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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Bernstein als Stoff für das Rnnstgewerbe

Einnahme aus dem Regal, früher unbedeutend, ist jetzt für den Staat be¬
trächtlich geworden. Zugleich haben es die Unternehmer verstanden, einer
Wertverminderung der häusiger gewordnen Ware durch eine bessere Zurichtung
und Sortierung, sowie dadurch zu begegnen, daß sie dieser Ware immer neue
Absatzquellen in andern Erdteilen erschlossen.

Eine zweite Gefahr der Wertverminderung erwuchs der Bernsteinware
durch das 1879 in Österreich erfundne Ambroid oder den Preßbernstein. Durch
ein besondres Verfahren gelang es, bei starkem Druck und gleichzeitiger Er¬
hitzung kleinere Bernsteinstücke zu großen Platten so zusammenzuschweißen, daß
sie sich von dem Naturbernstein kaum unterscheiden lassen. Durch dieses
Fabrikat wird insbesondre der Preis der wertvollern größern Bernsteinstücke
bedroht, um so mehr, als sich der Preßbernstein wegen seiner Gleichmäßigkeit
vorteilhafter verarbeiten läßt als der vielfach ungleichmüßige Naturbernstein.
Der Anreiz, die kleinern Bernsteinsorten mit großem Gewinn an die Ambroid-
fabritanten zu verkaufen, hat, wie bekannt, zu einem Streit zwischen den Inter-
essen der Bernsteingewinnungsunteruehmer -- die den Preis des Materials
zu halten suchten -- und ihren Abnehmern geführt, die aus dem Verkauf der
kleinern, zur Verarbeitung abgegebnen Stücke an die Ambroidfabrikanten großen
Vorteil zogen. Der Gegensatz der Interessen kam in dem bekannten, von beiden
Seiten mit Hartnäckigkeit im Jahre 1396 geführten Rechtshändel zum Aus¬
bruch, durch dessen Verlauf die öffentliche Meinung seinerzeit sehr erregt wurde.
Jetzt, nachdem eine Beruhigung der Gemüter eingetreten und das Persönliche
aus diesem Rechtsstreit ausgeschieden ist, ist es möglich, auf Grund der seitdem
zu Tage getretner Belege und Verhandlungen die ihm zu Grunde liegenden
Thatsachen zu erkennen und zu würdigen.

Unter dem Eindruck dieses Prozesses und der sich daranschließenden
öffentlichen Erörterungen hat der Inhaber der Firma Stantien und Becker
seinen Vertrag mit dem Staate gekündigt. Obgleich die Regierung im Besitz
des Regals ist, so hätte sie doch nicht die Lähmung der ganzen preußischen
Bernsteinindustrie verhindern können, während die Firma und ihrem auf
3000000 Mark geschützten Lager noch auf geraume Zeit den Markt beherrschen
und die Preise für den Bernstein zu beliebiger Höhe hinaufschrauben konnte.
So entschloß sich die Regierung zu dem Ankauf des Geschäfts und Lagers der
Firma Stantien und Becker nebst deren gesamten Grundbesitze in Königsberg
und im Scunlcmde für den Preis von neun und dreiviertel Millionen Mark.
Eine hierauf bezügliche Vorlage ist dem preußischen Landtage vor kurzem zu¬
gegangen und von ihm angenommen worden.

Damit ist der Staat wieder zu der Gewinnungsart des Bernsteins, die
vor 1811 üblich war, d. h. zum Eigenbetrieb zurückgekehrt, nur mit dem Unter¬
schiede, daß die Verhältnisse viel schwieriger geworden sind als früher. Während
vor 1811 ein Ertrag von 30 bis 36000 Mark in Frage kam, der ohne Ans-


Der Bernstein als Stoff für das Rnnstgewerbe

Einnahme aus dem Regal, früher unbedeutend, ist jetzt für den Staat be¬
trächtlich geworden. Zugleich haben es die Unternehmer verstanden, einer
Wertverminderung der häusiger gewordnen Ware durch eine bessere Zurichtung
und Sortierung, sowie dadurch zu begegnen, daß sie dieser Ware immer neue
Absatzquellen in andern Erdteilen erschlossen.

Eine zweite Gefahr der Wertverminderung erwuchs der Bernsteinware
durch das 1879 in Österreich erfundne Ambroid oder den Preßbernstein. Durch
ein besondres Verfahren gelang es, bei starkem Druck und gleichzeitiger Er¬
hitzung kleinere Bernsteinstücke zu großen Platten so zusammenzuschweißen, daß
sie sich von dem Naturbernstein kaum unterscheiden lassen. Durch dieses
Fabrikat wird insbesondre der Preis der wertvollern größern Bernsteinstücke
bedroht, um so mehr, als sich der Preßbernstein wegen seiner Gleichmäßigkeit
vorteilhafter verarbeiten läßt als der vielfach ungleichmüßige Naturbernstein.
Der Anreiz, die kleinern Bernsteinsorten mit großem Gewinn an die Ambroid-
fabritanten zu verkaufen, hat, wie bekannt, zu einem Streit zwischen den Inter-
essen der Bernsteingewinnungsunteruehmer — die den Preis des Materials
zu halten suchten — und ihren Abnehmern geführt, die aus dem Verkauf der
kleinern, zur Verarbeitung abgegebnen Stücke an die Ambroidfabrikanten großen
Vorteil zogen. Der Gegensatz der Interessen kam in dem bekannten, von beiden
Seiten mit Hartnäckigkeit im Jahre 1396 geführten Rechtshändel zum Aus¬
bruch, durch dessen Verlauf die öffentliche Meinung seinerzeit sehr erregt wurde.
Jetzt, nachdem eine Beruhigung der Gemüter eingetreten und das Persönliche
aus diesem Rechtsstreit ausgeschieden ist, ist es möglich, auf Grund der seitdem
zu Tage getretner Belege und Verhandlungen die ihm zu Grunde liegenden
Thatsachen zu erkennen und zu würdigen.

Unter dem Eindruck dieses Prozesses und der sich daranschließenden
öffentlichen Erörterungen hat der Inhaber der Firma Stantien und Becker
seinen Vertrag mit dem Staate gekündigt. Obgleich die Regierung im Besitz
des Regals ist, so hätte sie doch nicht die Lähmung der ganzen preußischen
Bernsteinindustrie verhindern können, während die Firma und ihrem auf
3000000 Mark geschützten Lager noch auf geraume Zeit den Markt beherrschen
und die Preise für den Bernstein zu beliebiger Höhe hinaufschrauben konnte.
So entschloß sich die Regierung zu dem Ankauf des Geschäfts und Lagers der
Firma Stantien und Becker nebst deren gesamten Grundbesitze in Königsberg
und im Scunlcmde für den Preis von neun und dreiviertel Millionen Mark.
Eine hierauf bezügliche Vorlage ist dem preußischen Landtage vor kurzem zu¬
gegangen und von ihm angenommen worden.

Damit ist der Staat wieder zu der Gewinnungsart des Bernsteins, die
vor 1811 üblich war, d. h. zum Eigenbetrieb zurückgekehrt, nur mit dem Unter¬
schiede, daß die Verhältnisse viel schwieriger geworden sind als früher. Während
vor 1811 ein Ertrag von 30 bis 36000 Mark in Frage kam, der ohne Ans-


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[0194] Der Bernstein als Stoff für das Rnnstgewerbe Einnahme aus dem Regal, früher unbedeutend, ist jetzt für den Staat be¬ trächtlich geworden. Zugleich haben es die Unternehmer verstanden, einer Wertverminderung der häusiger gewordnen Ware durch eine bessere Zurichtung und Sortierung, sowie dadurch zu begegnen, daß sie dieser Ware immer neue Absatzquellen in andern Erdteilen erschlossen. Eine zweite Gefahr der Wertverminderung erwuchs der Bernsteinware durch das 1879 in Österreich erfundne Ambroid oder den Preßbernstein. Durch ein besondres Verfahren gelang es, bei starkem Druck und gleichzeitiger Er¬ hitzung kleinere Bernsteinstücke zu großen Platten so zusammenzuschweißen, daß sie sich von dem Naturbernstein kaum unterscheiden lassen. Durch dieses Fabrikat wird insbesondre der Preis der wertvollern größern Bernsteinstücke bedroht, um so mehr, als sich der Preßbernstein wegen seiner Gleichmäßigkeit vorteilhafter verarbeiten läßt als der vielfach ungleichmüßige Naturbernstein. Der Anreiz, die kleinern Bernsteinsorten mit großem Gewinn an die Ambroid- fabritanten zu verkaufen, hat, wie bekannt, zu einem Streit zwischen den Inter- essen der Bernsteingewinnungsunteruehmer — die den Preis des Materials zu halten suchten — und ihren Abnehmern geführt, die aus dem Verkauf der kleinern, zur Verarbeitung abgegebnen Stücke an die Ambroidfabrikanten großen Vorteil zogen. Der Gegensatz der Interessen kam in dem bekannten, von beiden Seiten mit Hartnäckigkeit im Jahre 1396 geführten Rechtshändel zum Aus¬ bruch, durch dessen Verlauf die öffentliche Meinung seinerzeit sehr erregt wurde. Jetzt, nachdem eine Beruhigung der Gemüter eingetreten und das Persönliche aus diesem Rechtsstreit ausgeschieden ist, ist es möglich, auf Grund der seitdem zu Tage getretner Belege und Verhandlungen die ihm zu Grunde liegenden Thatsachen zu erkennen und zu würdigen. Unter dem Eindruck dieses Prozesses und der sich daranschließenden öffentlichen Erörterungen hat der Inhaber der Firma Stantien und Becker seinen Vertrag mit dem Staate gekündigt. Obgleich die Regierung im Besitz des Regals ist, so hätte sie doch nicht die Lähmung der ganzen preußischen Bernsteinindustrie verhindern können, während die Firma und ihrem auf 3000000 Mark geschützten Lager noch auf geraume Zeit den Markt beherrschen und die Preise für den Bernstein zu beliebiger Höhe hinaufschrauben konnte. So entschloß sich die Regierung zu dem Ankauf des Geschäfts und Lagers der Firma Stantien und Becker nebst deren gesamten Grundbesitze in Königsberg und im Scunlcmde für den Preis von neun und dreiviertel Millionen Mark. Eine hierauf bezügliche Vorlage ist dem preußischen Landtage vor kurzem zu¬ gegangen und von ihm angenommen worden. Damit ist der Staat wieder zu der Gewinnungsart des Bernsteins, die vor 1811 üblich war, d. h. zum Eigenbetrieb zurückgekehrt, nur mit dem Unter¬ schiede, daß die Verhältnisse viel schwieriger geworden sind als früher. Während vor 1811 ein Ertrag von 30 bis 36000 Mark in Frage kam, der ohne Ans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/194>, abgerufen am 28.09.2024.