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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rassen und Kriege

hinreichende Artillerie zu nehmen? Aber weder Santiago noch Manila sind
ernsthaft und militärisch verteidigt worden. Staunend hat General Shafter
beim Einrücken in die Stadt erkannt, welche gewaltigen Stellungen ihm ohne
Schwertstreich ausgeliefert wurden, nachdem der tapfre Linares verwundet
worden war. Wie mir ein Augenzeuge erzählte, "erschrak der General förmlich
über die innern Linien, deren Sturm ihm leicht noch fünftausend Mann hätte
kosten können." Der deutsche Konsul in Manila wird auch nicht so Unrecht gehabt
haben, wenn er, als preußischer Offizier, nicht mit den übrigen fremden Konsuln
übereinstimmte, "daß die weitere Verteidigung der Stadtbefestigungen gänzlich
aussichtslos" sei. Am nächsten Morgen nahmen zwei kalifornische Regimenter
in einem Anlauf die Stadt und besetzten sie, ohne auf ernsten Widerstand zu
stoßen. Solche Einzelheiten und kleinen Züge, die entweder gar nicht an die
Öffentlichkeit kommen oder doch nicht genügend beachtet werden, lassen oft tiefer
blicken, als die trockne Chronik der Ereignisse im Zeitungstelegrammstil.

Daß der Wert der amerikanischen Truppen nicht auf "unerreichbarer"
Höhe steht, geht doch wohl zur Genüge aus den jüngsten Kämpfen auf den
Philippinen hervor, wo sich 25000 (schreibe fünfundzwanzigtausend) Mann
bestbewasfneter Helden nur mit knapper Not gegen halbwilde Tagnlen be¬
haupten können, die nach amerikanischer Schätzung ihnen an Zahl ungefähr
ebenbürtig in den Gefechten gewesen sind. Die Philippinos machen den Aankees
mehr Mühe als die Spanier! Einfach deshalb, weil sie sich ordentlich zur
Wehr setzen -- was die Spanier eben nicht thaten -- und in ihrer kindlichen
Unschuld für die Segnungen der amerikanischen "Freiheit," die ihnen mit
Pulver und Brand zum Bewußtsein gebracht werden soll, unempfänglich sind.

Wenn aber die Siege über die spanischen "stehenden Heere" so bedeutende
militärische Leistungen der Amerikaner waren, weshalb machen sie dann nicht
mit deu Philippinern, gegen die sie über die doppelte Anzahl Truppen ver¬
fügen, kurzen Prozeß?

Angesichts der unüberlegten Schlußfolgerungen, die in den Köpfen ihren
Unfug getrieben haben, ist es wohl gestattet, einmal die Frage aufzuwerfen,
was denn aus den fideler Belagerern von Santiago geworden wäre, wenn die
Befestigungen, anstatt von den Spaniern, von einigen pommerschen Grenadieren
und holsteinischen Kanonieren verteidigt worden wären? Als Kommandanten
setzen wir einmal Gneisenau und Nettelbeck, oder auch Preußer und Jungmann
(Eckernförde, 5. April 1849), und statt des "wochenlang zum Entsatz herbei¬
eilenden" General Pardo einen umsichtigen, thatkräftigen Offizier, der seine
Pflicht und Schuldigkeit thäte. Wie wäre dann das Schlachtenbild geworden?
Die durch drei vorhergegangne Schlachttage sehr erschöpften Belagerungstruppen
würden unter einem Kreuzfeuer total aufgerieben worden sein. Daß die Ver¬
einigten Staaten dann natürlich hunderttausend, und wenn diese auch zu Grunde
gegangen wären, schließlich zehnmal hunderttausend Menschen nach Kuba ge-


Rassen und Kriege

hinreichende Artillerie zu nehmen? Aber weder Santiago noch Manila sind
ernsthaft und militärisch verteidigt worden. Staunend hat General Shafter
beim Einrücken in die Stadt erkannt, welche gewaltigen Stellungen ihm ohne
Schwertstreich ausgeliefert wurden, nachdem der tapfre Linares verwundet
worden war. Wie mir ein Augenzeuge erzählte, „erschrak der General förmlich
über die innern Linien, deren Sturm ihm leicht noch fünftausend Mann hätte
kosten können." Der deutsche Konsul in Manila wird auch nicht so Unrecht gehabt
haben, wenn er, als preußischer Offizier, nicht mit den übrigen fremden Konsuln
übereinstimmte, „daß die weitere Verteidigung der Stadtbefestigungen gänzlich
aussichtslos" sei. Am nächsten Morgen nahmen zwei kalifornische Regimenter
in einem Anlauf die Stadt und besetzten sie, ohne auf ernsten Widerstand zu
stoßen. Solche Einzelheiten und kleinen Züge, die entweder gar nicht an die
Öffentlichkeit kommen oder doch nicht genügend beachtet werden, lassen oft tiefer
blicken, als die trockne Chronik der Ereignisse im Zeitungstelegrammstil.

Daß der Wert der amerikanischen Truppen nicht auf „unerreichbarer"
Höhe steht, geht doch wohl zur Genüge aus den jüngsten Kämpfen auf den
Philippinen hervor, wo sich 25000 (schreibe fünfundzwanzigtausend) Mann
bestbewasfneter Helden nur mit knapper Not gegen halbwilde Tagnlen be¬
haupten können, die nach amerikanischer Schätzung ihnen an Zahl ungefähr
ebenbürtig in den Gefechten gewesen sind. Die Philippinos machen den Aankees
mehr Mühe als die Spanier! Einfach deshalb, weil sie sich ordentlich zur
Wehr setzen — was die Spanier eben nicht thaten — und in ihrer kindlichen
Unschuld für die Segnungen der amerikanischen „Freiheit," die ihnen mit
Pulver und Brand zum Bewußtsein gebracht werden soll, unempfänglich sind.

Wenn aber die Siege über die spanischen „stehenden Heere" so bedeutende
militärische Leistungen der Amerikaner waren, weshalb machen sie dann nicht
mit deu Philippinern, gegen die sie über die doppelte Anzahl Truppen ver¬
fügen, kurzen Prozeß?

Angesichts der unüberlegten Schlußfolgerungen, die in den Köpfen ihren
Unfug getrieben haben, ist es wohl gestattet, einmal die Frage aufzuwerfen,
was denn aus den fideler Belagerern von Santiago geworden wäre, wenn die
Befestigungen, anstatt von den Spaniern, von einigen pommerschen Grenadieren
und holsteinischen Kanonieren verteidigt worden wären? Als Kommandanten
setzen wir einmal Gneisenau und Nettelbeck, oder auch Preußer und Jungmann
(Eckernförde, 5. April 1849), und statt des „wochenlang zum Entsatz herbei¬
eilenden" General Pardo einen umsichtigen, thatkräftigen Offizier, der seine
Pflicht und Schuldigkeit thäte. Wie wäre dann das Schlachtenbild geworden?
Die durch drei vorhergegangne Schlachttage sehr erschöpften Belagerungstruppen
würden unter einem Kreuzfeuer total aufgerieben worden sein. Daß die Ver¬
einigten Staaten dann natürlich hunderttausend, und wenn diese auch zu Grunde
gegangen wären, schließlich zehnmal hunderttausend Menschen nach Kuba ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/181>, abgerufen am 28.09.2024.