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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

rein staatlicher Eifersucht gegen einander es Frankreich im Verein mit Ru߬
land überließen, im Neichsdeputationshauptschluß die deutschen Kernlande nach
Gunst zu verteilen, waren die beiden Ostmarken doch, wenn auch nicht aus
nationalen Motiven, so durch ihre staatliche Stellung die Schützer des deutschen
Mutterlandes.

Von den preußische" und österreichischen Truppen, die bei Leipzig kämpften,
hatte nur ein geringer Teil seine Heimat auf altem deutschem Boden, der weit¬
aus größte Teil war aus deutschen Kolonialgcbieten oder aus undeutschen
Ländern der österreichischen Krone. Die Hauptkraft sowohl Österreichs als
Preußens lag 1813 in Ländern, die auch staatlich gar nicht zum Deutschen
Reiche gehörten, die mir durch Heirat, Erbgang oder Eroberung an die Häuser
Habsburg und Hohenzollern gekommen waren. Denn Preußen war seit 1807
auf seinen ostelbischen Besitz beschränkt und zog seine beste Kraft aus dem Erbe
der Deutschherren und den polnischen Erwerbungen, Gebieten, die alle außer¬
halb des Bundesgebietes lagen. Auf slawischen, von Deutschen kolonisiertem
Boden ist die einheitliche Kraft erwachsen, die die Nation rettete, und so wurde
ein Teil der Schuld getilgt, die das undeutsche Österreich seit Jahrhunderten
dem Reiche gegenüber auf sich geladen hatte. Das eigentliche Deutsche Reich
stand fast ganz unter der Fahne Napoleons. Und fünfzig Jahre später war
es wieder nicht das deutsche Kernland, das über die Zukunft des Volkes ent¬
schied, sondern der Entscheidungskampf wurde in der Hauptsache zwischen den
beiden kolonialen Ostmarken ausgesuchten.

Der Grund hiervon war, daß sich nur die Ostmarken noch ein staat¬
liches Bewußtsein gewahrt und staatliche Mittel zur Verteidigung bereit hatten.
Die Kernlande hatten nicht nur das nationale, sondern zuletzt auch das
staatliche Bewußtsein verloren. Alle die zahllosen kleinen Herren waren
allmählich dem Stande patriarchalischer Grundherren nahe gekommen, fühlten
sich als Herren von Gottes Gnaden bis hinab zu einem Wallerstein oder
Erbach und regierten ihre Länder wie Rittergüter, der eine gut und zum
Gedeihen seiner Unterthanen, der andre als wüster Verschwender, der dritte
als Despot. Es fehlte wenig, so konnte man diesen Fürstenstand von den
Polnischen Magnaten des vorigen Jahrhunderts kaum mehr unterscheiden.
Dort wie hier die Willkür des Privatherrn, nicht die Staatsordnung des
Gesetzes; hier schloß Bayern ein Offensiv- und Defensivbündnis mit Ru߬
land und stellte ihm seine 20000 Mann Truppen zur Verfügung, und dort
that ein Potocki oder Radzwill mit gleicher Heeresmacht dasselbe. Der eine
verhandelte seine Soldaten an auswärtige Mächte, der andre sparte die Aus¬
gaben für irgend welche Soldaten, um eine Reise nach Italien zu machen.
Von staatlichen Pflichten war bei diesen Herren selten die Rede: sie wurden
bestenfalls ersetzt durch die Pflichten privater Art, die sich ein redlicher und
wohlgesinnter Manu selbst auferlegt. Was diese Fürsten von den polnischen


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Nation und Staat

rein staatlicher Eifersucht gegen einander es Frankreich im Verein mit Ru߬
land überließen, im Neichsdeputationshauptschluß die deutschen Kernlande nach
Gunst zu verteilen, waren die beiden Ostmarken doch, wenn auch nicht aus
nationalen Motiven, so durch ihre staatliche Stellung die Schützer des deutschen
Mutterlandes.

Von den preußische» und österreichischen Truppen, die bei Leipzig kämpften,
hatte nur ein geringer Teil seine Heimat auf altem deutschem Boden, der weit¬
aus größte Teil war aus deutschen Kolonialgcbieten oder aus undeutschen
Ländern der österreichischen Krone. Die Hauptkraft sowohl Österreichs als
Preußens lag 1813 in Ländern, die auch staatlich gar nicht zum Deutschen
Reiche gehörten, die mir durch Heirat, Erbgang oder Eroberung an die Häuser
Habsburg und Hohenzollern gekommen waren. Denn Preußen war seit 1807
auf seinen ostelbischen Besitz beschränkt und zog seine beste Kraft aus dem Erbe
der Deutschherren und den polnischen Erwerbungen, Gebieten, die alle außer¬
halb des Bundesgebietes lagen. Auf slawischen, von Deutschen kolonisiertem
Boden ist die einheitliche Kraft erwachsen, die die Nation rettete, und so wurde
ein Teil der Schuld getilgt, die das undeutsche Österreich seit Jahrhunderten
dem Reiche gegenüber auf sich geladen hatte. Das eigentliche Deutsche Reich
stand fast ganz unter der Fahne Napoleons. Und fünfzig Jahre später war
es wieder nicht das deutsche Kernland, das über die Zukunft des Volkes ent¬
schied, sondern der Entscheidungskampf wurde in der Hauptsache zwischen den
beiden kolonialen Ostmarken ausgesuchten.

Der Grund hiervon war, daß sich nur die Ostmarken noch ein staat¬
liches Bewußtsein gewahrt und staatliche Mittel zur Verteidigung bereit hatten.
Die Kernlande hatten nicht nur das nationale, sondern zuletzt auch das
staatliche Bewußtsein verloren. Alle die zahllosen kleinen Herren waren
allmählich dem Stande patriarchalischer Grundherren nahe gekommen, fühlten
sich als Herren von Gottes Gnaden bis hinab zu einem Wallerstein oder
Erbach und regierten ihre Länder wie Rittergüter, der eine gut und zum
Gedeihen seiner Unterthanen, der andre als wüster Verschwender, der dritte
als Despot. Es fehlte wenig, so konnte man diesen Fürstenstand von den
Polnischen Magnaten des vorigen Jahrhunderts kaum mehr unterscheiden.
Dort wie hier die Willkür des Privatherrn, nicht die Staatsordnung des
Gesetzes; hier schloß Bayern ein Offensiv- und Defensivbündnis mit Ru߬
land und stellte ihm seine 20000 Mann Truppen zur Verfügung, und dort
that ein Potocki oder Radzwill mit gleicher Heeresmacht dasselbe. Der eine
verhandelte seine Soldaten an auswärtige Mächte, der andre sparte die Aus¬
gaben für irgend welche Soldaten, um eine Reise nach Italien zu machen.
Von staatlichen Pflichten war bei diesen Herren selten die Rede: sie wurden
bestenfalls ersetzt durch die Pflichten privater Art, die sich ein redlicher und
wohlgesinnter Manu selbst auferlegt. Was diese Fürsten von den polnischen


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[0641] Nation und Staat rein staatlicher Eifersucht gegen einander es Frankreich im Verein mit Ru߬ land überließen, im Neichsdeputationshauptschluß die deutschen Kernlande nach Gunst zu verteilen, waren die beiden Ostmarken doch, wenn auch nicht aus nationalen Motiven, so durch ihre staatliche Stellung die Schützer des deutschen Mutterlandes. Von den preußische» und österreichischen Truppen, die bei Leipzig kämpften, hatte nur ein geringer Teil seine Heimat auf altem deutschem Boden, der weit¬ aus größte Teil war aus deutschen Kolonialgcbieten oder aus undeutschen Ländern der österreichischen Krone. Die Hauptkraft sowohl Österreichs als Preußens lag 1813 in Ländern, die auch staatlich gar nicht zum Deutschen Reiche gehörten, die mir durch Heirat, Erbgang oder Eroberung an die Häuser Habsburg und Hohenzollern gekommen waren. Denn Preußen war seit 1807 auf seinen ostelbischen Besitz beschränkt und zog seine beste Kraft aus dem Erbe der Deutschherren und den polnischen Erwerbungen, Gebieten, die alle außer¬ halb des Bundesgebietes lagen. Auf slawischen, von Deutschen kolonisiertem Boden ist die einheitliche Kraft erwachsen, die die Nation rettete, und so wurde ein Teil der Schuld getilgt, die das undeutsche Österreich seit Jahrhunderten dem Reiche gegenüber auf sich geladen hatte. Das eigentliche Deutsche Reich stand fast ganz unter der Fahne Napoleons. Und fünfzig Jahre später war es wieder nicht das deutsche Kernland, das über die Zukunft des Volkes ent¬ schied, sondern der Entscheidungskampf wurde in der Hauptsache zwischen den beiden kolonialen Ostmarken ausgesuchten. Der Grund hiervon war, daß sich nur die Ostmarken noch ein staat¬ liches Bewußtsein gewahrt und staatliche Mittel zur Verteidigung bereit hatten. Die Kernlande hatten nicht nur das nationale, sondern zuletzt auch das staatliche Bewußtsein verloren. Alle die zahllosen kleinen Herren waren allmählich dem Stande patriarchalischer Grundherren nahe gekommen, fühlten sich als Herren von Gottes Gnaden bis hinab zu einem Wallerstein oder Erbach und regierten ihre Länder wie Rittergüter, der eine gut und zum Gedeihen seiner Unterthanen, der andre als wüster Verschwender, der dritte als Despot. Es fehlte wenig, so konnte man diesen Fürstenstand von den Polnischen Magnaten des vorigen Jahrhunderts kaum mehr unterscheiden. Dort wie hier die Willkür des Privatherrn, nicht die Staatsordnung des Gesetzes; hier schloß Bayern ein Offensiv- und Defensivbündnis mit Ru߬ land und stellte ihm seine 20000 Mann Truppen zur Verfügung, und dort that ein Potocki oder Radzwill mit gleicher Heeresmacht dasselbe. Der eine verhandelte seine Soldaten an auswärtige Mächte, der andre sparte die Aus¬ gaben für irgend welche Soldaten, um eine Reise nach Italien zu machen. Von staatlichen Pflichten war bei diesen Herren selten die Rede: sie wurden bestenfalls ersetzt durch die Pflichten privater Art, die sich ein redlicher und wohlgesinnter Manu selbst auferlegt. Was diese Fürsten von den polnischen Grenzlwtcn I I8W »"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/641>, abgerufen am 23.07.2024.