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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Ahartum

wehren versehen, die nachgewiesenermcißen aus der abessinischen Bente bei
Ätna stammten. Doch verdienen solche Nachrichten wenig Glauben: Menelik
hat sich im Vertrage mit England vom 14, Mai 1897 ausdrücklich verpflichtet,
den Derwischen keine Gewehre zu liefern, und außerdem sind die italienischen
Vetterli-Magazingewehre noch recht brauchbar für ihn selbst. Daß die mili¬
tärische Kraft der Mahdisten gebrochen war, erhellt schon daraus, daß sie
während der letzten fünf Jahre trotz bedeutender Übermacht regelmäßig unter¬
lagen, wo sie mit den Italienern zu thun bekamen. So bei Agvrdat am
21. Dezember 1893, vor Kasfala am 17. Juli 1804 und in der Nähe von
Kasfala am 2. und 3. April 1896.

Diese soldatische Minderwertigkeit hat Kitchener ohne Zweifel genau ge¬
kannt, denn sonst wäre die Beziehung des Lagers bei Egeiga mehr als sträf¬
licher Leichtsinn gewesen. Auf zwei- bis dreitausend Meter südwestlich wie
nordwestlich Hügelreihen, vou denen eine mich nnr wenig leistnngsfähige feind¬
liche Artillerie die auf engem Raum versammelten Anglvägypter mit Leichtig¬
keit hatte in Grund und Boden schießen können, ohne daß diesen ein Aus¬
weichen möglich gewesen wäre; im Rücken ein breiter Fluß, sodaß es bei einem
Mißerfolg zu einer entsetzlichen Katastrophe für das Operationskorps hätte
kommen müssen, woran anch die neun Nilkanonenbvvte -- eines war bei der
Fahrt voni Atbarafort bis zum sechsten Katarakt gestrandet -- nichts Hütten
ändern können; völlige Preisgabe der Rückzugslinie. Unwillkürlich drängt
sich angesichts dieser Lage beim Studium der Schlacht der Gedanke auf:
Was würde geworden sein, wenn der Kauf sich mit seinen todesmutigen
Scharen bei Nachtzeit auf Kitcheners Lager gestürzt Hütte? Die Finsternis
hätte die gewaltige Feuerüberlegenheit der Anglvägypter zu einem sehr großen
Teile aufgehoben, und die Überzahl der mahdistischen Streiter wäre zur Gel¬
tung gekommen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit kann man nicht umhin,
die Lagerstellung bei Egeiga für unbesonnen und äußerst gefährlich zu erklären.
Wir gründen dieses herbe Urteil über die Kriegführung Kitcheners nicht auf
blasse Theorie. Noch am Nachmittag des 1. September ging nämlich dein
Sirdar die Nachricht zu -- an der Spitze des Nachrichtenwesens standen der
oben schon genannte Oberst Wingate und stallr Pascha --, der Kauf beab¬
sichtige thatsächlich einen Nachtangriff! Alsbald ließ Kitchener durch die aus
dem Lager Vertriebnen Einwohner von Egeiga verbreiten: die Engländer
wollten ihrerseits in der Nacht des Kalifen Lager anfallen. Dieser war thöricht
genug, sich von der Kriegslist des Gegners fangen zu lassen, und verhielt sich
bis zum nächsten Morgen abwartend. Wie, wenn er angegriffen hätte? Das
Glück war mit den Briten.

Dem Sirdar scheint die Preisgabe seiner Rückzngslinie längs des Nils
doch einigermaßen unbehaglich gewesen zu sein, denn er entsandte am früher
Morgen des 2. September die ägyptische Kavallerie (neun Schwadronen) und


Die Schlacht bei Ahartum

wehren versehen, die nachgewiesenermcißen aus der abessinischen Bente bei
Ätna stammten. Doch verdienen solche Nachrichten wenig Glauben: Menelik
hat sich im Vertrage mit England vom 14, Mai 1897 ausdrücklich verpflichtet,
den Derwischen keine Gewehre zu liefern, und außerdem sind die italienischen
Vetterli-Magazingewehre noch recht brauchbar für ihn selbst. Daß die mili¬
tärische Kraft der Mahdisten gebrochen war, erhellt schon daraus, daß sie
während der letzten fünf Jahre trotz bedeutender Übermacht regelmäßig unter¬
lagen, wo sie mit den Italienern zu thun bekamen. So bei Agvrdat am
21. Dezember 1893, vor Kasfala am 17. Juli 1804 und in der Nähe von
Kasfala am 2. und 3. April 1896.

Diese soldatische Minderwertigkeit hat Kitchener ohne Zweifel genau ge¬
kannt, denn sonst wäre die Beziehung des Lagers bei Egeiga mehr als sträf¬
licher Leichtsinn gewesen. Auf zwei- bis dreitausend Meter südwestlich wie
nordwestlich Hügelreihen, vou denen eine mich nnr wenig leistnngsfähige feind¬
liche Artillerie die auf engem Raum versammelten Anglvägypter mit Leichtig¬
keit hatte in Grund und Boden schießen können, ohne daß diesen ein Aus¬
weichen möglich gewesen wäre; im Rücken ein breiter Fluß, sodaß es bei einem
Mißerfolg zu einer entsetzlichen Katastrophe für das Operationskorps hätte
kommen müssen, woran anch die neun Nilkanonenbvvte — eines war bei der
Fahrt voni Atbarafort bis zum sechsten Katarakt gestrandet — nichts Hütten
ändern können; völlige Preisgabe der Rückzugslinie. Unwillkürlich drängt
sich angesichts dieser Lage beim Studium der Schlacht der Gedanke auf:
Was würde geworden sein, wenn der Kauf sich mit seinen todesmutigen
Scharen bei Nachtzeit auf Kitcheners Lager gestürzt Hütte? Die Finsternis
hätte die gewaltige Feuerüberlegenheit der Anglvägypter zu einem sehr großen
Teile aufgehoben, und die Überzahl der mahdistischen Streiter wäre zur Gel¬
tung gekommen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit kann man nicht umhin,
die Lagerstellung bei Egeiga für unbesonnen und äußerst gefährlich zu erklären.
Wir gründen dieses herbe Urteil über die Kriegführung Kitcheners nicht auf
blasse Theorie. Noch am Nachmittag des 1. September ging nämlich dein
Sirdar die Nachricht zu — an der Spitze des Nachrichtenwesens standen der
oben schon genannte Oberst Wingate und stallr Pascha —, der Kauf beab¬
sichtige thatsächlich einen Nachtangriff! Alsbald ließ Kitchener durch die aus
dem Lager Vertriebnen Einwohner von Egeiga verbreiten: die Engländer
wollten ihrerseits in der Nacht des Kalifen Lager anfallen. Dieser war thöricht
genug, sich von der Kriegslist des Gegners fangen zu lassen, und verhielt sich
bis zum nächsten Morgen abwartend. Wie, wenn er angegriffen hätte? Das
Glück war mit den Briten.

Dem Sirdar scheint die Preisgabe seiner Rückzngslinie längs des Nils
doch einigermaßen unbehaglich gewesen zu sein, denn er entsandte am früher
Morgen des 2. September die ägyptische Kavallerie (neun Schwadronen) und


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[0581] Die Schlacht bei Ahartum wehren versehen, die nachgewiesenermcißen aus der abessinischen Bente bei Ätna stammten. Doch verdienen solche Nachrichten wenig Glauben: Menelik hat sich im Vertrage mit England vom 14, Mai 1897 ausdrücklich verpflichtet, den Derwischen keine Gewehre zu liefern, und außerdem sind die italienischen Vetterli-Magazingewehre noch recht brauchbar für ihn selbst. Daß die mili¬ tärische Kraft der Mahdisten gebrochen war, erhellt schon daraus, daß sie während der letzten fünf Jahre trotz bedeutender Übermacht regelmäßig unter¬ lagen, wo sie mit den Italienern zu thun bekamen. So bei Agvrdat am 21. Dezember 1893, vor Kasfala am 17. Juli 1804 und in der Nähe von Kasfala am 2. und 3. April 1896. Diese soldatische Minderwertigkeit hat Kitchener ohne Zweifel genau ge¬ kannt, denn sonst wäre die Beziehung des Lagers bei Egeiga mehr als sträf¬ licher Leichtsinn gewesen. Auf zwei- bis dreitausend Meter südwestlich wie nordwestlich Hügelreihen, vou denen eine mich nnr wenig leistnngsfähige feind¬ liche Artillerie die auf engem Raum versammelten Anglvägypter mit Leichtig¬ keit hatte in Grund und Boden schießen können, ohne daß diesen ein Aus¬ weichen möglich gewesen wäre; im Rücken ein breiter Fluß, sodaß es bei einem Mißerfolg zu einer entsetzlichen Katastrophe für das Operationskorps hätte kommen müssen, woran anch die neun Nilkanonenbvvte — eines war bei der Fahrt voni Atbarafort bis zum sechsten Katarakt gestrandet — nichts Hütten ändern können; völlige Preisgabe der Rückzugslinie. Unwillkürlich drängt sich angesichts dieser Lage beim Studium der Schlacht der Gedanke auf: Was würde geworden sein, wenn der Kauf sich mit seinen todesmutigen Scharen bei Nachtzeit auf Kitcheners Lager gestürzt Hütte? Die Finsternis hätte die gewaltige Feuerüberlegenheit der Anglvägypter zu einem sehr großen Teile aufgehoben, und die Überzahl der mahdistischen Streiter wäre zur Gel¬ tung gekommen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit kann man nicht umhin, die Lagerstellung bei Egeiga für unbesonnen und äußerst gefährlich zu erklären. Wir gründen dieses herbe Urteil über die Kriegführung Kitcheners nicht auf blasse Theorie. Noch am Nachmittag des 1. September ging nämlich dein Sirdar die Nachricht zu — an der Spitze des Nachrichtenwesens standen der oben schon genannte Oberst Wingate und stallr Pascha —, der Kauf beab¬ sichtige thatsächlich einen Nachtangriff! Alsbald ließ Kitchener durch die aus dem Lager Vertriebnen Einwohner von Egeiga verbreiten: die Engländer wollten ihrerseits in der Nacht des Kalifen Lager anfallen. Dieser war thöricht genug, sich von der Kriegslist des Gegners fangen zu lassen, und verhielt sich bis zum nächsten Morgen abwartend. Wie, wenn er angegriffen hätte? Das Glück war mit den Briten. Dem Sirdar scheint die Preisgabe seiner Rückzngslinie längs des Nils doch einigermaßen unbehaglich gewesen zu sein, denn er entsandte am früher Morgen des 2. September die ägyptische Kavallerie (neun Schwadronen) und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/581>, abgerufen am 23.07.2024.