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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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sein nicht heben. Für all zu viele Leute bei uns hört das Deutschtum an der
deutschen Grenze auf; sie versteh" kaum, wie Deutsche in fremden Staaten den
Anspruch erheben können, deutsch zu bleiben. Es giebt Leute, die bereit sind,
sofort Engländer oder Russen zu werden, sobald sie sich entschlossen haben, in
England, Amerika, Rußland ihr Glück zu suchen, und die solchen, die das
nicht wollen oder billigen, daraus einen Vorwurf machen. Es giebt Leute,
die sich, wenn sie in die Fremde gehn, vorher mit deutschem Reichsstempel
sollten abstempeln lassen, um wenigstens die Erinnerung zu behalten, welchem
Volke sie zuerst angehörten. Solche Leute können es natürlich nicht versteh",
warum sich der Pole oder der Däne so anstrengt, polnisch, dünisch zu bleiben.
Weshalb wechselt der Murr denn nicht seine Nationalität, nachdem er die Ne¬
gierung gewechselt hat? Fort mit dem alten dänischen Rock, und heran mit
dem neuen deutschen! Wenn nicht, dann auswandern! Und der Ruf erschallt
dann: Landgraf, werde hart!

Auswandern! Ja, wäre das so leicht, wäre da nicht Haus und Hof,
Freunde und Gewohnheiten, Broterwerb und alles das, was mau von den
Vätern an materiellen und immateriellen Gütern ererbte! Wäre da nicht die
Heimat, und bliebe der Ausruf Dantons nicht wahr, mit dem er den Tod der
Auswanderung vorzog: 0n n'smxorts xg.s ig, xg,tris g,n höret ctss Lömellss.
Wäre das alles nicht, wäre man wie der Hausierer oder Zigeuner überall zu
Hause, wo es was zu verdienen giebt -- dann wäre mancher Undeutsche wohl
von selbst weiter gewandert, ohne Nachhilfe der Staatsgewalt. Wer hierfür
kein Verständnis hat, für den ist die Heimat der Staat, er ist zu Hause, wo
des Königs Flagge weht, er wäre der rechte Mann gewesen, mit einem dänischen
Seekönige vor tausend Jahren nach Sizilien zu segeln oder mit einem Gotcn-
sürsten über den Balkan zu gehn. Wer das Nomadentum ganz abgestreift hat
und tief national fühlt, wird wissen, daß Volkstum und heimische Scholle
ideale Werte sind, die an Heiligkeit von nichts, auch vom religiösen Glauben
nicht, übertroffen werden.

Das junge Deutsche Reich hat sich bisher nicht zu der harten Mißhand¬
lung fremder Nationalitäten hinreißen lassen, zu denen der wilde Nationalitäten¬
kampf es in andern Staaten gebracht hat; und dem Deutschen Reiche möge das
auch künftig erspart bleiben, selbst wenn es mehr fremde Elemente aufnehmen
sollte, als es bisher umschließt. Hat denn ein Stamm, weil er Herr des
Landes ist, das Recht, schwächere Stämme daraus zu vertreiben oder national
zu vergewaltigen?*) Eine wenig zeitgemäße Anschauung heute, wo alle Staaten
Europas nach Ausdehnung streben, wo die großen Mächte dabei sind, vier¬
hundert Millionen Chinesen davon zu überzeugen, daß sie kein Recht haben,
ihr Haus gegen fremde Eindringlinge zu schließen, und daß der Fremdenhaß



A. d. R, -) Wenn es das Lebensinteresse des Staats verlangt, allerdings.

sein nicht heben. Für all zu viele Leute bei uns hört das Deutschtum an der
deutschen Grenze auf; sie versteh« kaum, wie Deutsche in fremden Staaten den
Anspruch erheben können, deutsch zu bleiben. Es giebt Leute, die bereit sind,
sofort Engländer oder Russen zu werden, sobald sie sich entschlossen haben, in
England, Amerika, Rußland ihr Glück zu suchen, und die solchen, die das
nicht wollen oder billigen, daraus einen Vorwurf machen. Es giebt Leute,
die sich, wenn sie in die Fremde gehn, vorher mit deutschem Reichsstempel
sollten abstempeln lassen, um wenigstens die Erinnerung zu behalten, welchem
Volke sie zuerst angehörten. Solche Leute können es natürlich nicht versteh»,
warum sich der Pole oder der Däne so anstrengt, polnisch, dünisch zu bleiben.
Weshalb wechselt der Murr denn nicht seine Nationalität, nachdem er die Ne¬
gierung gewechselt hat? Fort mit dem alten dänischen Rock, und heran mit
dem neuen deutschen! Wenn nicht, dann auswandern! Und der Ruf erschallt
dann: Landgraf, werde hart!

Auswandern! Ja, wäre das so leicht, wäre da nicht Haus und Hof,
Freunde und Gewohnheiten, Broterwerb und alles das, was mau von den
Vätern an materiellen und immateriellen Gütern ererbte! Wäre da nicht die
Heimat, und bliebe der Ausruf Dantons nicht wahr, mit dem er den Tod der
Auswanderung vorzog: 0n n'smxorts xg.s ig, xg,tris g,n höret ctss Lömellss.
Wäre das alles nicht, wäre man wie der Hausierer oder Zigeuner überall zu
Hause, wo es was zu verdienen giebt — dann wäre mancher Undeutsche wohl
von selbst weiter gewandert, ohne Nachhilfe der Staatsgewalt. Wer hierfür
kein Verständnis hat, für den ist die Heimat der Staat, er ist zu Hause, wo
des Königs Flagge weht, er wäre der rechte Mann gewesen, mit einem dänischen
Seekönige vor tausend Jahren nach Sizilien zu segeln oder mit einem Gotcn-
sürsten über den Balkan zu gehn. Wer das Nomadentum ganz abgestreift hat
und tief national fühlt, wird wissen, daß Volkstum und heimische Scholle
ideale Werte sind, die an Heiligkeit von nichts, auch vom religiösen Glauben
nicht, übertroffen werden.

Das junge Deutsche Reich hat sich bisher nicht zu der harten Mißhand¬
lung fremder Nationalitäten hinreißen lassen, zu denen der wilde Nationalitäten¬
kampf es in andern Staaten gebracht hat; und dem Deutschen Reiche möge das
auch künftig erspart bleiben, selbst wenn es mehr fremde Elemente aufnehmen
sollte, als es bisher umschließt. Hat denn ein Stamm, weil er Herr des
Landes ist, das Recht, schwächere Stämme daraus zu vertreiben oder national
zu vergewaltigen?*) Eine wenig zeitgemäße Anschauung heute, wo alle Staaten
Europas nach Ausdehnung streben, wo die großen Mächte dabei sind, vier¬
hundert Millionen Chinesen davon zu überzeugen, daß sie kein Recht haben,
ihr Haus gegen fremde Eindringlinge zu schließen, und daß der Fremdenhaß



A. d. R, -) Wenn es das Lebensinteresse des Staats verlangt, allerdings.
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[0709] sein nicht heben. Für all zu viele Leute bei uns hört das Deutschtum an der deutschen Grenze auf; sie versteh« kaum, wie Deutsche in fremden Staaten den Anspruch erheben können, deutsch zu bleiben. Es giebt Leute, die bereit sind, sofort Engländer oder Russen zu werden, sobald sie sich entschlossen haben, in England, Amerika, Rußland ihr Glück zu suchen, und die solchen, die das nicht wollen oder billigen, daraus einen Vorwurf machen. Es giebt Leute, die sich, wenn sie in die Fremde gehn, vorher mit deutschem Reichsstempel sollten abstempeln lassen, um wenigstens die Erinnerung zu behalten, welchem Volke sie zuerst angehörten. Solche Leute können es natürlich nicht versteh», warum sich der Pole oder der Däne so anstrengt, polnisch, dünisch zu bleiben. Weshalb wechselt der Murr denn nicht seine Nationalität, nachdem er die Ne¬ gierung gewechselt hat? Fort mit dem alten dänischen Rock, und heran mit dem neuen deutschen! Wenn nicht, dann auswandern! Und der Ruf erschallt dann: Landgraf, werde hart! Auswandern! Ja, wäre das so leicht, wäre da nicht Haus und Hof, Freunde und Gewohnheiten, Broterwerb und alles das, was mau von den Vätern an materiellen und immateriellen Gütern ererbte! Wäre da nicht die Heimat, und bliebe der Ausruf Dantons nicht wahr, mit dem er den Tod der Auswanderung vorzog: 0n n'smxorts xg.s ig, xg,tris g,n höret ctss Lömellss. Wäre das alles nicht, wäre man wie der Hausierer oder Zigeuner überall zu Hause, wo es was zu verdienen giebt — dann wäre mancher Undeutsche wohl von selbst weiter gewandert, ohne Nachhilfe der Staatsgewalt. Wer hierfür kein Verständnis hat, für den ist die Heimat der Staat, er ist zu Hause, wo des Königs Flagge weht, er wäre der rechte Mann gewesen, mit einem dänischen Seekönige vor tausend Jahren nach Sizilien zu segeln oder mit einem Gotcn- sürsten über den Balkan zu gehn. Wer das Nomadentum ganz abgestreift hat und tief national fühlt, wird wissen, daß Volkstum und heimische Scholle ideale Werte sind, die an Heiligkeit von nichts, auch vom religiösen Glauben nicht, übertroffen werden. Das junge Deutsche Reich hat sich bisher nicht zu der harten Mißhand¬ lung fremder Nationalitäten hinreißen lassen, zu denen der wilde Nationalitäten¬ kampf es in andern Staaten gebracht hat; und dem Deutschen Reiche möge das auch künftig erspart bleiben, selbst wenn es mehr fremde Elemente aufnehmen sollte, als es bisher umschließt. Hat denn ein Stamm, weil er Herr des Landes ist, das Recht, schwächere Stämme daraus zu vertreiben oder national zu vergewaltigen?*) Eine wenig zeitgemäße Anschauung heute, wo alle Staaten Europas nach Ausdehnung streben, wo die großen Mächte dabei sind, vier¬ hundert Millionen Chinesen davon zu überzeugen, daß sie kein Recht haben, ihr Haus gegen fremde Eindringlinge zu schließen, und daß der Fremdenhaß A. d. R, -) Wenn es das Lebensinteresse des Staats verlangt, allerdings.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/709>, abgerufen am 23.07.2024.