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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

genug ist, alle geringern Bedenken zurückdrängend sich der ungetrübten Freude
an dem neuen Phönix hinzugeben, so dürfte es von Nutzen sein, von Zeit
zu Zeit die Asche etwas aufzurühren, aus der er erstanden ist, und sich das
Aussehen des alten Phönix deutscher Nation, der darin unterging, zu ver¬
gegenwärtigen. Der realistische und sarkastische Ritter von Lang hat zwar beim
Krönungsfest Kaiser Leopolds im Jahre 1790 vielfach andre Dinge zu Frank¬
furt gesehen als Goethe 26 Jahre vorher bei der Königskrönung Josephs sah;
aber wenn jener seiner Spottlust zu sehr die Zügel schießen ließ, so mag dem
fünfzehnjährigen Dichterknaben vieles Glänzende als echtes Gold erschiene!,
sein, was es nicht war, was man denn auch aus der Erzählung des alten
Goethe unschwer zwischen den Zeilen herauslesen kann. So entnehme ich
denn den Memoiren Längs einige Zeichnungen des burlesken Norgangs, der
hundert Jahre vor dem Antritt der Regierung Kaiser Wilhelms II. zum
letztenmal in der Krönungsstadt Frankfurt einen deutschen Kaiser alter Art
erstehn ließ.*)

Der Ritter von Lang war als Abgesandter des Direktors des schwäbischen
Grafenbundes, Fürsten von Wallerstein, nach Frankfurt gekommen und im
Interesse dieser Grafen thätig. Die erste hochwichtige Angelegenheit nun, die
ihm in diesem Interesse dort unter die Hände kam, war, so erzählt er, "ein
Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter denjenigen
jungen Grafen, welche die Ehre haben, nach dem bestehenden Neichszeremonial
die Speisen auf die kaiserliche Krönungstafel zu tragen, auch die jungen Herren
Grafen von Pappenheim möchten zugelassen werden. Die gesamten deutschen
Neichsgrafenlande aber, wohin man Kuriere und Stafetten laufen ließ, kamen
darüber in nicht geringen Aufruhr und Bestürzung, sintemal, unbeschadet der
persönlichen Würde der Herren Grafen von Pappenheim, ihre Herrschaft selbst
keine wirkliche Neichsgrasschaft, sondern nur eine unmittelbare reichsritterschaft-
liche Besitzung war."

"Ich erhielt also, fährt Lang fort, den Auftrag, eine Antwort an den
alten Erbmarschall aufzusetzen, welche ungefähr dahin ging: So erfreut und
diensterbötig die gesamten Grafen des heiligen römischen Reichs selbst in dem
Fall sein würden, daß der Herr Erbmarschall zum römischen Kaiser und König
von Germanien gewählt werden wollte, so wenig könnten sie jedoch auf dessen
exorbitantes, unübersehliches, unberechenbares und folgenschweres Begehren, die
Herren Söhne und Vettern beim Schüsseltragen und Aufwarten zuzulassen,
weder für jetzt, noch in alle ewige Zeiten eingehn.

"Ich hatte mich aber sehr geirrt, wenn ich hoffte, unter diesen hochgräf-
lichen Segeln die kommende Frankfurter Pracht nunmehr ruhig mit ansehen
zu können. Mitten in der Nacht brach neuerdings ein so gräßlicher Sturm
aus, daß ich schleunigst aus Frankfurt heraus nach Offenbach, als dem Ver-



Lang a. n. O, >, ff.
Nation und Staat

genug ist, alle geringern Bedenken zurückdrängend sich der ungetrübten Freude
an dem neuen Phönix hinzugeben, so dürfte es von Nutzen sein, von Zeit
zu Zeit die Asche etwas aufzurühren, aus der er erstanden ist, und sich das
Aussehen des alten Phönix deutscher Nation, der darin unterging, zu ver¬
gegenwärtigen. Der realistische und sarkastische Ritter von Lang hat zwar beim
Krönungsfest Kaiser Leopolds im Jahre 1790 vielfach andre Dinge zu Frank¬
furt gesehen als Goethe 26 Jahre vorher bei der Königskrönung Josephs sah;
aber wenn jener seiner Spottlust zu sehr die Zügel schießen ließ, so mag dem
fünfzehnjährigen Dichterknaben vieles Glänzende als echtes Gold erschiene!,
sein, was es nicht war, was man denn auch aus der Erzählung des alten
Goethe unschwer zwischen den Zeilen herauslesen kann. So entnehme ich
denn den Memoiren Längs einige Zeichnungen des burlesken Norgangs, der
hundert Jahre vor dem Antritt der Regierung Kaiser Wilhelms II. zum
letztenmal in der Krönungsstadt Frankfurt einen deutschen Kaiser alter Art
erstehn ließ.*)

Der Ritter von Lang war als Abgesandter des Direktors des schwäbischen
Grafenbundes, Fürsten von Wallerstein, nach Frankfurt gekommen und im
Interesse dieser Grafen thätig. Die erste hochwichtige Angelegenheit nun, die
ihm in diesem Interesse dort unter die Hände kam, war, so erzählt er, „ein
Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter denjenigen
jungen Grafen, welche die Ehre haben, nach dem bestehenden Neichszeremonial
die Speisen auf die kaiserliche Krönungstafel zu tragen, auch die jungen Herren
Grafen von Pappenheim möchten zugelassen werden. Die gesamten deutschen
Neichsgrafenlande aber, wohin man Kuriere und Stafetten laufen ließ, kamen
darüber in nicht geringen Aufruhr und Bestürzung, sintemal, unbeschadet der
persönlichen Würde der Herren Grafen von Pappenheim, ihre Herrschaft selbst
keine wirkliche Neichsgrasschaft, sondern nur eine unmittelbare reichsritterschaft-
liche Besitzung war."

„Ich erhielt also, fährt Lang fort, den Auftrag, eine Antwort an den
alten Erbmarschall aufzusetzen, welche ungefähr dahin ging: So erfreut und
diensterbötig die gesamten Grafen des heiligen römischen Reichs selbst in dem
Fall sein würden, daß der Herr Erbmarschall zum römischen Kaiser und König
von Germanien gewählt werden wollte, so wenig könnten sie jedoch auf dessen
exorbitantes, unübersehliches, unberechenbares und folgenschweres Begehren, die
Herren Söhne und Vettern beim Schüsseltragen und Aufwarten zuzulassen,
weder für jetzt, noch in alle ewige Zeiten eingehn.

„Ich hatte mich aber sehr geirrt, wenn ich hoffte, unter diesen hochgräf-
lichen Segeln die kommende Frankfurter Pracht nunmehr ruhig mit ansehen
zu können. Mitten in der Nacht brach neuerdings ein so gräßlicher Sturm
aus, daß ich schleunigst aus Frankfurt heraus nach Offenbach, als dem Ver-



Lang a. n. O, >, ff.
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[0644] Nation und Staat genug ist, alle geringern Bedenken zurückdrängend sich der ungetrübten Freude an dem neuen Phönix hinzugeben, so dürfte es von Nutzen sein, von Zeit zu Zeit die Asche etwas aufzurühren, aus der er erstanden ist, und sich das Aussehen des alten Phönix deutscher Nation, der darin unterging, zu ver¬ gegenwärtigen. Der realistische und sarkastische Ritter von Lang hat zwar beim Krönungsfest Kaiser Leopolds im Jahre 1790 vielfach andre Dinge zu Frank¬ furt gesehen als Goethe 26 Jahre vorher bei der Königskrönung Josephs sah; aber wenn jener seiner Spottlust zu sehr die Zügel schießen ließ, so mag dem fünfzehnjährigen Dichterknaben vieles Glänzende als echtes Gold erschiene!, sein, was es nicht war, was man denn auch aus der Erzählung des alten Goethe unschwer zwischen den Zeilen herauslesen kann. So entnehme ich denn den Memoiren Längs einige Zeichnungen des burlesken Norgangs, der hundert Jahre vor dem Antritt der Regierung Kaiser Wilhelms II. zum letztenmal in der Krönungsstadt Frankfurt einen deutschen Kaiser alter Art erstehn ließ.*) Der Ritter von Lang war als Abgesandter des Direktors des schwäbischen Grafenbundes, Fürsten von Wallerstein, nach Frankfurt gekommen und im Interesse dieser Grafen thätig. Die erste hochwichtige Angelegenheit nun, die ihm in diesem Interesse dort unter die Hände kam, war, so erzählt er, „ein Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter denjenigen jungen Grafen, welche die Ehre haben, nach dem bestehenden Neichszeremonial die Speisen auf die kaiserliche Krönungstafel zu tragen, auch die jungen Herren Grafen von Pappenheim möchten zugelassen werden. Die gesamten deutschen Neichsgrafenlande aber, wohin man Kuriere und Stafetten laufen ließ, kamen darüber in nicht geringen Aufruhr und Bestürzung, sintemal, unbeschadet der persönlichen Würde der Herren Grafen von Pappenheim, ihre Herrschaft selbst keine wirkliche Neichsgrasschaft, sondern nur eine unmittelbare reichsritterschaft- liche Besitzung war." „Ich erhielt also, fährt Lang fort, den Auftrag, eine Antwort an den alten Erbmarschall aufzusetzen, welche ungefähr dahin ging: So erfreut und diensterbötig die gesamten Grafen des heiligen römischen Reichs selbst in dem Fall sein würden, daß der Herr Erbmarschall zum römischen Kaiser und König von Germanien gewählt werden wollte, so wenig könnten sie jedoch auf dessen exorbitantes, unübersehliches, unberechenbares und folgenschweres Begehren, die Herren Söhne und Vettern beim Schüsseltragen und Aufwarten zuzulassen, weder für jetzt, noch in alle ewige Zeiten eingehn. „Ich hatte mich aber sehr geirrt, wenn ich hoffte, unter diesen hochgräf- lichen Segeln die kommende Frankfurter Pracht nunmehr ruhig mit ansehen zu können. Mitten in der Nacht brach neuerdings ein so gräßlicher Sturm aus, daß ich schleunigst aus Frankfurt heraus nach Offenbach, als dem Ver- Lang a. n. O, >, ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/644>, abgerufen am 23.07.2024.