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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Finanzen in Rußland

Nun ist zwar die aktive oder die passive Handelsbilanz kein absoluter
Maßstab für das Gedeihen oder Verarmen eines Volkes; vielmehr zeigen gerade
die reichsten Länder das größte Minus ihrer Ausfuhr gegen die Einfuhr an
Waren. Aber dieses Minus muß, wenn das Land nicht verarmen soll, gedeckt
und in Überschüsse verwandelt werden durch die Zinsen aus Kapital, das in
fremden Papierwerten oder in auswärtigen erwerblichen Unternehmungen vor¬
handen ist. Wo solches Kapital fast völlig fehlt und die Erzeugung an Edel¬
metall gering ist, wie in Rußland, da ist die Handelsbilanz der Gradmesser
für das Auf- und Absteigen des Volksvermögens, wenigstens in Rücksicht auf
den Metallvorrat.

Trotz dieser bedenklichen Verhältnisse hat Herr Witte es gewagt, durch
das Gesetz vom 3. Januar 1897 eine Geldreform zu dekretieren, mit der die
lange sistierte Einwechslung des staatlichen Papiergeldes in Gold wieder auf¬
genommen wurde. Man hat diese Reform den Übergang zur Goldwährung
genannt, und sie wird diese Bezeichnung verdienen, wenn und solange der "feste
Glaube an die stetige Weiterentwicklung der produktiven Kräfte Rußlands," auf
den Herr Witte sich beruft, nicht erschüttert wird, und zwar solange, als er
nicht erschüttert wird im Auslande, wo der Zwangskurs nicht hinreicht. Diese
Operation freilich barg, genau genommen, teilweise einen Staatsbankerott in
sich, insofern als der Staat den Wert seines Papierrubels um ein Drittel
niedriger, als wie er ausgegeben worden war, auf die neue Goldmünze ver¬
rechnete: die alte Goldmünze soll nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Nudeln
Papier gleichstehen. Das heißt so viel, als daß die russische Regierung den
russischen Rubel zu dem Goldwert einlösen will, den ihm der ausländische
Kredit beilegt, ja sogar niedriger, da sich der Rubelkurs seit Jahren über
2 Mk. 16 Pfg. gehalten hat, der normale Kurs aber nur 2 Mk. 6 Pfg. für
zwei Drittel Rubel ergeben müßte. Hierin schon drückt sich vielleicht die
Sorge aus, ob man den Goldrubel im Lande werde halten können. Und dies
wird auch künftig die Sorge des russischen Finanzministers bleiben.

Vorläufig hat der russische Fiskus freilich mit dieser sogenannten Deval¬
vation des Rudels einen ansehnlichen Gewinn eingestrichen. Indem der Staat
auf jeden Rubel ein Drittel einfach strich, gewann er ein Drittel seiner Schuld
in Papiergeld und auf Papiergeld gestellter Staatswerte, was zusammen einen
Gewinn von etwa 1300 Millionen Rubeln ausmacht. Andrerseits mag der
Finanzminister den Rubelkurs seit Jahren mit starken Opfern auf stetiger Höhe
gehalten haben. Nun gilt es, immer genügend Gold bereit zu haben, um
einem erwachenden Mißtrauen des Auslandes in das Papiergeld entgegen zu
treten, was wesentlich von der Handelsbilanz des Reiches und der Zufuhr
fremden Goldes abhängen wird.

Seit dem Aufblühen der Industrie sind gewaltige Kapitalmengen vom
Auslande her nach Rußland hineingeflossen und haben dem Finanzminister die


Politik und Finanzen in Rußland

Nun ist zwar die aktive oder die passive Handelsbilanz kein absoluter
Maßstab für das Gedeihen oder Verarmen eines Volkes; vielmehr zeigen gerade
die reichsten Länder das größte Minus ihrer Ausfuhr gegen die Einfuhr an
Waren. Aber dieses Minus muß, wenn das Land nicht verarmen soll, gedeckt
und in Überschüsse verwandelt werden durch die Zinsen aus Kapital, das in
fremden Papierwerten oder in auswärtigen erwerblichen Unternehmungen vor¬
handen ist. Wo solches Kapital fast völlig fehlt und die Erzeugung an Edel¬
metall gering ist, wie in Rußland, da ist die Handelsbilanz der Gradmesser
für das Auf- und Absteigen des Volksvermögens, wenigstens in Rücksicht auf
den Metallvorrat.

Trotz dieser bedenklichen Verhältnisse hat Herr Witte es gewagt, durch
das Gesetz vom 3. Januar 1897 eine Geldreform zu dekretieren, mit der die
lange sistierte Einwechslung des staatlichen Papiergeldes in Gold wieder auf¬
genommen wurde. Man hat diese Reform den Übergang zur Goldwährung
genannt, und sie wird diese Bezeichnung verdienen, wenn und solange der „feste
Glaube an die stetige Weiterentwicklung der produktiven Kräfte Rußlands," auf
den Herr Witte sich beruft, nicht erschüttert wird, und zwar solange, als er
nicht erschüttert wird im Auslande, wo der Zwangskurs nicht hinreicht. Diese
Operation freilich barg, genau genommen, teilweise einen Staatsbankerott in
sich, insofern als der Staat den Wert seines Papierrubels um ein Drittel
niedriger, als wie er ausgegeben worden war, auf die neue Goldmünze ver¬
rechnete: die alte Goldmünze soll nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Nudeln
Papier gleichstehen. Das heißt so viel, als daß die russische Regierung den
russischen Rubel zu dem Goldwert einlösen will, den ihm der ausländische
Kredit beilegt, ja sogar niedriger, da sich der Rubelkurs seit Jahren über
2 Mk. 16 Pfg. gehalten hat, der normale Kurs aber nur 2 Mk. 6 Pfg. für
zwei Drittel Rubel ergeben müßte. Hierin schon drückt sich vielleicht die
Sorge aus, ob man den Goldrubel im Lande werde halten können. Und dies
wird auch künftig die Sorge des russischen Finanzministers bleiben.

Vorläufig hat der russische Fiskus freilich mit dieser sogenannten Deval¬
vation des Rudels einen ansehnlichen Gewinn eingestrichen. Indem der Staat
auf jeden Rubel ein Drittel einfach strich, gewann er ein Drittel seiner Schuld
in Papiergeld und auf Papiergeld gestellter Staatswerte, was zusammen einen
Gewinn von etwa 1300 Millionen Rubeln ausmacht. Andrerseits mag der
Finanzminister den Rubelkurs seit Jahren mit starken Opfern auf stetiger Höhe
gehalten haben. Nun gilt es, immer genügend Gold bereit zu haben, um
einem erwachenden Mißtrauen des Auslandes in das Papiergeld entgegen zu
treten, was wesentlich von der Handelsbilanz des Reiches und der Zufuhr
fremden Goldes abhängen wird.

Seit dem Aufblühen der Industrie sind gewaltige Kapitalmengen vom
Auslande her nach Rußland hineingeflossen und haben dem Finanzminister die


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[0086] Politik und Finanzen in Rußland Nun ist zwar die aktive oder die passive Handelsbilanz kein absoluter Maßstab für das Gedeihen oder Verarmen eines Volkes; vielmehr zeigen gerade die reichsten Länder das größte Minus ihrer Ausfuhr gegen die Einfuhr an Waren. Aber dieses Minus muß, wenn das Land nicht verarmen soll, gedeckt und in Überschüsse verwandelt werden durch die Zinsen aus Kapital, das in fremden Papierwerten oder in auswärtigen erwerblichen Unternehmungen vor¬ handen ist. Wo solches Kapital fast völlig fehlt und die Erzeugung an Edel¬ metall gering ist, wie in Rußland, da ist die Handelsbilanz der Gradmesser für das Auf- und Absteigen des Volksvermögens, wenigstens in Rücksicht auf den Metallvorrat. Trotz dieser bedenklichen Verhältnisse hat Herr Witte es gewagt, durch das Gesetz vom 3. Januar 1897 eine Geldreform zu dekretieren, mit der die lange sistierte Einwechslung des staatlichen Papiergeldes in Gold wieder auf¬ genommen wurde. Man hat diese Reform den Übergang zur Goldwährung genannt, und sie wird diese Bezeichnung verdienen, wenn und solange der „feste Glaube an die stetige Weiterentwicklung der produktiven Kräfte Rußlands," auf den Herr Witte sich beruft, nicht erschüttert wird, und zwar solange, als er nicht erschüttert wird im Auslande, wo der Zwangskurs nicht hinreicht. Diese Operation freilich barg, genau genommen, teilweise einen Staatsbankerott in sich, insofern als der Staat den Wert seines Papierrubels um ein Drittel niedriger, als wie er ausgegeben worden war, auf die neue Goldmünze ver¬ rechnete: die alte Goldmünze soll nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Nudeln Papier gleichstehen. Das heißt so viel, als daß die russische Regierung den russischen Rubel zu dem Goldwert einlösen will, den ihm der ausländische Kredit beilegt, ja sogar niedriger, da sich der Rubelkurs seit Jahren über 2 Mk. 16 Pfg. gehalten hat, der normale Kurs aber nur 2 Mk. 6 Pfg. für zwei Drittel Rubel ergeben müßte. Hierin schon drückt sich vielleicht die Sorge aus, ob man den Goldrubel im Lande werde halten können. Und dies wird auch künftig die Sorge des russischen Finanzministers bleiben. Vorläufig hat der russische Fiskus freilich mit dieser sogenannten Deval¬ vation des Rudels einen ansehnlichen Gewinn eingestrichen. Indem der Staat auf jeden Rubel ein Drittel einfach strich, gewann er ein Drittel seiner Schuld in Papiergeld und auf Papiergeld gestellter Staatswerte, was zusammen einen Gewinn von etwa 1300 Millionen Rubeln ausmacht. Andrerseits mag der Finanzminister den Rubelkurs seit Jahren mit starken Opfern auf stetiger Höhe gehalten haben. Nun gilt es, immer genügend Gold bereit zu haben, um einem erwachenden Mißtrauen des Auslandes in das Papiergeld entgegen zu treten, was wesentlich von der Handelsbilanz des Reiches und der Zufuhr fremden Goldes abhängen wird. Seit dem Aufblühen der Industrie sind gewaltige Kapitalmengen vom Auslande her nach Rußland hineingeflossen und haben dem Finanzminister die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/86>, abgerufen am 23.07.2024.