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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lrinneruilgen an Fnedrichsruh

hören, was die Herren sich erzählen, aber ich kann den Rauch nicht vertragen,
wodurch meine asthmatischen Beschwerden schlimmer werden; da habe ich mir
denn diese Spirituslampe konstruieren lassen, die dicht vor meiner Nase auf¬
gestellt wird und mit ihren vielen Flammen dafür sorgt, daß wenigstens in
meiner nächsten Nachbarschaft der Tabaksgeruch weniger bemerkbar wird."

Der Fürst legt jetzt die Zeitungen beiseite und plaudert über Zollgesetzc,
Schulvorlage und schließlich auch wieder über die Hofgesellschaft, die immer
gegen ihn feindselig gewesen sei; das Schulgesetz kann nicht durchgehn, und
Zedlitz wird fallen. Ich sitze dicht vor ihm und höre zu, wie er, mit der
Pfeife in der Hand leicht gestikulierend, die Tagesfragen bespricht; er sieht
mich dabei immer scharf an, und ich habe das Gefühl, daß ich der Welt¬
geschichte in das Auge sehe. Die Fürstin ist vor ihrer Spirituslampe einge¬
schlafen; Bucher reibt sich noch immer seine Hände, aber hin und wieder wirft
er eine Bemerkung dazwischen, ohne die Augen zu offnen. Wie er mir ge¬
legentlich sagte, hört und arbeitet er in seinem Kopf am schärfsten, wenn die
Sehthätigkeit ausgeschaltet ist. Als der Fürst einmal eine Pause macht, be¬
merkt Bucher: "Gittermann ist mit einem Herrn von T befreundet," worauf
Fürst Bismarck dieses Thema wieder aufgreift und folgendes sagt: "Ich kenne
auch die ganze Familie ziemlich gut, und wenn Ihr Freund ein echter Sohn
derselben ist, dann muß er tüchtig kneipen können, denn sie saufen alle.
Während der Zeit des Erfurter Parlaments hatten wir unter unsrer konser¬
vativen Fraktion auch zwei Vettern dieses Namens, die aber niemals an den
Sitzungen teilnahmen, sondern immer in einem bestimmten Nestaurativnslotal
zu finden waren, wo sie Sekt soffen. Hatten wir ihre Stimmen nötig, dann
mußten wir sie von unserm Fraktionsdiener jedesmal abholen lassen, und da
kam es dann freilich vor, daß die Herren kaum noch ihre Pflicht thun konnten,
wenn sie mit Hilfe einiger handfester Packträger in den Sitzungssaal geschoben
waren. Ja, mit dem Trinken ist es solche Sache! Von meinem Großvater
-- sehen Sie, das große Bild dort an der Wand, der alte Herr, der so wohl
und rosig aussieht -- weiß ich auch, daß er furchtbar viel Rheinwein trinken
konnte. Nun passiert es mir seit einiger Zeit, daß mir die Augen so laufen,
und wenn ich in die frische Luft komme, dann muß ich immerfort mit dem
Taschentuch wischen. Ich weiß nicht, sind es manchmal wirkliche Thränen,
oder ist es mir Schwäche; aber wenn ich so recht von dem Übel geplagt werde,
dann muß ich immer an das alte Bibelwort denken, daß die Sünden der
Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimgesucht werden
sollen, und dann sage ich mir: Bismarck, das ist der Rheinwein, den dein
Großvater zuviel getrunken hat, der läuft jetzt dem Enkel zur Strafe aus den
Augen."

Nach elf Uhr erhebt sich Bücher und fordert mich ans, mit zu Bett zu
gehn, da der Fürst sich hinlegen müsse; dieser protestiert heftig dagegen, indem


Lrinneruilgen an Fnedrichsruh

hören, was die Herren sich erzählen, aber ich kann den Rauch nicht vertragen,
wodurch meine asthmatischen Beschwerden schlimmer werden; da habe ich mir
denn diese Spirituslampe konstruieren lassen, die dicht vor meiner Nase auf¬
gestellt wird und mit ihren vielen Flammen dafür sorgt, daß wenigstens in
meiner nächsten Nachbarschaft der Tabaksgeruch weniger bemerkbar wird."

Der Fürst legt jetzt die Zeitungen beiseite und plaudert über Zollgesetzc,
Schulvorlage und schließlich auch wieder über die Hofgesellschaft, die immer
gegen ihn feindselig gewesen sei; das Schulgesetz kann nicht durchgehn, und
Zedlitz wird fallen. Ich sitze dicht vor ihm und höre zu, wie er, mit der
Pfeife in der Hand leicht gestikulierend, die Tagesfragen bespricht; er sieht
mich dabei immer scharf an, und ich habe das Gefühl, daß ich der Welt¬
geschichte in das Auge sehe. Die Fürstin ist vor ihrer Spirituslampe einge¬
schlafen; Bucher reibt sich noch immer seine Hände, aber hin und wieder wirft
er eine Bemerkung dazwischen, ohne die Augen zu offnen. Wie er mir ge¬
legentlich sagte, hört und arbeitet er in seinem Kopf am schärfsten, wenn die
Sehthätigkeit ausgeschaltet ist. Als der Fürst einmal eine Pause macht, be¬
merkt Bucher: „Gittermann ist mit einem Herrn von T befreundet," worauf
Fürst Bismarck dieses Thema wieder aufgreift und folgendes sagt: „Ich kenne
auch die ganze Familie ziemlich gut, und wenn Ihr Freund ein echter Sohn
derselben ist, dann muß er tüchtig kneipen können, denn sie saufen alle.
Während der Zeit des Erfurter Parlaments hatten wir unter unsrer konser¬
vativen Fraktion auch zwei Vettern dieses Namens, die aber niemals an den
Sitzungen teilnahmen, sondern immer in einem bestimmten Nestaurativnslotal
zu finden waren, wo sie Sekt soffen. Hatten wir ihre Stimmen nötig, dann
mußten wir sie von unserm Fraktionsdiener jedesmal abholen lassen, und da
kam es dann freilich vor, daß die Herren kaum noch ihre Pflicht thun konnten,
wenn sie mit Hilfe einiger handfester Packträger in den Sitzungssaal geschoben
waren. Ja, mit dem Trinken ist es solche Sache! Von meinem Großvater
— sehen Sie, das große Bild dort an der Wand, der alte Herr, der so wohl
und rosig aussieht — weiß ich auch, daß er furchtbar viel Rheinwein trinken
konnte. Nun passiert es mir seit einiger Zeit, daß mir die Augen so laufen,
und wenn ich in die frische Luft komme, dann muß ich immerfort mit dem
Taschentuch wischen. Ich weiß nicht, sind es manchmal wirkliche Thränen,
oder ist es mir Schwäche; aber wenn ich so recht von dem Übel geplagt werde,
dann muß ich immer an das alte Bibelwort denken, daß die Sünden der
Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimgesucht werden
sollen, und dann sage ich mir: Bismarck, das ist der Rheinwein, den dein
Großvater zuviel getrunken hat, der läuft jetzt dem Enkel zur Strafe aus den
Augen."

Nach elf Uhr erhebt sich Bücher und fordert mich ans, mit zu Bett zu
gehn, da der Fürst sich hinlegen müsse; dieser protestiert heftig dagegen, indem


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[0471] Lrinneruilgen an Fnedrichsruh hören, was die Herren sich erzählen, aber ich kann den Rauch nicht vertragen, wodurch meine asthmatischen Beschwerden schlimmer werden; da habe ich mir denn diese Spirituslampe konstruieren lassen, die dicht vor meiner Nase auf¬ gestellt wird und mit ihren vielen Flammen dafür sorgt, daß wenigstens in meiner nächsten Nachbarschaft der Tabaksgeruch weniger bemerkbar wird." Der Fürst legt jetzt die Zeitungen beiseite und plaudert über Zollgesetzc, Schulvorlage und schließlich auch wieder über die Hofgesellschaft, die immer gegen ihn feindselig gewesen sei; das Schulgesetz kann nicht durchgehn, und Zedlitz wird fallen. Ich sitze dicht vor ihm und höre zu, wie er, mit der Pfeife in der Hand leicht gestikulierend, die Tagesfragen bespricht; er sieht mich dabei immer scharf an, und ich habe das Gefühl, daß ich der Welt¬ geschichte in das Auge sehe. Die Fürstin ist vor ihrer Spirituslampe einge¬ schlafen; Bucher reibt sich noch immer seine Hände, aber hin und wieder wirft er eine Bemerkung dazwischen, ohne die Augen zu offnen. Wie er mir ge¬ legentlich sagte, hört und arbeitet er in seinem Kopf am schärfsten, wenn die Sehthätigkeit ausgeschaltet ist. Als der Fürst einmal eine Pause macht, be¬ merkt Bucher: „Gittermann ist mit einem Herrn von T befreundet," worauf Fürst Bismarck dieses Thema wieder aufgreift und folgendes sagt: „Ich kenne auch die ganze Familie ziemlich gut, und wenn Ihr Freund ein echter Sohn derselben ist, dann muß er tüchtig kneipen können, denn sie saufen alle. Während der Zeit des Erfurter Parlaments hatten wir unter unsrer konser¬ vativen Fraktion auch zwei Vettern dieses Namens, die aber niemals an den Sitzungen teilnahmen, sondern immer in einem bestimmten Nestaurativnslotal zu finden waren, wo sie Sekt soffen. Hatten wir ihre Stimmen nötig, dann mußten wir sie von unserm Fraktionsdiener jedesmal abholen lassen, und da kam es dann freilich vor, daß die Herren kaum noch ihre Pflicht thun konnten, wenn sie mit Hilfe einiger handfester Packträger in den Sitzungssaal geschoben waren. Ja, mit dem Trinken ist es solche Sache! Von meinem Großvater — sehen Sie, das große Bild dort an der Wand, der alte Herr, der so wohl und rosig aussieht — weiß ich auch, daß er furchtbar viel Rheinwein trinken konnte. Nun passiert es mir seit einiger Zeit, daß mir die Augen so laufen, und wenn ich in die frische Luft komme, dann muß ich immerfort mit dem Taschentuch wischen. Ich weiß nicht, sind es manchmal wirkliche Thränen, oder ist es mir Schwäche; aber wenn ich so recht von dem Übel geplagt werde, dann muß ich immer an das alte Bibelwort denken, daß die Sünden der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimgesucht werden sollen, und dann sage ich mir: Bismarck, das ist der Rheinwein, den dein Großvater zuviel getrunken hat, der läuft jetzt dem Enkel zur Strafe aus den Augen." Nach elf Uhr erhebt sich Bücher und fordert mich ans, mit zu Bett zu gehn, da der Fürst sich hinlegen müsse; dieser protestiert heftig dagegen, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/471>, abgerufen am 23.07.2024.