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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Linige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

die Staatsregierung aufgefordert wurde, einen ähnlichen Entwurf einzubringen.
Und doch hatte die Staatsregierung seit dem Rücktritt des Grafen Zedlitz und
dem Scheitern seiner Vorlage zu keiner Zeit einen Zweifel darüber gelassen, daß
sie ein solches Volksschulgesetz für absehbare Zeit weder sür notwendig, noch
nützlich, ja umgekehrt für gefährlich halte. Und doch wäre es der Fraktion
bei ernstem Willen ein Leichtes gewesen, einen ihr genehmen Entwurf ihrerseits
als sogenannten Initiativantrag einzubringen und seine Annahme in beiden
Häusern des Landtages herbeizuführen.

Da erhob sich denn doch für jeden, mochte er ein neues Gesetz nach
der Art der Zedlitzschen Vorlage erstreben oder abweisen, die Frage: Fehlt
den Konservativen der gute Wille oder der Fleiß, die Neigung, sich solcher
größern Aufgabe zu unterziehen, bei der kein materieller Gewinn zu holen,
sondern nur ideelle Güter zu fördern waren? ist ihr Rückgrat nicht steif genug,
ohne Rücksicht auf die (von ihr als verderblich angesehenen) Wünsche hoher
Stellen als "getreuste Opposition" vorzugehen?

Als 1897 das Lehrerbesoldungsgesetz durchgeführt wurde, geschah es
gegen den Ausspruch der Konservativen, daß nahezu alle Lehrerbesoldungs¬
ordnungen unter bedeutender Mehrbelastung der Schulunterhaltungspflichtigen
revidiert oder erneuert wurden. Sie erhoben zwar laute Klagen gegen die
Unterrichtsverwaltung, aber irgend einen Erfolg hatten sie damit nicht. Auch
hier ging die Regierung fest und sicher den Weg, den sie für richtig hielt, so
schwierig und dornenvoll er vielfach sein mochte. Es bewahrheitete sich das
geflügelte Wort (eines frühern Ministers): "Resolutionen thun nicht weh."

Zeigte sich in diesen Angelegenheiten der Volksschule bei den Konservativen
keine rechte Beständigkeit, keine "zielbewußte" Politik, so konnte man in der
That auch auf andern Gebieten fragen: Was wollt ihr eigentlich "konservieren"?
Wollt ihr die bestehenden Einrichtungen, die staatsbürgerliche Gleichheit, die
bürgerliche Freiheit, die Errungenschaften der von Stein und Hardenberg ein¬
geleiteten Reformen erhalten und fortführen, oder nehmt ihr keinen Anstand,
auf überlebte Einrichtungen, auf Klaffen- und Standesvorrechte und andre
ähnliche reaktionäre Dinge zurückzugreifen? Laßt ihr euch genügen, Mängel
zu beseitigen, die sich bei vielen im allgemeinen bewährten Sachen eingestellt
haben, oder wollt ihr nicht vielmehr Rückkehr zu überwundnen oder dem Ab¬
sterben verfallnen Nechtszustünden? Wollt ihr eignen materiellen Vorteilen
den Weg frei machen, oder seid ihr gewillt, die christlichen Grundsätze, die ihr
mit Worten so oft betont, in der That zur Geltung zu bringen?

Als staatsmännische That bezeichneten die Konservativen das Unternehmen
des Justizministers, durch den sogenannten Assessorenparagraphen zahlreiche
junge Männer trotz erlangter wissenschaftlicher Befähigung vom Staatsdienste
auszuschließen und zum Richteramte nur eine Auswahl Bevorzugter zuzulassen,
die der Justizverwaltung nach ihrem Ermessen geeigneter erschienen oder besser


Linige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

die Staatsregierung aufgefordert wurde, einen ähnlichen Entwurf einzubringen.
Und doch hatte die Staatsregierung seit dem Rücktritt des Grafen Zedlitz und
dem Scheitern seiner Vorlage zu keiner Zeit einen Zweifel darüber gelassen, daß
sie ein solches Volksschulgesetz für absehbare Zeit weder sür notwendig, noch
nützlich, ja umgekehrt für gefährlich halte. Und doch wäre es der Fraktion
bei ernstem Willen ein Leichtes gewesen, einen ihr genehmen Entwurf ihrerseits
als sogenannten Initiativantrag einzubringen und seine Annahme in beiden
Häusern des Landtages herbeizuführen.

Da erhob sich denn doch für jeden, mochte er ein neues Gesetz nach
der Art der Zedlitzschen Vorlage erstreben oder abweisen, die Frage: Fehlt
den Konservativen der gute Wille oder der Fleiß, die Neigung, sich solcher
größern Aufgabe zu unterziehen, bei der kein materieller Gewinn zu holen,
sondern nur ideelle Güter zu fördern waren? ist ihr Rückgrat nicht steif genug,
ohne Rücksicht auf die (von ihr als verderblich angesehenen) Wünsche hoher
Stellen als „getreuste Opposition" vorzugehen?

Als 1897 das Lehrerbesoldungsgesetz durchgeführt wurde, geschah es
gegen den Ausspruch der Konservativen, daß nahezu alle Lehrerbesoldungs¬
ordnungen unter bedeutender Mehrbelastung der Schulunterhaltungspflichtigen
revidiert oder erneuert wurden. Sie erhoben zwar laute Klagen gegen die
Unterrichtsverwaltung, aber irgend einen Erfolg hatten sie damit nicht. Auch
hier ging die Regierung fest und sicher den Weg, den sie für richtig hielt, so
schwierig und dornenvoll er vielfach sein mochte. Es bewahrheitete sich das
geflügelte Wort (eines frühern Ministers): „Resolutionen thun nicht weh."

Zeigte sich in diesen Angelegenheiten der Volksschule bei den Konservativen
keine rechte Beständigkeit, keine „zielbewußte" Politik, so konnte man in der
That auch auf andern Gebieten fragen: Was wollt ihr eigentlich „konservieren"?
Wollt ihr die bestehenden Einrichtungen, die staatsbürgerliche Gleichheit, die
bürgerliche Freiheit, die Errungenschaften der von Stein und Hardenberg ein¬
geleiteten Reformen erhalten und fortführen, oder nehmt ihr keinen Anstand,
auf überlebte Einrichtungen, auf Klaffen- und Standesvorrechte und andre
ähnliche reaktionäre Dinge zurückzugreifen? Laßt ihr euch genügen, Mängel
zu beseitigen, die sich bei vielen im allgemeinen bewährten Sachen eingestellt
haben, oder wollt ihr nicht vielmehr Rückkehr zu überwundnen oder dem Ab¬
sterben verfallnen Nechtszustünden? Wollt ihr eignen materiellen Vorteilen
den Weg frei machen, oder seid ihr gewillt, die christlichen Grundsätze, die ihr
mit Worten so oft betont, in der That zur Geltung zu bringen?

Als staatsmännische That bezeichneten die Konservativen das Unternehmen
des Justizministers, durch den sogenannten Assessorenparagraphen zahlreiche
junge Männer trotz erlangter wissenschaftlicher Befähigung vom Staatsdienste
auszuschließen und zum Richteramte nur eine Auswahl Bevorzugter zuzulassen,
die der Justizverwaltung nach ihrem Ermessen geeigneter erschienen oder besser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/478>, abgerufen am 23.07.2024.