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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Einige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

Maßregeln getroffen aus Nachgiebigkeit gegen die Konservativen. Umgekehrt
hat die Staatsregierung fest und sicher ihre Pläne und Maßregeln festgehalten,
auch wenn sie von ihnen bekämpft wurden: die Konservativen wollten zum
Beispiel auf dem bald dem Verkehr zu übergebenden Kanal von Dortmund
nach den Emshäfen hohe Schiffahrtsgebühren eingeführt sehen, um nicht der
Einfuhr ausländischen Getreides "ein neues Einfallsthor" zu verschaffen, die
Negierung blieb aber in gerechter Würdigung der Verhältnisse dabei, vorerst
nur solche Gebühren zu erheben, die zwar bei weitem nicht die Kosten der
Verwaltung und Unterhaltung, geschweige die Verzinsung des Anlagekapitals
zu decken vermögen, die aber die Entwicklung eines Kanalverßehrs überhaupt
ermöglichen. Das Schlagwort "neues Getreideeinfallsthor" schreckte die
Negierung nicht, es bewog sie nicht, den Kanal von vornherein zur Verkehrs-
losigkeit zu verdammen, die für die Emshäfen erhofften Vorteile kalten Herzens
aufzuopfern.

Agrarische Schlagworte wirken auf die konservative Fraktion in der Regel
wie das rote Tuch ans den Stier. So auch hier! Der Dortmunder Ems-
kanal vermag nicht neue Getreidemassen ins Herz Westfalens zu ziehen; besten¬
falls gelingt es ihm, in Konkurrenz mit den niederländischen Wasserstraßen
und den um billigste Tarife fahrenden niederländischen Eisenbahnen den jetzt in
Antwerpen ruhenden Getreidehandel nach den Emshäfen zurückzulenken, wo er
schon einmal -- in den siebziger und achtziger Jahren -- blühte, bis er durch
die Änderung der preußischen Eisenbahntarifsätze im Namen der agrarischen Be¬
strebungen unterbunden, ja unmöglich gemacht und nach Holland gedrängt
wurde, ohne daß dadurch, wie feststeht, die Einfuhr des ausländischen Ge¬
treides nach Westfalen im geringsten vermindert worden wäre. Gegen die
Ansichten der Agrarier hält die Staatsregierung fest an dem Plane des großen
Mittellandkanals, dessen Bewilligung trotz des Widerspruchs der Konser¬
vativen, zumal schlesischer Bedenken, hoffentlich erfolgen wird.

Noch weniger haben die Konservativen auf dem Gebiete der Schulgesetz¬
gebung erreicht. Gegen ihre früher häufig mit aller Entschiedenheit betonte
Absicht und Anschauung haben sie nolens volLns einem Lehrerbesolvungsgesetz
zugestimmt, das im Grunde genommen wenig befriedigend ist, das den Lehrern
kaum bietet, was sie fordern zu dürfen glauben, das die Gemeinden trotz
größerer Stacitsleistungeu schwer belastet, dem aber schließlich jeder zustimmen
mußte, der nicht Gefahr laufen wollte, in den Geruch der Feindschaft gegen
die Volksschullehrer zu kommen, deren Einfluß und Gefolgschaft namentlich
bei den Neichstagswahlen von Bedeutung ist. Der alten konservativen
Forderung aber, ein die gesamten Verhältnisse der Volksschule regelndes
sogenanntes organisches Volksschulgesetz auf der Grundlage zu stände zu
bringen, auf der die Vorlage des Grafen Zedlitz von 1892 aufgebaut war,
versagte sich die Fraktion. Sie ließ sich genügen an Resolutionen, durch die


Einige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

Maßregeln getroffen aus Nachgiebigkeit gegen die Konservativen. Umgekehrt
hat die Staatsregierung fest und sicher ihre Pläne und Maßregeln festgehalten,
auch wenn sie von ihnen bekämpft wurden: die Konservativen wollten zum
Beispiel auf dem bald dem Verkehr zu übergebenden Kanal von Dortmund
nach den Emshäfen hohe Schiffahrtsgebühren eingeführt sehen, um nicht der
Einfuhr ausländischen Getreides „ein neues Einfallsthor" zu verschaffen, die
Negierung blieb aber in gerechter Würdigung der Verhältnisse dabei, vorerst
nur solche Gebühren zu erheben, die zwar bei weitem nicht die Kosten der
Verwaltung und Unterhaltung, geschweige die Verzinsung des Anlagekapitals
zu decken vermögen, die aber die Entwicklung eines Kanalverßehrs überhaupt
ermöglichen. Das Schlagwort „neues Getreideeinfallsthor" schreckte die
Negierung nicht, es bewog sie nicht, den Kanal von vornherein zur Verkehrs-
losigkeit zu verdammen, die für die Emshäfen erhofften Vorteile kalten Herzens
aufzuopfern.

Agrarische Schlagworte wirken auf die konservative Fraktion in der Regel
wie das rote Tuch ans den Stier. So auch hier! Der Dortmunder Ems-
kanal vermag nicht neue Getreidemassen ins Herz Westfalens zu ziehen; besten¬
falls gelingt es ihm, in Konkurrenz mit den niederländischen Wasserstraßen
und den um billigste Tarife fahrenden niederländischen Eisenbahnen den jetzt in
Antwerpen ruhenden Getreidehandel nach den Emshäfen zurückzulenken, wo er
schon einmal — in den siebziger und achtziger Jahren — blühte, bis er durch
die Änderung der preußischen Eisenbahntarifsätze im Namen der agrarischen Be¬
strebungen unterbunden, ja unmöglich gemacht und nach Holland gedrängt
wurde, ohne daß dadurch, wie feststeht, die Einfuhr des ausländischen Ge¬
treides nach Westfalen im geringsten vermindert worden wäre. Gegen die
Ansichten der Agrarier hält die Staatsregierung fest an dem Plane des großen
Mittellandkanals, dessen Bewilligung trotz des Widerspruchs der Konser¬
vativen, zumal schlesischer Bedenken, hoffentlich erfolgen wird.

Noch weniger haben die Konservativen auf dem Gebiete der Schulgesetz¬
gebung erreicht. Gegen ihre früher häufig mit aller Entschiedenheit betonte
Absicht und Anschauung haben sie nolens volLns einem Lehrerbesolvungsgesetz
zugestimmt, das im Grunde genommen wenig befriedigend ist, das den Lehrern
kaum bietet, was sie fordern zu dürfen glauben, das die Gemeinden trotz
größerer Stacitsleistungeu schwer belastet, dem aber schließlich jeder zustimmen
mußte, der nicht Gefahr laufen wollte, in den Geruch der Feindschaft gegen
die Volksschullehrer zu kommen, deren Einfluß und Gefolgschaft namentlich
bei den Neichstagswahlen von Bedeutung ist. Der alten konservativen
Forderung aber, ein die gesamten Verhältnisse der Volksschule regelndes
sogenanntes organisches Volksschulgesetz auf der Grundlage zu stände zu
bringen, auf der die Vorlage des Grafen Zedlitz von 1892 aufgebaut war,
versagte sich die Fraktion. Sie ließ sich genügen an Resolutionen, durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/477>, abgerufen am 23.07.2024.