Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Übelstände bei der Rentenbewilligung der letzte" Untersuchung noch nicht gehoben, aber doch ist im Zustande des Mau sieht, an wie viel Klippen der Arbeiter scheitern kaun, und wie Die Sache wäre an sich nicht böse, wenn Versicherungsanstalten und Be¬ Übelstände bei der Rentenbewilligung der letzte» Untersuchung noch nicht gehoben, aber doch ist im Zustande des Mau sieht, an wie viel Klippen der Arbeiter scheitern kaun, und wie Die Sache wäre an sich nicht böse, wenn Versicherungsanstalten und Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0655" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230341"/> <fw type="header" place="top"> Übelstände bei der Rentenbewilligung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2769" prev="#ID_2768"> der letzte» Untersuchung noch nicht gehoben, aber doch ist im Zustande des<lb/> Rentenempfängers nach dem Zeugnis des Vertrauensarztes eine wesentliche<lb/> Besserung zu verzeichnen, und die Rente wird herabgesetzt. Der Arbeiter kann<lb/> ein zweites ärztliches Gutachten von einem andern Arzte einholen, wenn er<lb/> soviel Überlegung und dazu die nötigen Geldmittel besitzt. Aber dieser andre<lb/> Arzt kann in Unfallsachen keine Erfahrung haben und in Gradabschätzungen<lb/> bei Arbeitsinvaliden nicht bewandert sein. Dann nützt das zweite ärztliche<lb/> Gutachten auch nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_2770"> Mau sieht, an wie viel Klippen der Arbeiter scheitern kaun, und wie<lb/> er sehr wohl eines tüchtigen Steuermanns bedarf, um ungefährdet durch sie<lb/> hiudurchzusegelu. Und doch muß sich der Steuermann noch dazu der aller-<lb/> uvtdürftigsten Hilfsmittel zur Steuerung bedienen, während die Verufsgenossen-<lb/> schaften und Versicheruugsanstalten, die ihn nicht aufkommen lasse» wolle»,<lb/> mit dem ganzen Rüstzeug ihrer Wissenschaft in deu Kampf treten. Sie haben<lb/> ein Heer geschulter Beamten und gewiegter Anwälte, eine Schar sachverständiger<lb/> Vertrauensärzte, sie brauche» keine anch noch so großen Kosten zu scheuen,<lb/> um sich jedes gewünschte Beweismnterial zu verschaffen, ihnen stehen in jedem<lb/> Augenblick die Akten zur Verfügung, die sie in deu Stand setzen, sich deu<lb/> ganzen Sachverhalt mit leichter Mühe immer wieder vou neuem vor Augen<lb/> zu führen und die Schwachen der Gegner herauszufinden. Das Aktenmaterial<lb/> ist das Wertvollste, und dieses gerade ist sich der klägerische Arbeiter voll¬<lb/> ständig zu beschaffen kaum imstande. Was er in den Bescheiden und Vor¬<lb/> bescheiden von den Auskünften der Arbeitgeber, den Zeugnissen der Ärzte zu<lb/> erfahren bekommt, sind zumeist nur kurze, aus dem Zusammenhang heraus-<lb/> gegriffue Einzelheiten oder von den Berufsgenossenschaften und Versicheruugs-<lb/> anstalteu selbst zusammengestellte Endergebnisse. Selten, daß er wortgetreue<lb/> Abschriften der ärztlichen Gutachten gegen Bezahlung erlangen kann, und auch<lb/> von den eignen Eingaben behält er sich des Kostenpunktes wegen nicht immer<lb/> une Abschrift zurück, da die Eingaben sowieso schon immer in zwei Exemplaren<lb/> bei den Schiedsgerichten und beim Reichsversicheruugsamt einzureichen sind.<lb/> So muß sich der Arbeiter bei jedem Schritt vorwärts mühsam immer wieder<lb/> von neuem das alte Material zusammensuchen, um festen Boden uuter den<lb/> Füßen zu haben, so viel er sich auch müht, er kämpft immer gegen einen<lb/> halb verdeckten Feind an und wird deshalb ihm gegenüber auch immer im<lb/> Nachteil sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2771" next="#ID_2772"> Die Sache wäre an sich nicht böse, wenn Versicherungsanstalten und Be¬<lb/> rufsgenossenschaften im Bewußtsein der Verantwortlichkeit ihrer sozialen Auf¬<lb/> gabe dahin streben würden, jeden Einzelfall, soweit es irgend geht, aufzuklären<lb/> und so dem Arbeiter nach Möglichkeit zu seinem Rechte zu verhelfen. Das<lb/> geschieht aber schon bei den Versicheruugsaustalteu nicht immer. Sieht man<lb/> sich die Bescheide durch, die die Antragsteller auf ihre Eingaben erhalten, so</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0655]
Übelstände bei der Rentenbewilligung
der letzte» Untersuchung noch nicht gehoben, aber doch ist im Zustande des
Rentenempfängers nach dem Zeugnis des Vertrauensarztes eine wesentliche
Besserung zu verzeichnen, und die Rente wird herabgesetzt. Der Arbeiter kann
ein zweites ärztliches Gutachten von einem andern Arzte einholen, wenn er
soviel Überlegung und dazu die nötigen Geldmittel besitzt. Aber dieser andre
Arzt kann in Unfallsachen keine Erfahrung haben und in Gradabschätzungen
bei Arbeitsinvaliden nicht bewandert sein. Dann nützt das zweite ärztliche
Gutachten auch nichts.
Mau sieht, an wie viel Klippen der Arbeiter scheitern kaun, und wie
er sehr wohl eines tüchtigen Steuermanns bedarf, um ungefährdet durch sie
hiudurchzusegelu. Und doch muß sich der Steuermann noch dazu der aller-
uvtdürftigsten Hilfsmittel zur Steuerung bedienen, während die Verufsgenossen-
schaften und Versicheruugsanstalten, die ihn nicht aufkommen lasse» wolle»,
mit dem ganzen Rüstzeug ihrer Wissenschaft in deu Kampf treten. Sie haben
ein Heer geschulter Beamten und gewiegter Anwälte, eine Schar sachverständiger
Vertrauensärzte, sie brauche» keine anch noch so großen Kosten zu scheuen,
um sich jedes gewünschte Beweismnterial zu verschaffen, ihnen stehen in jedem
Augenblick die Akten zur Verfügung, die sie in deu Stand setzen, sich deu
ganzen Sachverhalt mit leichter Mühe immer wieder vou neuem vor Augen
zu führen und die Schwachen der Gegner herauszufinden. Das Aktenmaterial
ist das Wertvollste, und dieses gerade ist sich der klägerische Arbeiter voll¬
ständig zu beschaffen kaum imstande. Was er in den Bescheiden und Vor¬
bescheiden von den Auskünften der Arbeitgeber, den Zeugnissen der Ärzte zu
erfahren bekommt, sind zumeist nur kurze, aus dem Zusammenhang heraus-
gegriffue Einzelheiten oder von den Berufsgenossenschaften und Versicheruugs-
anstalteu selbst zusammengestellte Endergebnisse. Selten, daß er wortgetreue
Abschriften der ärztlichen Gutachten gegen Bezahlung erlangen kann, und auch
von den eignen Eingaben behält er sich des Kostenpunktes wegen nicht immer
une Abschrift zurück, da die Eingaben sowieso schon immer in zwei Exemplaren
bei den Schiedsgerichten und beim Reichsversicheruugsamt einzureichen sind.
So muß sich der Arbeiter bei jedem Schritt vorwärts mühsam immer wieder
von neuem das alte Material zusammensuchen, um festen Boden uuter den
Füßen zu haben, so viel er sich auch müht, er kämpft immer gegen einen
halb verdeckten Feind an und wird deshalb ihm gegenüber auch immer im
Nachteil sein.
Die Sache wäre an sich nicht böse, wenn Versicherungsanstalten und Be¬
rufsgenossenschaften im Bewußtsein der Verantwortlichkeit ihrer sozialen Auf¬
gabe dahin streben würden, jeden Einzelfall, soweit es irgend geht, aufzuklären
und so dem Arbeiter nach Möglichkeit zu seinem Rechte zu verhelfen. Das
geschieht aber schon bei den Versicheruugsaustalteu nicht immer. Sieht man
sich die Bescheide durch, die die Antragsteller auf ihre Eingaben erhalten, so
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