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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Ans dem Vberelsaß

französische Sprachinsel an. In den Südvogefen haben wir Gelegenheit gehabt,
den Irrtum der amtlichen Sprachenkarte aus eigner Erfahrung festzustellen.
Schnierlach, Diedelshausen und Nobers gelten als stockfranzösisch, weil die alten
Weiber nur ihr entsetzliches Patois reden, während sonst jedermann deutsch
versteht.

Man hat durch die elsaß-lothringische Statthalterei einen neuen Mittel¬
staat geschaffen, der sich mehr und mehr vom Reiche absondert und auf eine
Stufe mit den wirklichen Bundesstaaten tritt. Diese Entwicklung hätte man
seiner Zeit von Berlin aus voraussehen und rechtzeitig von Reichs wegen Ab¬
hilfe schaffen sollen. Die altdeutschen Beamten, die glücklich in gut bezahlte
Stellungen gekommen sind, haben natürlich nichts dagegen, daß sich die Reichs-
lande immer mehr vom übrigen Deutschland absperren, da ihnen dadurch ein
unliebsamer Wettbewerb frischerer und besserer Kräfte aus dem Reiche erspart
bleibt. Bekanntlich war der ursprüngliche Schub altdeutscher Beamten keines¬
wegs eine Auswahl vorzüglich begabter und für diesen Zweck ausgesuchter
Leute, sondern die Mehrzahl bestand aus Leuten, deren Fortkommen im hei¬
mischen Dienst fraglich erschien, und die gern die leichten Prüfungen der Reichs¬
lande dem geregelten Verfahren ihrer Heimat vorzogen. Häufig schenkte man
auch das Assessorexamen ganz; sogar ein früherer Straßburger Polizeidirektor
erhielt ohne diese lästige Förmlichkeit eine wichtige Stelle, dafür spielte er aber
sehr gut Geige. Freilich sah sich die Verwaltung schließlich gezwungen, eine
Säuberung vorzunehmen; aber noch blieben sonderbare Elemente zurück, die
man auch nicht ohne weiteres vor die Thür setzen konnte. Die Achtung vor
den elsaß-lothringischen Landesbeamten war deshalb im Reiche nicht allzu groß.
Allerdings war jetzt dank der Überfüllung eine Besserung eingetreten, da der
hohe Gehalt bei schlechten Aussichten doch nicht mehr reizte. Aber auch diese
Lösung der Schwierigkeiten wurde durch einen neuen Fehler verhindert, die
Versöhnungspolitik hielt es für gut, die Landeskinder mehr heranzuziehen.
Nachdem aber diese ungezognen Lieblinge auf vieles Zureden und dank unan¬
gebrachter Bevorzugungen den Schmollwinkel verlassen hatten, wurden sie an¬
maßend und stellten den Grundsatz auf, daß die Besetzung der Amtsstellen ihnen
allein gebühre. Die Gewähr einer unbedingten reichstreuen Gesinnung war
nicht gegeben, wenn die einheimischen Beamten ihren Eid auch nicht absichtlich
verletzen. Aber schon der oben erwähnte Fall, daß sich ein lothringischer Richter
nicht scheut, öffentlich für eine fremde Sprache als die Volkssprache einzutreten,
beweist, daß der eingeborne Richterstnnd nicht für den Kampf gegen das Fran-
zosentum zu haben ist. Es ist die Schuld der Kreisdirektoren und der von
der Negierung bestellten oder gewählten Bürgermeister der größern Städte,
daß sich die französische Sprache im Oberelsaß überhaupt noch an die Öffent¬
lichkeit wagt. Das scharfe und stramme Präfektursystem aus der französischen
Zeit giebt dem Verwaltungsbeamten solche Vollmachten und so viele Handhaben


Grenzboten I 18S9 in
Ans dem Vberelsaß

französische Sprachinsel an. In den Südvogefen haben wir Gelegenheit gehabt,
den Irrtum der amtlichen Sprachenkarte aus eigner Erfahrung festzustellen.
Schnierlach, Diedelshausen und Nobers gelten als stockfranzösisch, weil die alten
Weiber nur ihr entsetzliches Patois reden, während sonst jedermann deutsch
versteht.

Man hat durch die elsaß-lothringische Statthalterei einen neuen Mittel¬
staat geschaffen, der sich mehr und mehr vom Reiche absondert und auf eine
Stufe mit den wirklichen Bundesstaaten tritt. Diese Entwicklung hätte man
seiner Zeit von Berlin aus voraussehen und rechtzeitig von Reichs wegen Ab¬
hilfe schaffen sollen. Die altdeutschen Beamten, die glücklich in gut bezahlte
Stellungen gekommen sind, haben natürlich nichts dagegen, daß sich die Reichs-
lande immer mehr vom übrigen Deutschland absperren, da ihnen dadurch ein
unliebsamer Wettbewerb frischerer und besserer Kräfte aus dem Reiche erspart
bleibt. Bekanntlich war der ursprüngliche Schub altdeutscher Beamten keines¬
wegs eine Auswahl vorzüglich begabter und für diesen Zweck ausgesuchter
Leute, sondern die Mehrzahl bestand aus Leuten, deren Fortkommen im hei¬
mischen Dienst fraglich erschien, und die gern die leichten Prüfungen der Reichs¬
lande dem geregelten Verfahren ihrer Heimat vorzogen. Häufig schenkte man
auch das Assessorexamen ganz; sogar ein früherer Straßburger Polizeidirektor
erhielt ohne diese lästige Förmlichkeit eine wichtige Stelle, dafür spielte er aber
sehr gut Geige. Freilich sah sich die Verwaltung schließlich gezwungen, eine
Säuberung vorzunehmen; aber noch blieben sonderbare Elemente zurück, die
man auch nicht ohne weiteres vor die Thür setzen konnte. Die Achtung vor
den elsaß-lothringischen Landesbeamten war deshalb im Reiche nicht allzu groß.
Allerdings war jetzt dank der Überfüllung eine Besserung eingetreten, da der
hohe Gehalt bei schlechten Aussichten doch nicht mehr reizte. Aber auch diese
Lösung der Schwierigkeiten wurde durch einen neuen Fehler verhindert, die
Versöhnungspolitik hielt es für gut, die Landeskinder mehr heranzuziehen.
Nachdem aber diese ungezognen Lieblinge auf vieles Zureden und dank unan¬
gebrachter Bevorzugungen den Schmollwinkel verlassen hatten, wurden sie an¬
maßend und stellten den Grundsatz auf, daß die Besetzung der Amtsstellen ihnen
allein gebühre. Die Gewähr einer unbedingten reichstreuen Gesinnung war
nicht gegeben, wenn die einheimischen Beamten ihren Eid auch nicht absichtlich
verletzen. Aber schon der oben erwähnte Fall, daß sich ein lothringischer Richter
nicht scheut, öffentlich für eine fremde Sprache als die Volkssprache einzutreten,
beweist, daß der eingeborne Richterstnnd nicht für den Kampf gegen das Fran-
zosentum zu haben ist. Es ist die Schuld der Kreisdirektoren und der von
der Negierung bestellten oder gewählten Bürgermeister der größern Städte,
daß sich die französische Sprache im Oberelsaß überhaupt noch an die Öffent¬
lichkeit wagt. Das scharfe und stramme Präfektursystem aus der französischen
Zeit giebt dem Verwaltungsbeamten solche Vollmachten und so viele Handhaben


Grenzboten I 18S9 in
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[0489] Ans dem Vberelsaß französische Sprachinsel an. In den Südvogefen haben wir Gelegenheit gehabt, den Irrtum der amtlichen Sprachenkarte aus eigner Erfahrung festzustellen. Schnierlach, Diedelshausen und Nobers gelten als stockfranzösisch, weil die alten Weiber nur ihr entsetzliches Patois reden, während sonst jedermann deutsch versteht. Man hat durch die elsaß-lothringische Statthalterei einen neuen Mittel¬ staat geschaffen, der sich mehr und mehr vom Reiche absondert und auf eine Stufe mit den wirklichen Bundesstaaten tritt. Diese Entwicklung hätte man seiner Zeit von Berlin aus voraussehen und rechtzeitig von Reichs wegen Ab¬ hilfe schaffen sollen. Die altdeutschen Beamten, die glücklich in gut bezahlte Stellungen gekommen sind, haben natürlich nichts dagegen, daß sich die Reichs- lande immer mehr vom übrigen Deutschland absperren, da ihnen dadurch ein unliebsamer Wettbewerb frischerer und besserer Kräfte aus dem Reiche erspart bleibt. Bekanntlich war der ursprüngliche Schub altdeutscher Beamten keines¬ wegs eine Auswahl vorzüglich begabter und für diesen Zweck ausgesuchter Leute, sondern die Mehrzahl bestand aus Leuten, deren Fortkommen im hei¬ mischen Dienst fraglich erschien, und die gern die leichten Prüfungen der Reichs¬ lande dem geregelten Verfahren ihrer Heimat vorzogen. Häufig schenkte man auch das Assessorexamen ganz; sogar ein früherer Straßburger Polizeidirektor erhielt ohne diese lästige Förmlichkeit eine wichtige Stelle, dafür spielte er aber sehr gut Geige. Freilich sah sich die Verwaltung schließlich gezwungen, eine Säuberung vorzunehmen; aber noch blieben sonderbare Elemente zurück, die man auch nicht ohne weiteres vor die Thür setzen konnte. Die Achtung vor den elsaß-lothringischen Landesbeamten war deshalb im Reiche nicht allzu groß. Allerdings war jetzt dank der Überfüllung eine Besserung eingetreten, da der hohe Gehalt bei schlechten Aussichten doch nicht mehr reizte. Aber auch diese Lösung der Schwierigkeiten wurde durch einen neuen Fehler verhindert, die Versöhnungspolitik hielt es für gut, die Landeskinder mehr heranzuziehen. Nachdem aber diese ungezognen Lieblinge auf vieles Zureden und dank unan¬ gebrachter Bevorzugungen den Schmollwinkel verlassen hatten, wurden sie an¬ maßend und stellten den Grundsatz auf, daß die Besetzung der Amtsstellen ihnen allein gebühre. Die Gewähr einer unbedingten reichstreuen Gesinnung war nicht gegeben, wenn die einheimischen Beamten ihren Eid auch nicht absichtlich verletzen. Aber schon der oben erwähnte Fall, daß sich ein lothringischer Richter nicht scheut, öffentlich für eine fremde Sprache als die Volkssprache einzutreten, beweist, daß der eingeborne Richterstnnd nicht für den Kampf gegen das Fran- zosentum zu haben ist. Es ist die Schuld der Kreisdirektoren und der von der Negierung bestellten oder gewählten Bürgermeister der größern Städte, daß sich die französische Sprache im Oberelsaß überhaupt noch an die Öffent¬ lichkeit wagt. Das scharfe und stramme Präfektursystem aus der französischen Zeit giebt dem Verwaltungsbeamten solche Vollmachten und so viele Handhaben Grenzboten I 18S9 in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/489>, abgerufen am 23.07.2024.