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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Potemkins Dörfer

akademischer Anstrich mittelbar dem Preisgericht erhalten. Damit hat der
Naturalismus also die akademischen Weihen empfangen. Die Maßnahme wirkt
umso herausfordernder, als sie gegen den Geist der Grillparzerstiftung offen¬
kundig verstößt: denn konnte man Hauptmanns "Hannele" noch möglicherweise
eine gewisse Berührung mit Grillparzers Geist zugestehen, so werden selbst die
Hauptmannschwärmer sans xurasg nicht die Behauptung wagen, der jetzt preis¬
gekrönte "Fuhrmann Henschel" entspreche den Anforderungen, die Grillparzer
an die dramatische Dichtkunst stellte.

Noch ungewöhnlicher wird die akademische Gönnerschaft für den äußersten
Naturalismus durch das "Bankett," das angeblich die philosophisch-historische
Sektion der Wiener Akademie zu Ehren des Dichters veranstaltete. Zwar
blieb in den über dieses Ereignis in alle Welt gesandten Drahtmeldungen ein
Widerspruch bestehen, indem bald von einer ausdrücklichen Veranstaltung der
Akademie, bald von einer persönlichen Einladung durch den Präsidenten die
Rede war. Wir halten den Unterschied für sehr bedeutsam und sähen gern
amtlich festgestellt, ob die Akademie der Wissenschaften oder ihre philosophisch¬
historische Sektion wirklich als solche den Festabend veranlaßt hat, oder ob
diese Behauptung nur der lebhaften Phantasie von Hauptmanns guten Freunden
entsprungen ist. Was nämlich als persönlicher, privater Schritt des Akademie¬
präsidenten eine begreifliche, rein familiäre Liebenswürdigkeit wäre, das würde
als Maßnahme der Akademie wenigstens in der Geschichte der deutschen
wissenschaftlichen Akademien ohne gleichen dastehen und, im Fall die Litteratur¬
geschichte über den "Fuhrmann Henschel" erheblich weniger günstig urteilen
sollte als Hauptmanns Wortführer, eine unsterbliche Bloßstellung der gelehrten
Körperschaft bedeuten.

Weit genug hat sich jedenfalls ein bestimmter wissenschaftlicher Kreis für
Gerhart Hauptmann vorgewagt. Im Wiener Grillparzerpreisgericht sitzt auch
ein Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften; dieses hat seiner Zeit
auch der Berliner Schillerpreiskvmmission angehört, die sich bekanntlich das
letztem"! gleichfalls, wennschon vergeblich, für die Preiskrönung Hauptmanns
aussprach. Wir zweifeln nicht, daß sich diese Versuche im laufenden Jahre
wiederholen werden. Wir müssen uns ferner erinnern, daß zum Grillparzer¬
preisgericht auch der neue Burgtheaterdirektor gehört hat, der früher als
eifrigster Verfechter der Hauptmannschcn Sache in der Berliner Kritik wirkte.
Er war auch unter den Rednern auf dem angeblich akademischen Hauptmann-o
häutete und hob -- nach einer Zeitungsmeldung -- hervor, "welch großen
Einfluß der von Wien ausgegangne deutsche Sprachforscher Wilhelm Scherer
auf Gerhart Hauptmann ausgeübt habe." Gleichzeitig stattete er seinen Dank
dafür ab, daß Hauptmann ihm zum "ersten großen litterarischen Sieg als
Direktor des Burgtheaters verholfen habe."

Wir glauben nicht, daß der Redner so kühn war, wirklich von einem
"Einfluß" Scherers auf Hauptmann zu sprechen; aber wenn er offenbar die


Potemkins Dörfer

akademischer Anstrich mittelbar dem Preisgericht erhalten. Damit hat der
Naturalismus also die akademischen Weihen empfangen. Die Maßnahme wirkt
umso herausfordernder, als sie gegen den Geist der Grillparzerstiftung offen¬
kundig verstößt: denn konnte man Hauptmanns „Hannele" noch möglicherweise
eine gewisse Berührung mit Grillparzers Geist zugestehen, so werden selbst die
Hauptmannschwärmer sans xurasg nicht die Behauptung wagen, der jetzt preis¬
gekrönte „Fuhrmann Henschel" entspreche den Anforderungen, die Grillparzer
an die dramatische Dichtkunst stellte.

Noch ungewöhnlicher wird die akademische Gönnerschaft für den äußersten
Naturalismus durch das „Bankett," das angeblich die philosophisch-historische
Sektion der Wiener Akademie zu Ehren des Dichters veranstaltete. Zwar
blieb in den über dieses Ereignis in alle Welt gesandten Drahtmeldungen ein
Widerspruch bestehen, indem bald von einer ausdrücklichen Veranstaltung der
Akademie, bald von einer persönlichen Einladung durch den Präsidenten die
Rede war. Wir halten den Unterschied für sehr bedeutsam und sähen gern
amtlich festgestellt, ob die Akademie der Wissenschaften oder ihre philosophisch¬
historische Sektion wirklich als solche den Festabend veranlaßt hat, oder ob
diese Behauptung nur der lebhaften Phantasie von Hauptmanns guten Freunden
entsprungen ist. Was nämlich als persönlicher, privater Schritt des Akademie¬
präsidenten eine begreifliche, rein familiäre Liebenswürdigkeit wäre, das würde
als Maßnahme der Akademie wenigstens in der Geschichte der deutschen
wissenschaftlichen Akademien ohne gleichen dastehen und, im Fall die Litteratur¬
geschichte über den „Fuhrmann Henschel" erheblich weniger günstig urteilen
sollte als Hauptmanns Wortführer, eine unsterbliche Bloßstellung der gelehrten
Körperschaft bedeuten.

Weit genug hat sich jedenfalls ein bestimmter wissenschaftlicher Kreis für
Gerhart Hauptmann vorgewagt. Im Wiener Grillparzerpreisgericht sitzt auch
ein Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften; dieses hat seiner Zeit
auch der Berliner Schillerpreiskvmmission angehört, die sich bekanntlich das
letztem»! gleichfalls, wennschon vergeblich, für die Preiskrönung Hauptmanns
aussprach. Wir zweifeln nicht, daß sich diese Versuche im laufenden Jahre
wiederholen werden. Wir müssen uns ferner erinnern, daß zum Grillparzer¬
preisgericht auch der neue Burgtheaterdirektor gehört hat, der früher als
eifrigster Verfechter der Hauptmannschcn Sache in der Berliner Kritik wirkte.
Er war auch unter den Rednern auf dem angeblich akademischen Hauptmann-o
häutete und hob — nach einer Zeitungsmeldung — hervor, „welch großen
Einfluß der von Wien ausgegangne deutsche Sprachforscher Wilhelm Scherer
auf Gerhart Hauptmann ausgeübt habe." Gleichzeitig stattete er seinen Dank
dafür ab, daß Hauptmann ihm zum „ersten großen litterarischen Sieg als
Direktor des Burgtheaters verholfen habe."

Wir glauben nicht, daß der Redner so kühn war, wirklich von einem
»Einfluß" Scherers auf Hauptmann zu sprechen; aber wenn er offenbar die


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[0547] Potemkins Dörfer akademischer Anstrich mittelbar dem Preisgericht erhalten. Damit hat der Naturalismus also die akademischen Weihen empfangen. Die Maßnahme wirkt umso herausfordernder, als sie gegen den Geist der Grillparzerstiftung offen¬ kundig verstößt: denn konnte man Hauptmanns „Hannele" noch möglicherweise eine gewisse Berührung mit Grillparzers Geist zugestehen, so werden selbst die Hauptmannschwärmer sans xurasg nicht die Behauptung wagen, der jetzt preis¬ gekrönte „Fuhrmann Henschel" entspreche den Anforderungen, die Grillparzer an die dramatische Dichtkunst stellte. Noch ungewöhnlicher wird die akademische Gönnerschaft für den äußersten Naturalismus durch das „Bankett," das angeblich die philosophisch-historische Sektion der Wiener Akademie zu Ehren des Dichters veranstaltete. Zwar blieb in den über dieses Ereignis in alle Welt gesandten Drahtmeldungen ein Widerspruch bestehen, indem bald von einer ausdrücklichen Veranstaltung der Akademie, bald von einer persönlichen Einladung durch den Präsidenten die Rede war. Wir halten den Unterschied für sehr bedeutsam und sähen gern amtlich festgestellt, ob die Akademie der Wissenschaften oder ihre philosophisch¬ historische Sektion wirklich als solche den Festabend veranlaßt hat, oder ob diese Behauptung nur der lebhaften Phantasie von Hauptmanns guten Freunden entsprungen ist. Was nämlich als persönlicher, privater Schritt des Akademie¬ präsidenten eine begreifliche, rein familiäre Liebenswürdigkeit wäre, das würde als Maßnahme der Akademie wenigstens in der Geschichte der deutschen wissenschaftlichen Akademien ohne gleichen dastehen und, im Fall die Litteratur¬ geschichte über den „Fuhrmann Henschel" erheblich weniger günstig urteilen sollte als Hauptmanns Wortführer, eine unsterbliche Bloßstellung der gelehrten Körperschaft bedeuten. Weit genug hat sich jedenfalls ein bestimmter wissenschaftlicher Kreis für Gerhart Hauptmann vorgewagt. Im Wiener Grillparzerpreisgericht sitzt auch ein Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften; dieses hat seiner Zeit auch der Berliner Schillerpreiskvmmission angehört, die sich bekanntlich das letztem»! gleichfalls, wennschon vergeblich, für die Preiskrönung Hauptmanns aussprach. Wir zweifeln nicht, daß sich diese Versuche im laufenden Jahre wiederholen werden. Wir müssen uns ferner erinnern, daß zum Grillparzer¬ preisgericht auch der neue Burgtheaterdirektor gehört hat, der früher als eifrigster Verfechter der Hauptmannschcn Sache in der Berliner Kritik wirkte. Er war auch unter den Rednern auf dem angeblich akademischen Hauptmann-o häutete und hob — nach einer Zeitungsmeldung — hervor, „welch großen Einfluß der von Wien ausgegangne deutsche Sprachforscher Wilhelm Scherer auf Gerhart Hauptmann ausgeübt habe." Gleichzeitig stattete er seinen Dank dafür ab, daß Hauptmann ihm zum „ersten großen litterarischen Sieg als Direktor des Burgtheaters verholfen habe." Wir glauben nicht, daß der Redner so kühn war, wirklich von einem »Einfluß" Scherers auf Hauptmann zu sprechen; aber wenn er offenbar die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/547>, abgerufen am 03.07.2024.