einander vielfach im Zu¬ sammenhang. Die moralische, also seelische Wirkung eines heroischen Angriffs gegen bessere, weittragendere Waffen hat schon oft das Vertrauen des Verteidigers in seine bessern Waffen erschüttert und eine Panik verursacht. Ein mit eiserner Entschlossenheit unter Benutzung aller Vorsichtsmaßregeln, sowie Terrain- und Deckungsvorteile ausgeführter Angriff wird wohl unter allen Umständen seine Geltung behalten, wie sehr auch die moderne Waffentechnik die Kampfmittel verbessern mag. Daß in künftigen Kriegen die entscheidenden Schlachten jemals ganz aus der Entfernung geschlagen werden können, sozusagen „ohne daß man den Feind sieht," scheint'doch ^ ähnlich wie das ewige Prophezeien hinsichtlich der Wertlosigkeit der Reiterei— auch eine von den grauen Theorie», die die Praxis gründlich korrigieren wird. Noch so vollkommne Zerstörnngswerkzenge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/244>, abgerufen am 28.09.2024.