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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Streitkräfte Italiens

zusehen Nasse, daß die geringste Verleugnung der una von den folgen¬
schwersten Erschütterungen begleitet wäre, haben das Reich davor bewahrt, in
den Fehler zu fallen, gerade die Einrichtung, die die mächtigste und sicherste
Grundlage der Staatseinheit schafft, die gesamte Streitmacht zu Wasser und
zu Lande, zu schmälern. Keins der zahlreichen Ministerien, die seit 1870 nach
einander gefolgt sind, hat die Verantwortung übernehmen wollen, das Militär¬
budget zu beschneiden. Und wenn zuweilen ein obskurer Parlamentarier seinen
Eintritt in die Negierung von der Zusicherung größter Sparsamkeit abhängig
machte, so war dies immer nur eine landesübliche Gepflogenheit, dazu bestimmt,
den Sprung etwas kleiner erscheinen zu lassen, der in Italien von einem Par¬
lamentssitz bis auf einen Ministersessel mitunter sehr groß ist. Als Minister
kommt er zu der Überzeugung, daß "schlecht aber billig" nirgends so ver¬
hängnisvoll ist, als bei der Erhaltung der Wehrfähigkeit.

Ein Staat, der auf seine Souveränität nicht verzichten will, muß sich
das Necht nehmen, Krieg zu führen, und dcizn ist notwendig, daß er Schild
und Speer scharf und blank erhält. Gut für ihn, wenn er Freunde und Ver¬
bündete hat, besser, wenn er sie nicht braucht. Aber auch auf einen wirklich
wertvollen und praktischen Rückhalt an Verbündeten kann nur der Staat
rechnen, der selbst bündnisfühig ist. Und daher muß der Staat sein Heer so
organisieren, daß es unter allen Verhältnissen schlagfertig ist und von partei¬
politischer Einflüssen und Rücksichten vollständig verschont bleibt. Nur noch
das Heer hält heute den sonst in allen Fugen krachenden Donaukaiserstaat zu¬
sammen und sichert Europa vor unabsehbaren Kriegswesen; eben weil auch
das österreichische Heer frei ist von dem heillosen Hader, und sich in ihm alle
Stämme zu gemeinsamem Zwecke zusammenfinden, den Kaiser zu schützen und
das Polyglotte Reich vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Ganz anders
liegen die Dinge in Frankreich, wo trotz einer äußerst vollkommnen Zentrali-
sation des Reiches, die die jedes andern Knlturstaats weit übertrifft, die heil¬
loseste Verwirrung in der Armee herrscht, eben weil sich das Heer von der
Politik nicht frei hält. Keinem französischen Herrscher seit 17L3 ist es mehr
gelungen, im Heere lediglich einen rein militärischen Geist zu pflegen. Selbst
der "Abgott" seiner Soldaten, Napoleon I., mußte mit unzähligen politischen
Strömungen rechnen. In dem Augenblick, als sich bei Wagram der Sieg auf
seine Seite neigte, bewahrte ihn fast ein Wunder vor dem Todesstoße, den
einer seiner Offiziere gegen ihn zu führen bestimmt war. Dort fand er auch
den Vorschlag der in Paris zurückgebliebnen Generale und andrer hoher Offiziere
schwarz auf weiß: "Nähe das Ungeheuer in einen Sack und werft es in die
Donau!"

Man kann nicht genug staunen über die bewegliche Empfänglichkeit, die
das französische Offizierkorps in den letzten hundert Jahren für die politischen
Eindrücke jeder Situation bethätigte. Abenteurer kommen und gehn, in einem


Die Streitkräfte Italiens

zusehen Nasse, daß die geringste Verleugnung der una von den folgen¬
schwersten Erschütterungen begleitet wäre, haben das Reich davor bewahrt, in
den Fehler zu fallen, gerade die Einrichtung, die die mächtigste und sicherste
Grundlage der Staatseinheit schafft, die gesamte Streitmacht zu Wasser und
zu Lande, zu schmälern. Keins der zahlreichen Ministerien, die seit 1870 nach
einander gefolgt sind, hat die Verantwortung übernehmen wollen, das Militär¬
budget zu beschneiden. Und wenn zuweilen ein obskurer Parlamentarier seinen
Eintritt in die Negierung von der Zusicherung größter Sparsamkeit abhängig
machte, so war dies immer nur eine landesübliche Gepflogenheit, dazu bestimmt,
den Sprung etwas kleiner erscheinen zu lassen, der in Italien von einem Par¬
lamentssitz bis auf einen Ministersessel mitunter sehr groß ist. Als Minister
kommt er zu der Überzeugung, daß „schlecht aber billig" nirgends so ver¬
hängnisvoll ist, als bei der Erhaltung der Wehrfähigkeit.

Ein Staat, der auf seine Souveränität nicht verzichten will, muß sich
das Necht nehmen, Krieg zu führen, und dcizn ist notwendig, daß er Schild
und Speer scharf und blank erhält. Gut für ihn, wenn er Freunde und Ver¬
bündete hat, besser, wenn er sie nicht braucht. Aber auch auf einen wirklich
wertvollen und praktischen Rückhalt an Verbündeten kann nur der Staat
rechnen, der selbst bündnisfühig ist. Und daher muß der Staat sein Heer so
organisieren, daß es unter allen Verhältnissen schlagfertig ist und von partei¬
politischer Einflüssen und Rücksichten vollständig verschont bleibt. Nur noch
das Heer hält heute den sonst in allen Fugen krachenden Donaukaiserstaat zu¬
sammen und sichert Europa vor unabsehbaren Kriegswesen; eben weil auch
das österreichische Heer frei ist von dem heillosen Hader, und sich in ihm alle
Stämme zu gemeinsamem Zwecke zusammenfinden, den Kaiser zu schützen und
das Polyglotte Reich vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Ganz anders
liegen die Dinge in Frankreich, wo trotz einer äußerst vollkommnen Zentrali-
sation des Reiches, die die jedes andern Knlturstaats weit übertrifft, die heil¬
loseste Verwirrung in der Armee herrscht, eben weil sich das Heer von der
Politik nicht frei hält. Keinem französischen Herrscher seit 17L3 ist es mehr
gelungen, im Heere lediglich einen rein militärischen Geist zu pflegen. Selbst
der „Abgott" seiner Soldaten, Napoleon I., mußte mit unzähligen politischen
Strömungen rechnen. In dem Augenblick, als sich bei Wagram der Sieg auf
seine Seite neigte, bewahrte ihn fast ein Wunder vor dem Todesstoße, den
einer seiner Offiziere gegen ihn zu führen bestimmt war. Dort fand er auch
den Vorschlag der in Paris zurückgebliebnen Generale und andrer hoher Offiziere
schwarz auf weiß: „Nähe das Ungeheuer in einen Sack und werft es in die
Donau!"

Man kann nicht genug staunen über die bewegliche Empfänglichkeit, die
das französische Offizierkorps in den letzten hundert Jahren für die politischen
Eindrücke jeder Situation bethätigte. Abenteurer kommen und gehn, in einem


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[0024] Die Streitkräfte Italiens zusehen Nasse, daß die geringste Verleugnung der una von den folgen¬ schwersten Erschütterungen begleitet wäre, haben das Reich davor bewahrt, in den Fehler zu fallen, gerade die Einrichtung, die die mächtigste und sicherste Grundlage der Staatseinheit schafft, die gesamte Streitmacht zu Wasser und zu Lande, zu schmälern. Keins der zahlreichen Ministerien, die seit 1870 nach einander gefolgt sind, hat die Verantwortung übernehmen wollen, das Militär¬ budget zu beschneiden. Und wenn zuweilen ein obskurer Parlamentarier seinen Eintritt in die Negierung von der Zusicherung größter Sparsamkeit abhängig machte, so war dies immer nur eine landesübliche Gepflogenheit, dazu bestimmt, den Sprung etwas kleiner erscheinen zu lassen, der in Italien von einem Par¬ lamentssitz bis auf einen Ministersessel mitunter sehr groß ist. Als Minister kommt er zu der Überzeugung, daß „schlecht aber billig" nirgends so ver¬ hängnisvoll ist, als bei der Erhaltung der Wehrfähigkeit. Ein Staat, der auf seine Souveränität nicht verzichten will, muß sich das Necht nehmen, Krieg zu führen, und dcizn ist notwendig, daß er Schild und Speer scharf und blank erhält. Gut für ihn, wenn er Freunde und Ver¬ bündete hat, besser, wenn er sie nicht braucht. Aber auch auf einen wirklich wertvollen und praktischen Rückhalt an Verbündeten kann nur der Staat rechnen, der selbst bündnisfühig ist. Und daher muß der Staat sein Heer so organisieren, daß es unter allen Verhältnissen schlagfertig ist und von partei¬ politischer Einflüssen und Rücksichten vollständig verschont bleibt. Nur noch das Heer hält heute den sonst in allen Fugen krachenden Donaukaiserstaat zu¬ sammen und sichert Europa vor unabsehbaren Kriegswesen; eben weil auch das österreichische Heer frei ist von dem heillosen Hader, und sich in ihm alle Stämme zu gemeinsamem Zwecke zusammenfinden, den Kaiser zu schützen und das Polyglotte Reich vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Ganz anders liegen die Dinge in Frankreich, wo trotz einer äußerst vollkommnen Zentrali- sation des Reiches, die die jedes andern Knlturstaats weit übertrifft, die heil¬ loseste Verwirrung in der Armee herrscht, eben weil sich das Heer von der Politik nicht frei hält. Keinem französischen Herrscher seit 17L3 ist es mehr gelungen, im Heere lediglich einen rein militärischen Geist zu pflegen. Selbst der „Abgott" seiner Soldaten, Napoleon I., mußte mit unzähligen politischen Strömungen rechnen. In dem Augenblick, als sich bei Wagram der Sieg auf seine Seite neigte, bewahrte ihn fast ein Wunder vor dem Todesstoße, den einer seiner Offiziere gegen ihn zu führen bestimmt war. Dort fand er auch den Vorschlag der in Paris zurückgebliebnen Generale und andrer hoher Offiziere schwarz auf weiß: „Nähe das Ungeheuer in einen Sack und werft es in die Donau!" Man kann nicht genug staunen über die bewegliche Empfänglichkeit, die das französische Offizierkorps in den letzten hundert Jahren für die politischen Eindrücke jeder Situation bethätigte. Abenteurer kommen und gehn, in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/24>, abgerufen am 28.09.2024.