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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

bare Aufgabe nennt, ist die Fürsorge nun einmal uicht. Wenn sich dennoch Leute
aus allen Ständen in den Dienst dieser Sache stellen, so kauu man überzeugt
sein, es handelt sich nicht um eine Schrulle, sondern um eine eruste Pflicht.

Im Kampf der Meinungen verliert man leicht deu Blick ins Große und
Weite und klammert sich an allerlei kleine Dinge an. Es möge darum zum
Schluß noch einmal der Blick auf deu gewitterschwereu Hintergrund des Fürsorge-
Wesens hingerichtet werden. Das Verbrechertum schwillt zusehends an, auch die
deutsche Jugend ist in steigendem Maße an der Kriminalität des Laudes beteiligt.
Das fordert jeden, der menschlich, vaterländisch und christlich denkt, auf, sich an der
Abwehr des Verbrechertums zu beteiligen und verhüten zu helfen, daß immer
mehr von dem gefunden Leben des Volks abbröckelt und verloren geht. Dazu
hilft auch die Fürsorge für die entlassenen Strafgefauguen, und sie wird viel helfen,
wenn wir nicht schmollend und zweifelsüchtig zur Seite treten, sondern fröhliche"
Herzens Hand anlegen, was gut ist stützen, was fehlerhaft ist bessern.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
1^. Das musikalische Aränzchen

s giebt Zeiten, in denen gewisse Wahrheiten epidemisch werden; sie
beherrschen das Menscheugemut, sie werden in Prosa und Poesie
ausgesproche", sie verdichten sich zu Thatsachen. Dies sind die
Zeiten, in denen große Dinge, Staaten, Verfassungen, Erfindungen
geboren werden. In eine solche Zeit fällt mich die Gründung des
musikalischen Kränzchens für Protzkau und Umgegend. Nebenbei
möge bemerkt werden, daß Protzkau ein kleines Landstädtchen ist, in dem außer der
Apotheke, dein Schwan, der Geistlichkeit und dem Amtsgericht nicht viel los ist.
Aber die Umgegend ist wohlhabend. Dort giebt es nicht allein eine Zuckerfabrik,
sondern auch die "Schlösser" derer von Zeschwitz, sowie die "Herrschaft" des Barons
von Kreuz und auch mehrere Domänen und sonstige Großgrundbesitze.

Es hat sich uicht feststelle" lasse", vo" wem eigentlich der Vorschlag gemacht
worden ist, man solle sich jeden Monat einmal im Schwan z" Prvtzkau zu eine,"
musikalischen Kränzchen zusammenfinden. Daß es ein musikalisches Kränzchen sein
sollte und müßte, stand als selbstverständlich von vornherein fest. Man hätte ja
auch so zusammenkommen könne", aber das hat doch keine Art. Es muß ein
Mittelpunkt da sein, um deu man sich gruppiert. Zum Beispiel Musik. Musik ist
das bequemste; sie ist am leichteste" z" habe" ""d am billigsten, wemgstens die
Musik, die mau selbst macht. Dies war die Überzeugung, die in Protzkau und
Umgegend latent war. Es bedürfte "ur eines glücklichen Augenblicks, in dem sie
ausgesprochen wurde, und das Kränzchen entstand. Anders, sagte Herr Gvrgaß,


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

bare Aufgabe nennt, ist die Fürsorge nun einmal uicht. Wenn sich dennoch Leute
aus allen Ständen in den Dienst dieser Sache stellen, so kauu man überzeugt
sein, es handelt sich nicht um eine Schrulle, sondern um eine eruste Pflicht.

Im Kampf der Meinungen verliert man leicht deu Blick ins Große und
Weite und klammert sich an allerlei kleine Dinge an. Es möge darum zum
Schluß noch einmal der Blick auf deu gewitterschwereu Hintergrund des Fürsorge-
Wesens hingerichtet werden. Das Verbrechertum schwillt zusehends an, auch die
deutsche Jugend ist in steigendem Maße an der Kriminalität des Laudes beteiligt.
Das fordert jeden, der menschlich, vaterländisch und christlich denkt, auf, sich an der
Abwehr des Verbrechertums zu beteiligen und verhüten zu helfen, daß immer
mehr von dem gefunden Leben des Volks abbröckelt und verloren geht. Dazu
hilft auch die Fürsorge für die entlassenen Strafgefauguen, und sie wird viel helfen,
wenn wir nicht schmollend und zweifelsüchtig zur Seite treten, sondern fröhliche»
Herzens Hand anlegen, was gut ist stützen, was fehlerhaft ist bessern.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
1^. Das musikalische Aränzchen

s giebt Zeiten, in denen gewisse Wahrheiten epidemisch werden; sie
beherrschen das Menscheugemut, sie werden in Prosa und Poesie
ausgesproche», sie verdichten sich zu Thatsachen. Dies sind die
Zeiten, in denen große Dinge, Staaten, Verfassungen, Erfindungen
geboren werden. In eine solche Zeit fällt mich die Gründung des
musikalischen Kränzchens für Protzkau und Umgegend. Nebenbei
möge bemerkt werden, daß Protzkau ein kleines Landstädtchen ist, in dem außer der
Apotheke, dein Schwan, der Geistlichkeit und dem Amtsgericht nicht viel los ist.
Aber die Umgegend ist wohlhabend. Dort giebt es nicht allein eine Zuckerfabrik,
sondern auch die „Schlösser" derer von Zeschwitz, sowie die „Herrschaft" des Barons
von Kreuz und auch mehrere Domänen und sonstige Großgrundbesitze.

Es hat sich uicht feststelle» lasse», vo» wem eigentlich der Vorschlag gemacht
worden ist, man solle sich jeden Monat einmal im Schwan z» Prvtzkau zu eine,»
musikalischen Kränzchen zusammenfinden. Daß es ein musikalisches Kränzchen sein
sollte und müßte, stand als selbstverständlich von vornherein fest. Man hätte ja
auch so zusammenkommen könne», aber das hat doch keine Art. Es muß ein
Mittelpunkt da sein, um deu man sich gruppiert. Zum Beispiel Musik. Musik ist
das bequemste; sie ist am leichteste» z» habe» »»d am billigsten, wemgstens die
Musik, die mau selbst macht. Dies war die Überzeugung, die in Protzkau und
Umgegend latent war. Es bedürfte »ur eines glücklichen Augenblicks, in dem sie
ausgesprochen wurde, und das Kränzchen entstand. Anders, sagte Herr Gvrgaß,


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[0610] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben bare Aufgabe nennt, ist die Fürsorge nun einmal uicht. Wenn sich dennoch Leute aus allen Ständen in den Dienst dieser Sache stellen, so kauu man überzeugt sein, es handelt sich nicht um eine Schrulle, sondern um eine eruste Pflicht. Im Kampf der Meinungen verliert man leicht deu Blick ins Große und Weite und klammert sich an allerlei kleine Dinge an. Es möge darum zum Schluß noch einmal der Blick auf deu gewitterschwereu Hintergrund des Fürsorge- Wesens hingerichtet werden. Das Verbrechertum schwillt zusehends an, auch die deutsche Jugend ist in steigendem Maße an der Kriminalität des Laudes beteiligt. Das fordert jeden, der menschlich, vaterländisch und christlich denkt, auf, sich an der Abwehr des Verbrechertums zu beteiligen und verhüten zu helfen, daß immer mehr von dem gefunden Leben des Volks abbröckelt und verloren geht. Dazu hilft auch die Fürsorge für die entlassenen Strafgefauguen, und sie wird viel helfen, wenn wir nicht schmollend und zweifelsüchtig zur Seite treten, sondern fröhliche» Herzens Hand anlegen, was gut ist stützen, was fehlerhaft ist bessern. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Folge 1^. Das musikalische Aränzchen s giebt Zeiten, in denen gewisse Wahrheiten epidemisch werden; sie beherrschen das Menscheugemut, sie werden in Prosa und Poesie ausgesproche», sie verdichten sich zu Thatsachen. Dies sind die Zeiten, in denen große Dinge, Staaten, Verfassungen, Erfindungen geboren werden. In eine solche Zeit fällt mich die Gründung des musikalischen Kränzchens für Protzkau und Umgegend. Nebenbei möge bemerkt werden, daß Protzkau ein kleines Landstädtchen ist, in dem außer der Apotheke, dein Schwan, der Geistlichkeit und dem Amtsgericht nicht viel los ist. Aber die Umgegend ist wohlhabend. Dort giebt es nicht allein eine Zuckerfabrik, sondern auch die „Schlösser" derer von Zeschwitz, sowie die „Herrschaft" des Barons von Kreuz und auch mehrere Domänen und sonstige Großgrundbesitze. Es hat sich uicht feststelle» lasse», vo» wem eigentlich der Vorschlag gemacht worden ist, man solle sich jeden Monat einmal im Schwan z» Prvtzkau zu eine,» musikalischen Kränzchen zusammenfinden. Daß es ein musikalisches Kränzchen sein sollte und müßte, stand als selbstverständlich von vornherein fest. Man hätte ja auch so zusammenkommen könne», aber das hat doch keine Art. Es muß ein Mittelpunkt da sein, um deu man sich gruppiert. Zum Beispiel Musik. Musik ist das bequemste; sie ist am leichteste» z» habe» »»d am billigsten, wemgstens die Musik, die mau selbst macht. Dies war die Überzeugung, die in Protzkau und Umgegend latent war. Es bedürfte »ur eines glücklichen Augenblicks, in dem sie ausgesprochen wurde, und das Kränzchen entstand. Anders, sagte Herr Gvrgaß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/610>, abgerufen am 23.07.2024.