Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Erinnerungen an Friedrichsruh er sagt: "Nein, noch nicht, ich bin heute bei Stimmung, mich noch weiter zu An diesem Abend dachte ich nicht an Schlafen, und da auch Bucher keine Als sich im März 1890 die Krisis immer mehr zugespitzt hatte, bat der Erinnerungen an Friedrichsruh er sagt: „Nein, noch nicht, ich bin heute bei Stimmung, mich noch weiter zu An diesem Abend dachte ich nicht an Schlafen, und da auch Bucher keine Als sich im März 1890 die Krisis immer mehr zugespitzt hatte, bat der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230158"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an Friedrichsruh</fw><lb/> <p xml:id="ID_1938" prev="#ID_1937"> er sagt: „Nein, noch nicht, ich bin heute bei Stimmung, mich noch weiter zu<lb/> unterhalten; Bucher will auch nur auf sein Zimmer, um dort wieder die halbe<lb/> Nacht zu arbeite», aber das soll er nicht." Der Geheimrat setzt sich also ge¬<lb/> lassen wieder auf sein Sofa; die Fürstin, die auch den Kopf erhoben hatte,<lb/> schlummert vor ihrer Spirituslampe weiter, und der Fürst führt sort über<lb/> alle möglichen Dinge zu plaudern. Die Handelsverträge bringen ihn auf<lb/> Österreich, dessen wirtschaftliche Verhältnisse er ungünstig beurteilt; schließlich<lb/> kommt er auf Rußland zu sprechen, das er ja aus eigner Erfahrung genügend<lb/> kennen gelernt hatte. Außer einigen pikanten Anekdoten über den Fürsten<lb/> Gortschakow erzählte er auch die in seinen Erinnerungen wiedergegebne Ge¬<lb/> schichte von dem Hirschtalg, der längere Zeit hindurch jährlich mit einem Pud<lb/> (etwa 33 Pfund) von der Kaiserlich russischen Hofküche in Rechnung gebracht<lb/> wurde, nachdem sich zu Zeiten Kaiser Nikolaus I. der damalige Prinz Wilhelm<lb/> von Preußen einmal ein erbsengroßes Stück zum Einreiben einer durchgerittncn<lb/> Hautstelle hatte geben lassen. Es mochte fast zwölf Uhr sein, als mir der<lb/> Geheimrat zuflüsterte: „Wenn wir ihn jetzt nicht in das Bett kriegen, dann<lb/> schläft er überhaupt nicht." Ich stand also trotz nochmaligen Widerspruchs<lb/> auf, um mich zu verabschieden, da ich am andern Morgen mit dem Schnell¬<lb/> zug abreisen müßte. Der Fürst gab Befehl, auf dem Bahnhof Bescheid zu<lb/> sagen, daß der Schnellzug angehalten würde. „Sehen Sie, sagte er dann mit<lb/> liebenswürdigem Lächeln, soviel von meiner frühern Macht hat man mir noch<lb/> gelassen, daß ich für meine Gäste die sonst hier dnrchfahrendcn Züge halten<lb/> lassen darf; vergessen Sie auch nicht, sich eine Flasche Wein mitzunehmen, ich<lb/> bin ein erfahrner Reisender und kann Ihnen sagen, daß es unterwegs nichts<lb/> besseres giebt als einen guten Trunk."</p><lb/> <p xml:id="ID_1939"> An diesem Abend dachte ich nicht an Schlafen, und da auch Bucher keine<lb/> Müdigkeit fühlte, so gingen wir auf sein Zimmer, um uus noch weiter zu<lb/> unterhalten. Der alte Herr war wieder sehr lebhaft und sagte, daß er den<lb/> Fürsten lange nicht so gut aufgelegt gesehen habe, wie diesen Abend. Auf<lb/> meine Frage nach dem Grund seiner eignen Schweigsamkeit antwortete er: „Ich<lb/> wollte nicht dazwischen reden, Sie sollten ihn allein genießen." Auf dem<lb/> Schreibtisch des gemütlichen und ganz für die Bequemlichkeit eingerichteten<lb/> Zimmers lagen ungeheure Aktenstöße, die mich veranlaßten, den Geheimrat zu<lb/> ernähren, er möge nicht zu viel arbeiten. Dadurch kamen wir auf seine<lb/> Thätigkeit überhaupt zu sprechen, und während er sonst jede Unterhaltung<lb/> über die sogenannten Bismarckischen Memoiren kurz abgebrochen hatte, erzählte<lb/> er mir an diesem Abend alles nähere über die Entstehung dieses Werks und<lb/> die Art und Weise der Bearbeitung. Was ich darüber erfahren habe, will ich<lb/> hier kurz folgen lassen, weil es vielleicht nach dem Erscheinen der „Gedanken<lb/> und Erinnerungen" für viele von Interesse sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1940" next="#ID_1941"> Als sich im März 1890 die Krisis immer mehr zugespitzt hatte, bat der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0472]
Erinnerungen an Friedrichsruh
er sagt: „Nein, noch nicht, ich bin heute bei Stimmung, mich noch weiter zu
unterhalten; Bucher will auch nur auf sein Zimmer, um dort wieder die halbe
Nacht zu arbeite», aber das soll er nicht." Der Geheimrat setzt sich also ge¬
lassen wieder auf sein Sofa; die Fürstin, die auch den Kopf erhoben hatte,
schlummert vor ihrer Spirituslampe weiter, und der Fürst führt sort über
alle möglichen Dinge zu plaudern. Die Handelsverträge bringen ihn auf
Österreich, dessen wirtschaftliche Verhältnisse er ungünstig beurteilt; schließlich
kommt er auf Rußland zu sprechen, das er ja aus eigner Erfahrung genügend
kennen gelernt hatte. Außer einigen pikanten Anekdoten über den Fürsten
Gortschakow erzählte er auch die in seinen Erinnerungen wiedergegebne Ge¬
schichte von dem Hirschtalg, der längere Zeit hindurch jährlich mit einem Pud
(etwa 33 Pfund) von der Kaiserlich russischen Hofküche in Rechnung gebracht
wurde, nachdem sich zu Zeiten Kaiser Nikolaus I. der damalige Prinz Wilhelm
von Preußen einmal ein erbsengroßes Stück zum Einreiben einer durchgerittncn
Hautstelle hatte geben lassen. Es mochte fast zwölf Uhr sein, als mir der
Geheimrat zuflüsterte: „Wenn wir ihn jetzt nicht in das Bett kriegen, dann
schläft er überhaupt nicht." Ich stand also trotz nochmaligen Widerspruchs
auf, um mich zu verabschieden, da ich am andern Morgen mit dem Schnell¬
zug abreisen müßte. Der Fürst gab Befehl, auf dem Bahnhof Bescheid zu
sagen, daß der Schnellzug angehalten würde. „Sehen Sie, sagte er dann mit
liebenswürdigem Lächeln, soviel von meiner frühern Macht hat man mir noch
gelassen, daß ich für meine Gäste die sonst hier dnrchfahrendcn Züge halten
lassen darf; vergessen Sie auch nicht, sich eine Flasche Wein mitzunehmen, ich
bin ein erfahrner Reisender und kann Ihnen sagen, daß es unterwegs nichts
besseres giebt als einen guten Trunk."
An diesem Abend dachte ich nicht an Schlafen, und da auch Bucher keine
Müdigkeit fühlte, so gingen wir auf sein Zimmer, um uus noch weiter zu
unterhalten. Der alte Herr war wieder sehr lebhaft und sagte, daß er den
Fürsten lange nicht so gut aufgelegt gesehen habe, wie diesen Abend. Auf
meine Frage nach dem Grund seiner eignen Schweigsamkeit antwortete er: „Ich
wollte nicht dazwischen reden, Sie sollten ihn allein genießen." Auf dem
Schreibtisch des gemütlichen und ganz für die Bequemlichkeit eingerichteten
Zimmers lagen ungeheure Aktenstöße, die mich veranlaßten, den Geheimrat zu
ernähren, er möge nicht zu viel arbeiten. Dadurch kamen wir auf seine
Thätigkeit überhaupt zu sprechen, und während er sonst jede Unterhaltung
über die sogenannten Bismarckischen Memoiren kurz abgebrochen hatte, erzählte
er mir an diesem Abend alles nähere über die Entstehung dieses Werks und
die Art und Weise der Bearbeitung. Was ich darüber erfahren habe, will ich
hier kurz folgen lassen, weil es vielleicht nach dem Erscheinen der „Gedanken
und Erinnerungen" für viele von Interesse sein wird.
Als sich im März 1890 die Krisis immer mehr zugespitzt hatte, bat der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |