Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Der goldne Lngel Feuers, das ihnen ans Leben wollte, und Line stand, erfüllt von Grauen und Ent¬ Nun waren sie frei, nun waren sie erlöst, Gottes Hand faßte zu und zer¬ Wie sie aber so stand und die Flammen näher und näher herankommen sah, Sie faßte deu Deckel, stülpte ihn über das Räderwerk, umfaßte es mit beiden Ju der Außenthür prallte sie zurück. Der Gang in seiner ganzen Länge Line lies durch Schlaf- und Wohnzimmer; dort war ein Fensterchen nach der Lieber wollte sie versuchen, von der Gnngthür aus hinüber auf die Küchen¬ Das Modell gegen die Brust gedrückt, die Augen starr auf die offne, grell¬ Bei dem Klirren des zerbrechenden Glases wandte der Fenerwehrmnnn, der Vorsichtig hoben sie sie auf und trugen sie zur Witwe Grunert hinüber, wo Als die Sonne über des Bäckers Dach emporstieg, um zu sehen, was ihr da Der goldne Lngel Feuers, das ihnen ans Leben wollte, und Line stand, erfüllt von Grauen und Ent¬ Nun waren sie frei, nun waren sie erlöst, Gottes Hand faßte zu und zer¬ Wie sie aber so stand und die Flammen näher und näher herankommen sah, Sie faßte deu Deckel, stülpte ihn über das Räderwerk, umfaßte es mit beiden Ju der Außenthür prallte sie zurück. Der Gang in seiner ganzen Länge Line lies durch Schlaf- und Wohnzimmer; dort war ein Fensterchen nach der Lieber wollte sie versuchen, von der Gnngthür aus hinüber auf die Küchen¬ Das Modell gegen die Brust gedrückt, die Augen starr auf die offne, grell¬ Bei dem Klirren des zerbrechenden Glases wandte der Fenerwehrmnnn, der Vorsichtig hoben sie sie auf und trugen sie zur Witwe Grunert hinüber, wo Als die Sonne über des Bäckers Dach emporstieg, um zu sehen, was ihr da <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0735" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230421"/> <fw type="header" place="top"> Der goldne Lngel</fw><lb/> <p xml:id="ID_3150" prev="#ID_3149"> Feuers, das ihnen ans Leben wollte, und Line stand, erfüllt von Grauen und Ent¬<lb/> zücken, und konnte sich von dem Anblick nicht trennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3151"> Nun waren sie frei, nun waren sie erlöst, Gottes Hand faßte zu und zer¬<lb/> drückte den Unhold — Gott vergab ihre Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_3152"> Wie sie aber so stand und die Flammen näher und näher herankommen sah,<lb/> schwand ihre Freude; dasselbe Gefühl beklemmte ihr Herz, das sie vorhin auf der<lb/> Treppe straucheln ließ, als sie das Kind in Gefahr wähnte. Nicht mehr der Feind<lb/> ihres Glücks, des Vaters Liebling und Vermächtnis wurde bedroht, sie meinte den<lb/> Schatten des alten Mannes klagend um das Modell irren zu sehen, sie meinte<lb/> seine Augen aus den Flammen herabglühen zu sehen, sie hörte das Krachen jenes<lb/> Donners wieder, unter dem er den Todessturz gethan hatte, und als die Flamme<lb/> jetzt auch die Wand durchbrach, sofort mit weitausgestrecktem, glühendem Finger an<lb/> den Holzengel zu Häupten des Modells rührend, entfuhr ihr ein Angstschrei, als<lb/> habe sie lebendiges getroffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3153"> Sie faßte deu Deckel, stülpte ihn über das Räderwerk, umfaßte es mit beiden<lb/> Armen und trug es fliehenden Fußes hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_3154"> Ju der Außenthür prallte sie zurück. Der Gang in seiner ganzen Länge<lb/> war von den Flammen ergriffen, wie Feuerholz brannten Geländer und Dielen¬<lb/> bretter, allzu gut von der Augustsonne ausgedörrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_3155"> Line lies durch Schlaf- und Wohnzimmer; dort war ein Fensterchen nach der<lb/> Küche hinüber, die im festern Vorderhaus lag. Mit prüfendem Blick maß sie die<lb/> Weite — sie allein hätte vielleicht hindurch gekonnt, das Modell aber unmöglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_3156"> Lieber wollte sie versuchen, von der Gnngthür aus hinüber auf die Küchen¬<lb/> schwelle zu springen. Sie hatte das als Kind oft im Spiel fertig bekommen:<lb/> schiefhiu, von Schwelle zu Schwelle, ohne den Gang zu berühren. Nur daß da¬<lb/> mals der Gang keine Flammenstraße gewesen war, und die freien Arme dem<lb/> schwingenden Kinderkörper als Flügel gedient hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3157"> Das Modell gegen die Brust gedrückt, die Augen starr auf die offne, grell¬<lb/> beleuchtete Küche gerichtet, wagte Line den Sprung. Nur um ein weniges geriet<lb/> er zu kurz, aber der Fuß glitt ab von der Schwelle, und der scharfe Stoß dieses<lb/> abgleitenden Fußes brach die Gangbretter durch. Line stürzte ohne einen Laut in<lb/> den Hof hinab.</p><lb/> <p xml:id="ID_3158"> Bei dem Klirren des zerbrechenden Glases wandte der Fenerwehrmnnn, der<lb/> von der Stadtmauer ans den Schlauch nach den Flammen richtete, den Kopf und<lb/> sah herüber; mit kurzem Strahl löschte er die brennenden Kleider. Ein zweiter<lb/> von der Bergnngsmannschaft kam aus der Schmiede heraus, um der Gestürzten<lb/> aufzuhelfen. Aber helfen konnte da keiner mehr, Line Stadel war tot: den goldnen<lb/> Engel im Arm, hatte sie sich zu Tode gestürzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_3159"> Vorsichtig hoben sie sie auf und trugen sie zur Witwe Grunert hinüber, wo<lb/> anch das Kind seine Zuflucht gefunden hatte; um den Haufen Glasscherben und<lb/> verbogner Drähte kümmerte sich keiner, der lag und blieb liegen; die glühenden<lb/> Bretter des Ganges brachen über ihm zusammen, Dachziegel schlugen ans ihn<lb/> herunter, Wasserströme verschwemmten ihn mit Asche und Erde zu einem unentwirr¬<lb/> baren Klumpen. Diesmal blieb nichts von dem Modell übrig, woran sich tastendes<lb/> Ungeschick hätte anklammern können.</p><lb/> <p xml:id="ID_3160" next="#ID_3161"> Als die Sonne über des Bäckers Dach emporstieg, um zu sehen, was ihr da<lb/> unten so verderblich ins Handwerk Psusche, war das Feuer bewältigt. Grundstock<lb/> von Apotheke und Schmiede standen noch, verrußt, durchweicht, zerzaust und trutzig,<lb/> wie zwei Gegner nach einer Rauferei; was dazwischen gelegen hatte von Gängen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0735]
Der goldne Lngel
Feuers, das ihnen ans Leben wollte, und Line stand, erfüllt von Grauen und Ent¬
zücken, und konnte sich von dem Anblick nicht trennen.
Nun waren sie frei, nun waren sie erlöst, Gottes Hand faßte zu und zer¬
drückte den Unhold — Gott vergab ihre Schuld.
Wie sie aber so stand und die Flammen näher und näher herankommen sah,
schwand ihre Freude; dasselbe Gefühl beklemmte ihr Herz, das sie vorhin auf der
Treppe straucheln ließ, als sie das Kind in Gefahr wähnte. Nicht mehr der Feind
ihres Glücks, des Vaters Liebling und Vermächtnis wurde bedroht, sie meinte den
Schatten des alten Mannes klagend um das Modell irren zu sehen, sie meinte
seine Augen aus den Flammen herabglühen zu sehen, sie hörte das Krachen jenes
Donners wieder, unter dem er den Todessturz gethan hatte, und als die Flamme
jetzt auch die Wand durchbrach, sofort mit weitausgestrecktem, glühendem Finger an
den Holzengel zu Häupten des Modells rührend, entfuhr ihr ein Angstschrei, als
habe sie lebendiges getroffen.
Sie faßte deu Deckel, stülpte ihn über das Räderwerk, umfaßte es mit beiden
Armen und trug es fliehenden Fußes hinaus.
Ju der Außenthür prallte sie zurück. Der Gang in seiner ganzen Länge
war von den Flammen ergriffen, wie Feuerholz brannten Geländer und Dielen¬
bretter, allzu gut von der Augustsonne ausgedörrt.
Line lies durch Schlaf- und Wohnzimmer; dort war ein Fensterchen nach der
Küche hinüber, die im festern Vorderhaus lag. Mit prüfendem Blick maß sie die
Weite — sie allein hätte vielleicht hindurch gekonnt, das Modell aber unmöglich.
Lieber wollte sie versuchen, von der Gnngthür aus hinüber auf die Küchen¬
schwelle zu springen. Sie hatte das als Kind oft im Spiel fertig bekommen:
schiefhiu, von Schwelle zu Schwelle, ohne den Gang zu berühren. Nur daß da¬
mals der Gang keine Flammenstraße gewesen war, und die freien Arme dem
schwingenden Kinderkörper als Flügel gedient hatten.
Das Modell gegen die Brust gedrückt, die Augen starr auf die offne, grell¬
beleuchtete Küche gerichtet, wagte Line den Sprung. Nur um ein weniges geriet
er zu kurz, aber der Fuß glitt ab von der Schwelle, und der scharfe Stoß dieses
abgleitenden Fußes brach die Gangbretter durch. Line stürzte ohne einen Laut in
den Hof hinab.
Bei dem Klirren des zerbrechenden Glases wandte der Fenerwehrmnnn, der
von der Stadtmauer ans den Schlauch nach den Flammen richtete, den Kopf und
sah herüber; mit kurzem Strahl löschte er die brennenden Kleider. Ein zweiter
von der Bergnngsmannschaft kam aus der Schmiede heraus, um der Gestürzten
aufzuhelfen. Aber helfen konnte da keiner mehr, Line Stadel war tot: den goldnen
Engel im Arm, hatte sie sich zu Tode gestürzt.
Vorsichtig hoben sie sie auf und trugen sie zur Witwe Grunert hinüber, wo
anch das Kind seine Zuflucht gefunden hatte; um den Haufen Glasscherben und
verbogner Drähte kümmerte sich keiner, der lag und blieb liegen; die glühenden
Bretter des Ganges brachen über ihm zusammen, Dachziegel schlugen ans ihn
herunter, Wasserströme verschwemmten ihn mit Asche und Erde zu einem unentwirr¬
baren Klumpen. Diesmal blieb nichts von dem Modell übrig, woran sich tastendes
Ungeschick hätte anklammern können.
Als die Sonne über des Bäckers Dach emporstieg, um zu sehen, was ihr da
unten so verderblich ins Handwerk Psusche, war das Feuer bewältigt. Grundstock
von Apotheke und Schmiede standen noch, verrußt, durchweicht, zerzaust und trutzig,
wie zwei Gegner nach einer Rauferei; was dazwischen gelegen hatte von Gängen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |