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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Von den Küsten des Adriatischen Meeres ist der Bernstein, der auch schon
dem homerischen Zeitalter bekannt war, auf dem Seewege zu den Griechen
gekommen, wie die zahlreichen Funde in den mykenischen Königsgräbern be¬
weisen. Die klassische Zeit der griechischen Kunst verwandte den Bernstein
nicht, weder zum Schmuck des Leibes noch der Geräte. Auch in Italien findet
er sich in der ältern Zeit nicht in den westlich vom Apennin gelegnen mittlern
und südlichen Landschaften. In Rom erschien der Bernstein erst gegen das
Ende der Republik; in der Kaiserzeit kam er dann sehr in die Mode. Außer
Schmucksachen und Zierstücken für Möbel und Geräte waren bei den römischen
Frauen insbesondre Kugeln aus Bernstein zum Kühlen der Hände beliebt.
Zu Neros Zeiten gelangten die Römer zum erstenmale auf der Suche nach
dem kostbaren Stoffe in die Gegenden, die noch heute den meisten Bernstein
liefern, an die preußische Ostseeküste. Die erste zuverlässige Kunde von dem
östlichen Bernsteinlande hat uns Plinius überliefert. Um das Jahr 55 nach
Christo fand ein römischer Ritter, der im Auftrage des Julianus, des Vorstehers
der von Nero veranstalteten Gladiatorenspiele, reiste, von Carnuntum in
Pannonien (dem heutigen Haimburg an der Donau) den Weg zu den Gestaden
des baltischen Meeres und brachte das begehrte Mineral in einer so großen
Menge nach Rom, wie sie bis dahin dort noch nicht gesehen worden war.
Bei den erwähnten Zirkusspielen konnten die Netze, die ausgespannt waren,
um die wilden Tiere von den Zuschauerplätzen abzuhalten, mit Bernstein¬
schnüren zusamniengeknüpft werden; sogar die Waffen und die Totenbahre für
die gefallnen Gladiatoren wurden damit geschmückt, und die ganze Ausstattung
des einen Spieltages bestand aus Bernstein. Dieser Bericht giebt eine gute
Vorstellung von der verschwenderischen Verwendung des Bernsteins in der
ersten Kaiserzeit.

Der wenig später lebende Taeitus hat uns den Namen des Volkes über¬
liefert, das damals die preußischen Küsten bewohnte; er nennt sie die Ästier,
eine Bezeichnung, die noch im neunten Jahrhundert bei den die Ostsee be¬
fahrenden Nationen für die Bewohner derselben Gegend allgemein üblich war.
Dieser Schriftsteller erzählt auch, daß das Volk selbst den Bernstein nicht
brauchte und seinen Wert nicht kannte; staunend empfingen diese Barbaren
den dafür gezählten Preis. Es muß demnach bis dahin ein Bernsteinhandel
aus Ostpreußen nicht bestanden haben. Dies änderte sich schon in den
folgenden Jahrhunderten; die ungemein zahlreichen Funde von römischen Kaiser¬
münzen, von Schmucksachen, insbesondre von Fibeln römischer Herkunft in
Preußen bezeugen einen lebhaften Handelsverkehr, der auch während der
Völkerwanderungszeit andauerte und durch die spätern Schriftsteller bestätigt
wird. Noch im sechsten Jahrhundert n. Chr. brachte eine Gesandtschaft der
Ästier dem großen Ostgotenkönig Theuderich ein wertvolles Bernsteingeschenk
von den Gestaden der Ostsee nach Ravenna. Die Römer verarbeiteten den


Von den Küsten des Adriatischen Meeres ist der Bernstein, der auch schon
dem homerischen Zeitalter bekannt war, auf dem Seewege zu den Griechen
gekommen, wie die zahlreichen Funde in den mykenischen Königsgräbern be¬
weisen. Die klassische Zeit der griechischen Kunst verwandte den Bernstein
nicht, weder zum Schmuck des Leibes noch der Geräte. Auch in Italien findet
er sich in der ältern Zeit nicht in den westlich vom Apennin gelegnen mittlern
und südlichen Landschaften. In Rom erschien der Bernstein erst gegen das
Ende der Republik; in der Kaiserzeit kam er dann sehr in die Mode. Außer
Schmucksachen und Zierstücken für Möbel und Geräte waren bei den römischen
Frauen insbesondre Kugeln aus Bernstein zum Kühlen der Hände beliebt.
Zu Neros Zeiten gelangten die Römer zum erstenmale auf der Suche nach
dem kostbaren Stoffe in die Gegenden, die noch heute den meisten Bernstein
liefern, an die preußische Ostseeküste. Die erste zuverlässige Kunde von dem
östlichen Bernsteinlande hat uns Plinius überliefert. Um das Jahr 55 nach
Christo fand ein römischer Ritter, der im Auftrage des Julianus, des Vorstehers
der von Nero veranstalteten Gladiatorenspiele, reiste, von Carnuntum in
Pannonien (dem heutigen Haimburg an der Donau) den Weg zu den Gestaden
des baltischen Meeres und brachte das begehrte Mineral in einer so großen
Menge nach Rom, wie sie bis dahin dort noch nicht gesehen worden war.
Bei den erwähnten Zirkusspielen konnten die Netze, die ausgespannt waren,
um die wilden Tiere von den Zuschauerplätzen abzuhalten, mit Bernstein¬
schnüren zusamniengeknüpft werden; sogar die Waffen und die Totenbahre für
die gefallnen Gladiatoren wurden damit geschmückt, und die ganze Ausstattung
des einen Spieltages bestand aus Bernstein. Dieser Bericht giebt eine gute
Vorstellung von der verschwenderischen Verwendung des Bernsteins in der
ersten Kaiserzeit.

Der wenig später lebende Taeitus hat uns den Namen des Volkes über¬
liefert, das damals die preußischen Küsten bewohnte; er nennt sie die Ästier,
eine Bezeichnung, die noch im neunten Jahrhundert bei den die Ostsee be¬
fahrenden Nationen für die Bewohner derselben Gegend allgemein üblich war.
Dieser Schriftsteller erzählt auch, daß das Volk selbst den Bernstein nicht
brauchte und seinen Wert nicht kannte; staunend empfingen diese Barbaren
den dafür gezählten Preis. Es muß demnach bis dahin ein Bernsteinhandel
aus Ostpreußen nicht bestanden haben. Dies änderte sich schon in den
folgenden Jahrhunderten; die ungemein zahlreichen Funde von römischen Kaiser¬
münzen, von Schmucksachen, insbesondre von Fibeln römischer Herkunft in
Preußen bezeugen einen lebhaften Handelsverkehr, der auch während der
Völkerwanderungszeit andauerte und durch die spätern Schriftsteller bestätigt
wird. Noch im sechsten Jahrhundert n. Chr. brachte eine Gesandtschaft der
Ästier dem großen Ostgotenkönig Theuderich ein wertvolles Bernsteingeschenk
von den Gestaden der Ostsee nach Ravenna. Die Römer verarbeiteten den


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[0188] Von den Küsten des Adriatischen Meeres ist der Bernstein, der auch schon dem homerischen Zeitalter bekannt war, auf dem Seewege zu den Griechen gekommen, wie die zahlreichen Funde in den mykenischen Königsgräbern be¬ weisen. Die klassische Zeit der griechischen Kunst verwandte den Bernstein nicht, weder zum Schmuck des Leibes noch der Geräte. Auch in Italien findet er sich in der ältern Zeit nicht in den westlich vom Apennin gelegnen mittlern und südlichen Landschaften. In Rom erschien der Bernstein erst gegen das Ende der Republik; in der Kaiserzeit kam er dann sehr in die Mode. Außer Schmucksachen und Zierstücken für Möbel und Geräte waren bei den römischen Frauen insbesondre Kugeln aus Bernstein zum Kühlen der Hände beliebt. Zu Neros Zeiten gelangten die Römer zum erstenmale auf der Suche nach dem kostbaren Stoffe in die Gegenden, die noch heute den meisten Bernstein liefern, an die preußische Ostseeküste. Die erste zuverlässige Kunde von dem östlichen Bernsteinlande hat uns Plinius überliefert. Um das Jahr 55 nach Christo fand ein römischer Ritter, der im Auftrage des Julianus, des Vorstehers der von Nero veranstalteten Gladiatorenspiele, reiste, von Carnuntum in Pannonien (dem heutigen Haimburg an der Donau) den Weg zu den Gestaden des baltischen Meeres und brachte das begehrte Mineral in einer so großen Menge nach Rom, wie sie bis dahin dort noch nicht gesehen worden war. Bei den erwähnten Zirkusspielen konnten die Netze, die ausgespannt waren, um die wilden Tiere von den Zuschauerplätzen abzuhalten, mit Bernstein¬ schnüren zusamniengeknüpft werden; sogar die Waffen und die Totenbahre für die gefallnen Gladiatoren wurden damit geschmückt, und die ganze Ausstattung des einen Spieltages bestand aus Bernstein. Dieser Bericht giebt eine gute Vorstellung von der verschwenderischen Verwendung des Bernsteins in der ersten Kaiserzeit. Der wenig später lebende Taeitus hat uns den Namen des Volkes über¬ liefert, das damals die preußischen Küsten bewohnte; er nennt sie die Ästier, eine Bezeichnung, die noch im neunten Jahrhundert bei den die Ostsee be¬ fahrenden Nationen für die Bewohner derselben Gegend allgemein üblich war. Dieser Schriftsteller erzählt auch, daß das Volk selbst den Bernstein nicht brauchte und seinen Wert nicht kannte; staunend empfingen diese Barbaren den dafür gezählten Preis. Es muß demnach bis dahin ein Bernsteinhandel aus Ostpreußen nicht bestanden haben. Dies änderte sich schon in den folgenden Jahrhunderten; die ungemein zahlreichen Funde von römischen Kaiser¬ münzen, von Schmucksachen, insbesondre von Fibeln römischer Herkunft in Preußen bezeugen einen lebhaften Handelsverkehr, der auch während der Völkerwanderungszeit andauerte und durch die spätern Schriftsteller bestätigt wird. Noch im sechsten Jahrhundert n. Chr. brachte eine Gesandtschaft der Ästier dem großen Ostgotenkönig Theuderich ein wertvolles Bernsteingeschenk von den Gestaden der Ostsee nach Ravenna. Die Römer verarbeiteten den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/188>, abgerufen am 28.09.2024.