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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Den Vorsatz, Memoiren zu schreiben, hat der Fürst keineswegs erst nach,
selner Entlassung gefaßt, sondern viel früher, wenn auch immer nur für den
Zeitpunkt seines Rücktritts. Schon 1877, als er aus dem Amte scheiden wollte,
sagte er zu Bucher, wenn dieser auch nicht bleiben wolle, so solle er zu isla
nach Varzin ziehen, er habe ihm da einiges Wichtige aus der Vergangenheit
zü diktieren, was er sich aufgeschrieben habe. Eine Anspielung Buschs auf
diese Absicht ließ er damals unbeachtet (Tagebuchblätter II, 487. III, 94).
Aber die dazu nötige Ordnung der Privatpapiere äußerte der Kanzler, der
auch mit Schweninger, als dieser die ärztliche Behandlung im Juni 1883
übernommen hatte, gelegentlich "über eine litterarische Thätigkeit, die er er¬
greifen könnte, falls er einmal aus dem Dienste ausscheiden würde," sprach
(S. 3), schon im November 1883 Busch übertragen zu wollen (III, 165 vgl.
208); doch erwartete dieser später, als Bucher im Mai 1886 zur Dispo¬
sition gestellt worden war, daß dieser selbst, da er sich in wichtigen Punkten
besser dazu eigne, die Aufgabe übernehmen werde (III, 208. 209). Schließlich
wurde trotzdem Busch damit betraut, und er arbeitete eifrig im Oktober und
November 1383 in Friedrichsruh daran (III, 253 ff. 259 ff.). In den Tagen,
die der Entlastung des Reichskanzlers Unmittelbar vorangingen und folgten,
gewann der alte Vorsatz auch auf Schweningers eifriges Betreiben (S. 7 f.)
festere Gestalt. Als Busch ihn auf seine Veranlassung am 15. März 1890
aufsuchte, war der Fürst mit dem Zusammenpacken von Papieren beschäftigt,
wies anf die schon früher geordneten Mappen hin, sagte ihm. diese und
andre neue solle er ihm durchsehen, und setzte als Begründung hinzu:
"Denn ich will jetzt meine Memoiren schreiben, und dabei sollen Sie mir
helfen." -- "Wenn ich in Friedrichsruh bin, so kommen Sie hin, und dann
arbeiten wir zusammen." Busch solle die wichtigsten Papiere abschreiben und
die Abschriften bis auf weiteres behalten (III, 275 ff.). Als Busch ihm am
22. März die ihm angegebnen Schriftstücke geordnet überbrachte, legte sie
der Fürst zurück mit der Bemerkung, er solle nicht vergessen, wo das Couvert
liege, "wenn wir in Friedrichsruh die Memoiren machen" (III, 280). Einige
Briefe Kaiser Wilhelms I. übergab er ihm gleich damals zur Veröffentlichung
in den Grenzboten.

Als der Fürst nach Friedrichsruh übergesiedelt war, faud er in I)r. Rudolf
Chrhsander einen Privatsekretär, der ihm, wie man annahm, bei der Abfassung
seiner Denkwürdigkeiten an die Hand gehn werde (III, 296). Doch wurde
dann im April Bücher für den Mai nach Friedrichsruh berufen, und er er¬
wartete, mit Busch "zusammen angespannt" zu werden (Brief an Busch,
III, 297), der sich selbst auch dem Fürsten wiederholt zur Verfügung stellte
(11. und 19. April) und von diesem eine zustimmende Antwort erhielt
(III, 296. 298). Allein ein Gehirnschlag, der Busch am 20. Mai 1890 traf,
machte diesen für längere Zeit arbeitsunfähig (300 f.), und Bucher blieb allem.
Er hatte zunächst die schon früher von Busch durchgesehenen Papiere zu


Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Den Vorsatz, Memoiren zu schreiben, hat der Fürst keineswegs erst nach,
selner Entlassung gefaßt, sondern viel früher, wenn auch immer nur für den
Zeitpunkt seines Rücktritts. Schon 1877, als er aus dem Amte scheiden wollte,
sagte er zu Bucher, wenn dieser auch nicht bleiben wolle, so solle er zu isla
nach Varzin ziehen, er habe ihm da einiges Wichtige aus der Vergangenheit
zü diktieren, was er sich aufgeschrieben habe. Eine Anspielung Buschs auf
diese Absicht ließ er damals unbeachtet (Tagebuchblätter II, 487. III, 94).
Aber die dazu nötige Ordnung der Privatpapiere äußerte der Kanzler, der
auch mit Schweninger, als dieser die ärztliche Behandlung im Juni 1883
übernommen hatte, gelegentlich „über eine litterarische Thätigkeit, die er er¬
greifen könnte, falls er einmal aus dem Dienste ausscheiden würde," sprach
(S. 3), schon im November 1883 Busch übertragen zu wollen (III, 165 vgl.
208); doch erwartete dieser später, als Bucher im Mai 1886 zur Dispo¬
sition gestellt worden war, daß dieser selbst, da er sich in wichtigen Punkten
besser dazu eigne, die Aufgabe übernehmen werde (III, 208. 209). Schließlich
wurde trotzdem Busch damit betraut, und er arbeitete eifrig im Oktober und
November 1383 in Friedrichsruh daran (III, 253 ff. 259 ff.). In den Tagen,
die der Entlastung des Reichskanzlers Unmittelbar vorangingen und folgten,
gewann der alte Vorsatz auch auf Schweningers eifriges Betreiben (S. 7 f.)
festere Gestalt. Als Busch ihn auf seine Veranlassung am 15. März 1890
aufsuchte, war der Fürst mit dem Zusammenpacken von Papieren beschäftigt,
wies anf die schon früher geordneten Mappen hin, sagte ihm. diese und
andre neue solle er ihm durchsehen, und setzte als Begründung hinzu:
„Denn ich will jetzt meine Memoiren schreiben, und dabei sollen Sie mir
helfen." — „Wenn ich in Friedrichsruh bin, so kommen Sie hin, und dann
arbeiten wir zusammen." Busch solle die wichtigsten Papiere abschreiben und
die Abschriften bis auf weiteres behalten (III, 275 ff.). Als Busch ihm am
22. März die ihm angegebnen Schriftstücke geordnet überbrachte, legte sie
der Fürst zurück mit der Bemerkung, er solle nicht vergessen, wo das Couvert
liege, „wenn wir in Friedrichsruh die Memoiren machen" (III, 280). Einige
Briefe Kaiser Wilhelms I. übergab er ihm gleich damals zur Veröffentlichung
in den Grenzboten.

Als der Fürst nach Friedrichsruh übergesiedelt war, faud er in I)r. Rudolf
Chrhsander einen Privatsekretär, der ihm, wie man annahm, bei der Abfassung
seiner Denkwürdigkeiten an die Hand gehn werde (III, 296). Doch wurde
dann im April Bücher für den Mai nach Friedrichsruh berufen, und er er¬
wartete, mit Busch „zusammen angespannt" zu werden (Brief an Busch,
III, 297), der sich selbst auch dem Fürsten wiederholt zur Verfügung stellte
(11. und 19. April) und von diesem eine zustimmende Antwort erhielt
(III, 296. 298). Allein ein Gehirnschlag, der Busch am 20. Mai 1890 traf,
machte diesen für längere Zeit arbeitsunfähig (300 f.), und Bucher blieb allem.
Er hatte zunächst die schon früher von Busch durchgesehenen Papiere zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/10>, abgerufen am 28.09.2024.