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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

So, nett! Der Raum ein der Küche ist gut zum Wohnen, die Schlafkammer
lege" wir zwischen Werkstatt und Wohnstube, damit ihr euch uicht Thür an Thür
aller Minuten Ma der Arbeit abhalten könnt. Die Küche übergebe ich dir, du
bist die Hausfrau, und ich miete mich mit Kostgeld bei euch ein. Wehre dich nicht,
nett, und vergiß nicht immer, daß du eine arme Frau wirst.

nett lächelte, sie fühlte sich sehr reich.

Du solltest nicht ungläubig lächeln, nett, du wirst erst noch sehen, was es
auf sich hat mit dem Leben; bis jetzt hast du nur in der Spielschnle gesteckt, aber
eine Frau muß feste Schultern haben, es kommt vor, daß sie das ganze Haus allein
zu tragen hat.

nett saß auf dem kleinen Sofa, das sie für die neue Wohnstube gekauft hatte,
faßte die Schwägerin bei der Hand und zog sie an ihre Seite. Ich weiß, Line,
deine Schultern! und dn bist mir auch immer ein Vorbild gewesen.

Unsinn! fuhr Line unwirsch dazwischen, was fällt dir ein! Aber wenn du
es weißt, dann laß uns gleich von dem Wichtigsten reden: der goldne Engel muß
ans dem Haus mit all seinen Trabanten.

Mutter hat schon darum geredet, antwortete nett ruhig, aber Karl sagt, es
gehe nicht, des Vaters Geist lebe in diesen Dingen.

Des Vaters Geist? O nein, ein fremder, unseliger Geist, des Vaters Ver¬
nichter lebt darin. Verrichte du ihn wieder, das ist eine gerechte Sache. Ernstlich,
nett, du mußt Karl dazu bringen. Wenn du es jetzt nicht vermagst, vermagst
du es nie, und das Gespenst wird euch verderben, wie es unsre Eltern ver¬
dorben hat.

Du mußt ihn dazu bringen -- so lange Line sprach, meinte nett, das sei
leicht und notwendig, wenn sie aber Karl gegenüberstand, verflog der Same wieder,
deu die grämliche Schwägerin ausgestreut hatte.

nett liebte mit einer vollen, altmodischen Liebe, ohne Wenn und Aber, ohne
Bruch und Riß. Wie konnte sie anders denken, als er dachte, anders fühlen, als
er fühlte, anders urteilen, als er urteilte? Sie begriff nur noch durch ihn, sie sah
"ur noch und seinen Allgen, sie wollte nnr noch mit seinem Willen.

So wanderten die beiden in einer goldnen Wolke der Hochzeit zu und fühlte"
nichts von den Sorgen der andern, die draußen am nüchternen Tageslicht stand
und trotz aller Liebe gar zu gern das trügerische Gewölk zerblasen hätte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Vorläufer von Rodbertus.

Bei den Nationalökonomen von Fach
ist es gebräuchlich, Rodbertus als den Fortsetzer oder Vollender der Lehre Ricardos
darzustellen. Aber wer das, was der geniale, warmherzige und mit philosophischem
Blick die Welt umspannende Rodbertus dem blutlose" Rechenmeister Ricardo
entnommen hat. seine Tnuschwerttheorie, für die Hauptsache hält, der begeht nu


Maßgebliches und Unmaßgebliches

So, nett! Der Raum ein der Küche ist gut zum Wohnen, die Schlafkammer
lege» wir zwischen Werkstatt und Wohnstube, damit ihr euch uicht Thür an Thür
aller Minuten Ma der Arbeit abhalten könnt. Die Küche übergebe ich dir, du
bist die Hausfrau, und ich miete mich mit Kostgeld bei euch ein. Wehre dich nicht,
nett, und vergiß nicht immer, daß du eine arme Frau wirst.

nett lächelte, sie fühlte sich sehr reich.

Du solltest nicht ungläubig lächeln, nett, du wirst erst noch sehen, was es
auf sich hat mit dem Leben; bis jetzt hast du nur in der Spielschnle gesteckt, aber
eine Frau muß feste Schultern haben, es kommt vor, daß sie das ganze Haus allein
zu tragen hat.

nett saß auf dem kleinen Sofa, das sie für die neue Wohnstube gekauft hatte,
faßte die Schwägerin bei der Hand und zog sie an ihre Seite. Ich weiß, Line,
deine Schultern! und dn bist mir auch immer ein Vorbild gewesen.

Unsinn! fuhr Line unwirsch dazwischen, was fällt dir ein! Aber wenn du
es weißt, dann laß uns gleich von dem Wichtigsten reden: der goldne Engel muß
ans dem Haus mit all seinen Trabanten.

Mutter hat schon darum geredet, antwortete nett ruhig, aber Karl sagt, es
gehe nicht, des Vaters Geist lebe in diesen Dingen.

Des Vaters Geist? O nein, ein fremder, unseliger Geist, des Vaters Ver¬
nichter lebt darin. Verrichte du ihn wieder, das ist eine gerechte Sache. Ernstlich,
nett, du mußt Karl dazu bringen. Wenn du es jetzt nicht vermagst, vermagst
du es nie, und das Gespenst wird euch verderben, wie es unsre Eltern ver¬
dorben hat.

Du mußt ihn dazu bringen — so lange Line sprach, meinte nett, das sei
leicht und notwendig, wenn sie aber Karl gegenüberstand, verflog der Same wieder,
deu die grämliche Schwägerin ausgestreut hatte.

nett liebte mit einer vollen, altmodischen Liebe, ohne Wenn und Aber, ohne
Bruch und Riß. Wie konnte sie anders denken, als er dachte, anders fühlen, als
er fühlte, anders urteilen, als er urteilte? Sie begriff nur noch durch ihn, sie sah
»ur noch und seinen Allgen, sie wollte nnr noch mit seinem Willen.

So wanderten die beiden in einer goldnen Wolke der Hochzeit zu und fühlte»
nichts von den Sorgen der andern, die draußen am nüchternen Tageslicht stand
und trotz aller Liebe gar zu gern das trügerische Gewölk zerblasen hätte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Vorläufer von Rodbertus.

Bei den Nationalökonomen von Fach
ist es gebräuchlich, Rodbertus als den Fortsetzer oder Vollender der Lehre Ricardos
darzustellen. Aber wer das, was der geniale, warmherzige und mit philosophischem
Blick die Welt umspannende Rodbertus dem blutlose» Rechenmeister Ricardo
entnommen hat. seine Tnuschwerttheorie, für die Hauptsache hält, der begeht nu


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[0629] Maßgebliches und Unmaßgebliches So, nett! Der Raum ein der Küche ist gut zum Wohnen, die Schlafkammer lege» wir zwischen Werkstatt und Wohnstube, damit ihr euch uicht Thür an Thür aller Minuten Ma der Arbeit abhalten könnt. Die Küche übergebe ich dir, du bist die Hausfrau, und ich miete mich mit Kostgeld bei euch ein. Wehre dich nicht, nett, und vergiß nicht immer, daß du eine arme Frau wirst. nett lächelte, sie fühlte sich sehr reich. Du solltest nicht ungläubig lächeln, nett, du wirst erst noch sehen, was es auf sich hat mit dem Leben; bis jetzt hast du nur in der Spielschnle gesteckt, aber eine Frau muß feste Schultern haben, es kommt vor, daß sie das ganze Haus allein zu tragen hat. nett saß auf dem kleinen Sofa, das sie für die neue Wohnstube gekauft hatte, faßte die Schwägerin bei der Hand und zog sie an ihre Seite. Ich weiß, Line, deine Schultern! und dn bist mir auch immer ein Vorbild gewesen. Unsinn! fuhr Line unwirsch dazwischen, was fällt dir ein! Aber wenn du es weißt, dann laß uns gleich von dem Wichtigsten reden: der goldne Engel muß ans dem Haus mit all seinen Trabanten. Mutter hat schon darum geredet, antwortete nett ruhig, aber Karl sagt, es gehe nicht, des Vaters Geist lebe in diesen Dingen. Des Vaters Geist? O nein, ein fremder, unseliger Geist, des Vaters Ver¬ nichter lebt darin. Verrichte du ihn wieder, das ist eine gerechte Sache. Ernstlich, nett, du mußt Karl dazu bringen. Wenn du es jetzt nicht vermagst, vermagst du es nie, und das Gespenst wird euch verderben, wie es unsre Eltern ver¬ dorben hat. Du mußt ihn dazu bringen — so lange Line sprach, meinte nett, das sei leicht und notwendig, wenn sie aber Karl gegenüberstand, verflog der Same wieder, deu die grämliche Schwägerin ausgestreut hatte. nett liebte mit einer vollen, altmodischen Liebe, ohne Wenn und Aber, ohne Bruch und Riß. Wie konnte sie anders denken, als er dachte, anders fühlen, als er fühlte, anders urteilen, als er urteilte? Sie begriff nur noch durch ihn, sie sah »ur noch und seinen Allgen, sie wollte nnr noch mit seinem Willen. So wanderten die beiden in einer goldnen Wolke der Hochzeit zu und fühlte» nichts von den Sorgen der andern, die draußen am nüchternen Tageslicht stand und trotz aller Liebe gar zu gern das trügerische Gewölk zerblasen hätte. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein Vorläufer von Rodbertus. Bei den Nationalökonomen von Fach ist es gebräuchlich, Rodbertus als den Fortsetzer oder Vollender der Lehre Ricardos darzustellen. Aber wer das, was der geniale, warmherzige und mit philosophischem Blick die Welt umspannende Rodbertus dem blutlose» Rechenmeister Ricardo entnommen hat. seine Tnuschwerttheorie, für die Hauptsache hält, der begeht nu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/629>, abgerufen am 03.07.2024.