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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Gegen seine deutsche Politik focht unter Friedrich Wilhelm I V. die konservativ-
doktrinäre "Camarilla," unter der Regentschaft und in den ersten Jahren
Wilhelms I. mit der parlamentarischen Demokratie thatsächlich verbündet eine
starke höfische Partei, die an der Königin und dem Kronprinzen mit seiner
Gemahlin eine Stütze fand, und diese Partei ist auch später so ziemlich in allen
wichtigen Fragen seine entschiedne Gegnerin geblieben. Dazu wurde die Ein¬
heitlichkeit der Staatsleitung bestündig von dem Partikularismus der Ressorts
gestört, seine eigne Politik beständig gekreuzt, weshalb er diesen Verhältnissen
in den Gedanken und Erinnerungen ein ganzes Kapitel, das 27., widmet.
Selbst seines Königs und Kaisers war er unter diesen von allen Seiten be¬
ständig eindringenden Einflüssen nicht in jedem einzelnen Falle sicher; nur in
beständigen Kämpfen konnten sich diese beiden starken Charaktere immer wieder zu¬
sammenfinden, und die große Frage, wie die Macht des Monarchen und des
leitenden Ministers abzugrenzen sei, ist auch von Bismarck niemals grundsätzlich
gelöst worden, weil sie unlösbar ist. Kurz der gewaltige Mann, der Deutschland
einigte und Europa eine neue Ordnung auferlegte, ist, so wenig wie er jemals eine
sichre Mehrheit im Reichstage erlangte, seiner amtlichen Stellung niemals ganz
sicher gewesen. Er hat sie festgehalten mit aller Kraft, nicht aus Ehrgeiz,
sondern aus Pflichtgefühl, aus Liebe zu seinem alten Herrn, als seines "Kaisers
treuer deutscher Diener," als seines angestammten Königs altmürkischer Vasall.

Wie hätte ein solcher Mann zu einem objektiven sachlichen Urteil über
seine alten Gegner gelangen können! Er identifiziert sich vielmehr so mit
der Sache, die er vertreten hat, und die nnr er so vertreten konnte, daß seine
sachlichen Gegner als seine persönlichen Feinde erscheinen, und er will natürlich
auch, daß seine Leser die Dinge so auffassen wie er selbst. Daher das herbe
Urteil über fast alle, auch wenn sie dem Herrscherhause angehören. In der
Art, wie er in dem 16. Kapitel "Danziger Episode" den damaligen Kron¬
prinzen behandelt, liegt etwas Schonungsloses, und man kann wohl fragen,
ob das notwendig war; anch das Schlußkapitel "Kaiser Friedrich III." schwächt
diesen Eindruck nur wenig ab. Viel herber noch und schwerlich gerecht wird
durch das ganze Buch die Königin und Kaiserin Augusta behandelt; die stolze,
kluge und auf ihren Einfluß eifersüchtige Dame erscheint die ganze Zeit hin¬
durch als seine konsequenteste Gegnerin, die ihm seine Politik muss äußerste
erschwerte, da sich um sie alle Opposition. die liberale wie die konservative
und klerikale, gewissermaßen krystallisierte (II, 286). Um so wohlthuender
hebt sich die herrliche Charakteristik Wilhelms I. ab (Kap. 32), das schönste
litterarische Denkmal, das ihm gesetzt werden konnte, und das nnr dieser Dar¬
steller ihm setzen konnte.

Es ist das gute Recht aller Denkwürdigkeiten, also auch der "Gedanken
und Erinnerungen," nicht nur die Persönlichkeit des Erzählers stark hervor¬
treten zu lassen, sondern auch sein persönliches Urteil rückhaltlos zur Geltung


Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Gegen seine deutsche Politik focht unter Friedrich Wilhelm I V. die konservativ-
doktrinäre „Camarilla," unter der Regentschaft und in den ersten Jahren
Wilhelms I. mit der parlamentarischen Demokratie thatsächlich verbündet eine
starke höfische Partei, die an der Königin und dem Kronprinzen mit seiner
Gemahlin eine Stütze fand, und diese Partei ist auch später so ziemlich in allen
wichtigen Fragen seine entschiedne Gegnerin geblieben. Dazu wurde die Ein¬
heitlichkeit der Staatsleitung bestündig von dem Partikularismus der Ressorts
gestört, seine eigne Politik beständig gekreuzt, weshalb er diesen Verhältnissen
in den Gedanken und Erinnerungen ein ganzes Kapitel, das 27., widmet.
Selbst seines Königs und Kaisers war er unter diesen von allen Seiten be¬
ständig eindringenden Einflüssen nicht in jedem einzelnen Falle sicher; nur in
beständigen Kämpfen konnten sich diese beiden starken Charaktere immer wieder zu¬
sammenfinden, und die große Frage, wie die Macht des Monarchen und des
leitenden Ministers abzugrenzen sei, ist auch von Bismarck niemals grundsätzlich
gelöst worden, weil sie unlösbar ist. Kurz der gewaltige Mann, der Deutschland
einigte und Europa eine neue Ordnung auferlegte, ist, so wenig wie er jemals eine
sichre Mehrheit im Reichstage erlangte, seiner amtlichen Stellung niemals ganz
sicher gewesen. Er hat sie festgehalten mit aller Kraft, nicht aus Ehrgeiz,
sondern aus Pflichtgefühl, aus Liebe zu seinem alten Herrn, als seines „Kaisers
treuer deutscher Diener," als seines angestammten Königs altmürkischer Vasall.

Wie hätte ein solcher Mann zu einem objektiven sachlichen Urteil über
seine alten Gegner gelangen können! Er identifiziert sich vielmehr so mit
der Sache, die er vertreten hat, und die nnr er so vertreten konnte, daß seine
sachlichen Gegner als seine persönlichen Feinde erscheinen, und er will natürlich
auch, daß seine Leser die Dinge so auffassen wie er selbst. Daher das herbe
Urteil über fast alle, auch wenn sie dem Herrscherhause angehören. In der
Art, wie er in dem 16. Kapitel „Danziger Episode" den damaligen Kron¬
prinzen behandelt, liegt etwas Schonungsloses, und man kann wohl fragen,
ob das notwendig war; anch das Schlußkapitel „Kaiser Friedrich III." schwächt
diesen Eindruck nur wenig ab. Viel herber noch und schwerlich gerecht wird
durch das ganze Buch die Königin und Kaiserin Augusta behandelt; die stolze,
kluge und auf ihren Einfluß eifersüchtige Dame erscheint die ganze Zeit hin¬
durch als seine konsequenteste Gegnerin, die ihm seine Politik muss äußerste
erschwerte, da sich um sie alle Opposition. die liberale wie die konservative
und klerikale, gewissermaßen krystallisierte (II, 286). Um so wohlthuender
hebt sich die herrliche Charakteristik Wilhelms I. ab (Kap. 32), das schönste
litterarische Denkmal, das ihm gesetzt werden konnte, und das nnr dieser Dar¬
steller ihm setzen konnte.

Es ist das gute Recht aller Denkwürdigkeiten, also auch der „Gedanken
und Erinnerungen," nicht nur die Persönlichkeit des Erzählers stark hervor¬
treten zu lassen, sondern auch sein persönliches Urteil rückhaltlos zur Geltung


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[0021] Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Gegen seine deutsche Politik focht unter Friedrich Wilhelm I V. die konservativ- doktrinäre „Camarilla," unter der Regentschaft und in den ersten Jahren Wilhelms I. mit der parlamentarischen Demokratie thatsächlich verbündet eine starke höfische Partei, die an der Königin und dem Kronprinzen mit seiner Gemahlin eine Stütze fand, und diese Partei ist auch später so ziemlich in allen wichtigen Fragen seine entschiedne Gegnerin geblieben. Dazu wurde die Ein¬ heitlichkeit der Staatsleitung bestündig von dem Partikularismus der Ressorts gestört, seine eigne Politik beständig gekreuzt, weshalb er diesen Verhältnissen in den Gedanken und Erinnerungen ein ganzes Kapitel, das 27., widmet. Selbst seines Königs und Kaisers war er unter diesen von allen Seiten be¬ ständig eindringenden Einflüssen nicht in jedem einzelnen Falle sicher; nur in beständigen Kämpfen konnten sich diese beiden starken Charaktere immer wieder zu¬ sammenfinden, und die große Frage, wie die Macht des Monarchen und des leitenden Ministers abzugrenzen sei, ist auch von Bismarck niemals grundsätzlich gelöst worden, weil sie unlösbar ist. Kurz der gewaltige Mann, der Deutschland einigte und Europa eine neue Ordnung auferlegte, ist, so wenig wie er jemals eine sichre Mehrheit im Reichstage erlangte, seiner amtlichen Stellung niemals ganz sicher gewesen. Er hat sie festgehalten mit aller Kraft, nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Pflichtgefühl, aus Liebe zu seinem alten Herrn, als seines „Kaisers treuer deutscher Diener," als seines angestammten Königs altmürkischer Vasall. Wie hätte ein solcher Mann zu einem objektiven sachlichen Urteil über seine alten Gegner gelangen können! Er identifiziert sich vielmehr so mit der Sache, die er vertreten hat, und die nnr er so vertreten konnte, daß seine sachlichen Gegner als seine persönlichen Feinde erscheinen, und er will natürlich auch, daß seine Leser die Dinge so auffassen wie er selbst. Daher das herbe Urteil über fast alle, auch wenn sie dem Herrscherhause angehören. In der Art, wie er in dem 16. Kapitel „Danziger Episode" den damaligen Kron¬ prinzen behandelt, liegt etwas Schonungsloses, und man kann wohl fragen, ob das notwendig war; anch das Schlußkapitel „Kaiser Friedrich III." schwächt diesen Eindruck nur wenig ab. Viel herber noch und schwerlich gerecht wird durch das ganze Buch die Königin und Kaiserin Augusta behandelt; die stolze, kluge und auf ihren Einfluß eifersüchtige Dame erscheint die ganze Zeit hin¬ durch als seine konsequenteste Gegnerin, die ihm seine Politik muss äußerste erschwerte, da sich um sie alle Opposition. die liberale wie die konservative und klerikale, gewissermaßen krystallisierte (II, 286). Um so wohlthuender hebt sich die herrliche Charakteristik Wilhelms I. ab (Kap. 32), das schönste litterarische Denkmal, das ihm gesetzt werden konnte, und das nnr dieser Dar¬ steller ihm setzen konnte. Es ist das gute Recht aller Denkwürdigkeiten, also auch der „Gedanken und Erinnerungen," nicht nur die Persönlichkeit des Erzählers stark hervor¬ treten zu lassen, sondern auch sein persönliches Urteil rückhaltlos zur Geltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/21>, abgerufen am 28.09.2024.