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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Politik und Finanzen in Rußland

der sich, wie die offiziellen Ausweise sagten, am 1. Januar 1897 auf 1206
Millionen Rubel belief, glaubte Herr Witte, der Augenblick sei gekommen,
das russische Geldwesen aus seinem pcipiernen, schwankenden Zustande zu reißen
und gleich den leitenden Kulturstaaten auf eine feste Goldwährung zu gründen.
Durch ein Gesetz vom 3. Januar 1897 wurde erklärt, daß die Goldwährung
fortan zu gelten habe, indem ein festes Verhältnis des Papierrubels zum
Goldrubel hergestellt wurde. In seinem Bericht an den Zaren über das
Reichsbudget für 1898 konnte der Finanzminister mit Stolz sagen, er habe
im Jahre 1897 die "Reform des Geldwesens in ihren Hauptzügen zum Ab¬
schluß gebracht." Nicht mit geringerer Genugthuung versicherte außerdem der
Minister, daß die Einnahmen des Staates in stetem "rapiden" Wachstum be¬
griffen seien und schon die erstaunliche Höhe von 1474 Millionen Rubeln er¬
reicht Hütten. Und was am meisten freudige Bewunderung verdient, war die
weitere Versicherung des Ministers, daß dieses Wachstum der Staatseinnahmen
als ein "Kennzeichen und als unmittelbare Folge der allgemeinen Besserung
der wirtschaftlichen Lage Rußlands erscheine."

Auf die Anfechtbarkeit dieser Behauptung habe ich in diesen Blättern
schon gelegentlich hingewiesen.*) Während aber einzelne Stimmen seit Jahren
den offiziellen Schilderungen russischer Finanzerfolge einige Zweifel entgegen¬
stellten, hat man sich bei uns in Deutschland in dem alten Vertrauen in die
unermeßlichen Reichtümer Rußlands und besonders in die Pünktlichkeit seiner
Zinszahlungen nicht viel stören lassen. Es ist jedoch von großer Wichtigkeit für
uns, daß wir unsern östlichen Nachbarn weder allzusehr unterschätzen noch über¬
schätzen, weshalb es von Nutzen sein dürfte, solchen Stimmen Gehör zu schenken,
die sich aus Nußland selbst und von wissenschaftlich anerkannten Männern
vernehmen lassen. Ich meine in erster Reihe eine Schrift Jssajews über die
russische Finanzpolitik seit der Mitte der achtziger Jahre,**) die uns jetzt in
deutscher Übersetzung vorliegt, und in der er, wenn auch in weniger scharfer
und schroffer Weise, als es in den bekannten Schriften Cyons geschehen ist,
doch ein Urteil fällt, das von der bewundernden Anerkennung stark abweicht,
in der man sich im ganzen sowohl in Rußland als auch außerhalb hat gehn
oder besser gängeln lassen.

Der Verfasser wendet sich gegen Äußerungen, die Herr Witte in seinem
Rechenschaftsbericht an den Zaren über das Budget für 1896 gethan, und in
denen er die glänzende Lage der Staatsfinanzen zum Beweise der guten Lage
der Volkswirtschaft genommen hat. "Der an und für sich sonderbare Gedanke,
hatte der Minister gesagt, daß die Staatsfinanzen zu einer Zeit, in der die




Jahrgang 1398, II, S, 254 ff.
"Zur Politik des russischen Finanzministeriums seit Mitte der achtziger Jahre." Sluttgnrt,
Dietz Nachfolger, 1898,
Politik und Finanzen in Rußland

der sich, wie die offiziellen Ausweise sagten, am 1. Januar 1897 auf 1206
Millionen Rubel belief, glaubte Herr Witte, der Augenblick sei gekommen,
das russische Geldwesen aus seinem pcipiernen, schwankenden Zustande zu reißen
und gleich den leitenden Kulturstaaten auf eine feste Goldwährung zu gründen.
Durch ein Gesetz vom 3. Januar 1897 wurde erklärt, daß die Goldwährung
fortan zu gelten habe, indem ein festes Verhältnis des Papierrubels zum
Goldrubel hergestellt wurde. In seinem Bericht an den Zaren über das
Reichsbudget für 1898 konnte der Finanzminister mit Stolz sagen, er habe
im Jahre 1897 die „Reform des Geldwesens in ihren Hauptzügen zum Ab¬
schluß gebracht." Nicht mit geringerer Genugthuung versicherte außerdem der
Minister, daß die Einnahmen des Staates in stetem „rapiden" Wachstum be¬
griffen seien und schon die erstaunliche Höhe von 1474 Millionen Rubeln er¬
reicht Hütten. Und was am meisten freudige Bewunderung verdient, war die
weitere Versicherung des Ministers, daß dieses Wachstum der Staatseinnahmen
als ein „Kennzeichen und als unmittelbare Folge der allgemeinen Besserung
der wirtschaftlichen Lage Rußlands erscheine."

Auf die Anfechtbarkeit dieser Behauptung habe ich in diesen Blättern
schon gelegentlich hingewiesen.*) Während aber einzelne Stimmen seit Jahren
den offiziellen Schilderungen russischer Finanzerfolge einige Zweifel entgegen¬
stellten, hat man sich bei uns in Deutschland in dem alten Vertrauen in die
unermeßlichen Reichtümer Rußlands und besonders in die Pünktlichkeit seiner
Zinszahlungen nicht viel stören lassen. Es ist jedoch von großer Wichtigkeit für
uns, daß wir unsern östlichen Nachbarn weder allzusehr unterschätzen noch über¬
schätzen, weshalb es von Nutzen sein dürfte, solchen Stimmen Gehör zu schenken,
die sich aus Nußland selbst und von wissenschaftlich anerkannten Männern
vernehmen lassen. Ich meine in erster Reihe eine Schrift Jssajews über die
russische Finanzpolitik seit der Mitte der achtziger Jahre,**) die uns jetzt in
deutscher Übersetzung vorliegt, und in der er, wenn auch in weniger scharfer
und schroffer Weise, als es in den bekannten Schriften Cyons geschehen ist,
doch ein Urteil fällt, das von der bewundernden Anerkennung stark abweicht,
in der man sich im ganzen sowohl in Rußland als auch außerhalb hat gehn
oder besser gängeln lassen.

Der Verfasser wendet sich gegen Äußerungen, die Herr Witte in seinem
Rechenschaftsbericht an den Zaren über das Budget für 1896 gethan, und in
denen er die glänzende Lage der Staatsfinanzen zum Beweise der guten Lage
der Volkswirtschaft genommen hat. „Der an und für sich sonderbare Gedanke,
hatte der Minister gesagt, daß die Staatsfinanzen zu einer Zeit, in der die




Jahrgang 1398, II, S, 254 ff.
„Zur Politik des russischen Finanzministeriums seit Mitte der achtziger Jahre." Sluttgnrt,
Dietz Nachfolger, 1898,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/82>, abgerufen am 23.07.2024.