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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

ein untrügliches Merkmal wildester Barbarei sei! Hat das herrschende Volk
eine sittliche Begründung für das angemaßte staatliche Recht, den Genossen
fremden Stammes um die ihm heiligsten Güter zu bringen? Vor Zeiten
pflegte man wohl eroberte Länder zu sichern, indem man die Eingebornen um¬
brachte. Das gilt heute für barbarisch; aber für erlaubt gilt es, sie durch
Generationen langsam am nationalen Rost zu braten: diese Schmerzen achtet
man wenig, dafür hat der physisch-humane Nationalstaat unsrer Zeit keinen
Sinu. Die Griechen, Römer und andre Völker haben es vor dreitausend
Jahren, und die Südseeinsulaner haben es heute für Recht gehalten, jeden
Fremden als Feind umzubringen. Die Kulturstufe zwischen solcher Anschauung
und dem Nationalstaat, der jede fremde Nationalität für feindlich hält, ist
geringer, als die Stufe, die diesen Nationalstaat von einem freien internationalen
Zusammenwohnen trennt.

Ich rede nicht einem Weltbürgertum das Wort, mit dem heute heimat¬
lose Weltbummler prunken. Vielmehr steht dieses Weltbürgertum in scharfem
Gegensatz zu einem gesunden Volkstum, das der ethische Boden ist, in dem die
besten sittlichen Kräfte des Einzelnen ihre natürlichen Wurzeln haben. Ist es
wohl wahrscheinlich, daß in einer Zeit, wo mit jedem Tage die Völker ein¬
ander näher gerückt werden durch die Erleichterung des Verkehrs, wo die
tausend immer neu anschwellenden Adern des materiellen und immateriellen
Verkehrs, keines nationalen Unterschieds achtend, die Menschen dnrch einander
werfen, wo die Teilung der Arbeit dem einen Stamme, nach seiner besondern
Anlage und Schulung, diese Bethätigung, dem andern jene zuweist, daß in
solcher Zeit der Staat dauernd auf seiner Forderung nationaler Einheitlichkeit seiner
Angehörigen werde bestehn können? Es ist ein kurzsichtiges Bemühen, slawischen
Arbeitern die Einwanderung über unsre deutsche Grenze erschweren zu wollen.
So beängstigend es für ängstliche Gemüter sein mag, wahrzunehmen, wie sich der
Pole oder Tscheche in die leer werdenden Kellerräume unsers Hauses einschiebt,
so wird man es schwer finden, unsern deutschen Arbeiter zu bewegen, sür einen
Lohn zu arbeiten, der den Slawen am Eindringen verhindert. Wenigstens für
so lange schwer, als das wirtschaftliche Vorschreiten anhält und dem Arbeit¬
geber die Mittel gewährt, die bessere Arbeit des Deutschen höher zu bezahlen,
als der Lohn ist, den die Arbeit des Tschechen wert ist. Was macht denn
den tschechischen Arbeiter national gefährlich? Es ist hauptsächlich die Er¬
fahrung, daß der deutsche Herr national leicht zu dem Tschechen hinabsteigt,
statt diesen zu sich empor zu heben. Da nimmt man tschechische Dienstboten
und ist sofort bemüht, mit ihnen tschechisch zu radebrechen, statt von ihnen zu
verlangen, daß sie deutsch lernen -- was sie sehr schnell können. Und dann
wachsen die Kinder in tschechischer Sprache auf, und die gute Mutter terres
endlich auch, und die nächste Generation weiß schon nicht mehr, wohin sie
gehört, hat auch Wohl schon einige wilde junge Tschechenhelden mit Namen


Nation und Staat

ein untrügliches Merkmal wildester Barbarei sei! Hat das herrschende Volk
eine sittliche Begründung für das angemaßte staatliche Recht, den Genossen
fremden Stammes um die ihm heiligsten Güter zu bringen? Vor Zeiten
pflegte man wohl eroberte Länder zu sichern, indem man die Eingebornen um¬
brachte. Das gilt heute für barbarisch; aber für erlaubt gilt es, sie durch
Generationen langsam am nationalen Rost zu braten: diese Schmerzen achtet
man wenig, dafür hat der physisch-humane Nationalstaat unsrer Zeit keinen
Sinu. Die Griechen, Römer und andre Völker haben es vor dreitausend
Jahren, und die Südseeinsulaner haben es heute für Recht gehalten, jeden
Fremden als Feind umzubringen. Die Kulturstufe zwischen solcher Anschauung
und dem Nationalstaat, der jede fremde Nationalität für feindlich hält, ist
geringer, als die Stufe, die diesen Nationalstaat von einem freien internationalen
Zusammenwohnen trennt.

Ich rede nicht einem Weltbürgertum das Wort, mit dem heute heimat¬
lose Weltbummler prunken. Vielmehr steht dieses Weltbürgertum in scharfem
Gegensatz zu einem gesunden Volkstum, das der ethische Boden ist, in dem die
besten sittlichen Kräfte des Einzelnen ihre natürlichen Wurzeln haben. Ist es
wohl wahrscheinlich, daß in einer Zeit, wo mit jedem Tage die Völker ein¬
ander näher gerückt werden durch die Erleichterung des Verkehrs, wo die
tausend immer neu anschwellenden Adern des materiellen und immateriellen
Verkehrs, keines nationalen Unterschieds achtend, die Menschen dnrch einander
werfen, wo die Teilung der Arbeit dem einen Stamme, nach seiner besondern
Anlage und Schulung, diese Bethätigung, dem andern jene zuweist, daß in
solcher Zeit der Staat dauernd auf seiner Forderung nationaler Einheitlichkeit seiner
Angehörigen werde bestehn können? Es ist ein kurzsichtiges Bemühen, slawischen
Arbeitern die Einwanderung über unsre deutsche Grenze erschweren zu wollen.
So beängstigend es für ängstliche Gemüter sein mag, wahrzunehmen, wie sich der
Pole oder Tscheche in die leer werdenden Kellerräume unsers Hauses einschiebt,
so wird man es schwer finden, unsern deutschen Arbeiter zu bewegen, sür einen
Lohn zu arbeiten, der den Slawen am Eindringen verhindert. Wenigstens für
so lange schwer, als das wirtschaftliche Vorschreiten anhält und dem Arbeit¬
geber die Mittel gewährt, die bessere Arbeit des Deutschen höher zu bezahlen,
als der Lohn ist, den die Arbeit des Tschechen wert ist. Was macht denn
den tschechischen Arbeiter national gefährlich? Es ist hauptsächlich die Er¬
fahrung, daß der deutsche Herr national leicht zu dem Tschechen hinabsteigt,
statt diesen zu sich empor zu heben. Da nimmt man tschechische Dienstboten
und ist sofort bemüht, mit ihnen tschechisch zu radebrechen, statt von ihnen zu
verlangen, daß sie deutsch lernen — was sie sehr schnell können. Und dann
wachsen die Kinder in tschechischer Sprache auf, und die gute Mutter terres
endlich auch, und die nächste Generation weiß schon nicht mehr, wohin sie
gehört, hat auch Wohl schon einige wilde junge Tschechenhelden mit Namen


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[0710] Nation und Staat ein untrügliches Merkmal wildester Barbarei sei! Hat das herrschende Volk eine sittliche Begründung für das angemaßte staatliche Recht, den Genossen fremden Stammes um die ihm heiligsten Güter zu bringen? Vor Zeiten pflegte man wohl eroberte Länder zu sichern, indem man die Eingebornen um¬ brachte. Das gilt heute für barbarisch; aber für erlaubt gilt es, sie durch Generationen langsam am nationalen Rost zu braten: diese Schmerzen achtet man wenig, dafür hat der physisch-humane Nationalstaat unsrer Zeit keinen Sinu. Die Griechen, Römer und andre Völker haben es vor dreitausend Jahren, und die Südseeinsulaner haben es heute für Recht gehalten, jeden Fremden als Feind umzubringen. Die Kulturstufe zwischen solcher Anschauung und dem Nationalstaat, der jede fremde Nationalität für feindlich hält, ist geringer, als die Stufe, die diesen Nationalstaat von einem freien internationalen Zusammenwohnen trennt. Ich rede nicht einem Weltbürgertum das Wort, mit dem heute heimat¬ lose Weltbummler prunken. Vielmehr steht dieses Weltbürgertum in scharfem Gegensatz zu einem gesunden Volkstum, das der ethische Boden ist, in dem die besten sittlichen Kräfte des Einzelnen ihre natürlichen Wurzeln haben. Ist es wohl wahrscheinlich, daß in einer Zeit, wo mit jedem Tage die Völker ein¬ ander näher gerückt werden durch die Erleichterung des Verkehrs, wo die tausend immer neu anschwellenden Adern des materiellen und immateriellen Verkehrs, keines nationalen Unterschieds achtend, die Menschen dnrch einander werfen, wo die Teilung der Arbeit dem einen Stamme, nach seiner besondern Anlage und Schulung, diese Bethätigung, dem andern jene zuweist, daß in solcher Zeit der Staat dauernd auf seiner Forderung nationaler Einheitlichkeit seiner Angehörigen werde bestehn können? Es ist ein kurzsichtiges Bemühen, slawischen Arbeitern die Einwanderung über unsre deutsche Grenze erschweren zu wollen. So beängstigend es für ängstliche Gemüter sein mag, wahrzunehmen, wie sich der Pole oder Tscheche in die leer werdenden Kellerräume unsers Hauses einschiebt, so wird man es schwer finden, unsern deutschen Arbeiter zu bewegen, sür einen Lohn zu arbeiten, der den Slawen am Eindringen verhindert. Wenigstens für so lange schwer, als das wirtschaftliche Vorschreiten anhält und dem Arbeit¬ geber die Mittel gewährt, die bessere Arbeit des Deutschen höher zu bezahlen, als der Lohn ist, den die Arbeit des Tschechen wert ist. Was macht denn den tschechischen Arbeiter national gefährlich? Es ist hauptsächlich die Er¬ fahrung, daß der deutsche Herr national leicht zu dem Tschechen hinabsteigt, statt diesen zu sich empor zu heben. Da nimmt man tschechische Dienstboten und ist sofort bemüht, mit ihnen tschechisch zu radebrechen, statt von ihnen zu verlangen, daß sie deutsch lernen — was sie sehr schnell können. Und dann wachsen die Kinder in tschechischer Sprache auf, und die gute Mutter terres endlich auch, und die nächste Generation weiß schon nicht mehr, wohin sie gehört, hat auch Wohl schon einige wilde junge Tschechenhelden mit Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/710>, abgerufen am 23.07.2024.