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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Reinhold

hätten. Damit ist nämlich der Staatswille für den Willen der Besitzenden
und der Staat für die Gesamtheit der Besitzenden erklärt. Das ist ein Stand¬
punkt, den ich bekanntlich für durchaus berechtigt halte, nur daß ich, so oft
ich ihn erwähne, niemals daran zu erinnern versäume, daß, wer ihn einnimmt,
eine gründliche Änderung unsrer Verfassungen fordern müsse. Geradezu gefähr¬
lich aber wird die Sache dadurch, daß Reinhold mit dieser zwar nicht aus¬
drücklichen aber stillschweigend vorausgesetzte" Begriffserklcirnng vom Staat die
Lehre verbindet, das Eigentumsrecht beruhe nicht auf Arbeit, sondern lediglich
auf dem Willen zu besitzen. Daß legitimiertes Eigentum nicht angetastet
werden darf, auch wenn es auf offenbar unrechtmäßige Weise entstanden ist,
das leugnet kein vernünftiger Mensch. Wer aber leugnet, daß es ein ideales
Recht gebe, dem sich das positive anzupassen bemüht sein soll, und daß dieses
ideale Recht fordert, der Mensch solle nichts besitzen, was er nicht oder was
nicht wenigstens einer seiner Vorfahren durch Arbeit oder durch Dienste und
Leistungen erworben hat (wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen), wer das
leugnet, der verkündigt die Räubermoral und das Näuberrecht und rechtfertigt
sowohl den Einzclraub wie den Massenraub, auf den Proletarieraufstände ab¬
zielen. Das ^ suis, ^ r"Z8es der einen rechtfertigt das nes-toi, Wo ^jg in'/
wells der andern, und wenn vorlünfig die Besitzenden noch zu stark sind, als
daß die Besitzlosen einen Raubzug wagen könnten, so bleibt doch zu bedenken,
daß, was nicht ist, noch werden kann.

Das wäre das eine positive: es soll eine Staatsgewalt geben, die den
wilden Kampf ums Dasein zügelt, einige Ordnung ins Chaos bringt, und die
nach Grundsätzen, nicht nach dem Willen der Parteien verführt. Eine nicht
eben neue und ungewöhnliche Forderung, denn alle Staatsweisen stellen sie,
einschließlich der "Kathedcrsozialisten," sodaß man auch bei dieser Gelegenheit
wiederum fragen darf: Wozu der Aufwand, wenn Reinhold sonst nichts weiß?
Aber freilich, er erhebt sich zu höherm Fluge! Da er Schopenhauern den
Willen entnommen hat, kann er die Vorstellung nicht ganz beiseite lassen, nur
daß er sie lieber mit Hegel "Idee" nennt. Diese Idee ist nun aber bei ihm
mit dem raubtierartig fressenden und wühlenden Willen nur äußerlich zusammen¬
geleimt. Reinhold irrt sich, wenn er glaubt, weil man Bibliotheken zusammen¬
geschrieben hat, um klar zu machen, was Kant im Unklaren gelassen hat, z. B.
die Verbindung von Notwendigkeit und Freiheit, so würden sich Kommentatoren
genug finden, die sich abmühen würden, herauszukriegen, was er, Reinhold,
eigentlich gemeint hat. Nein, nicht kommentieren, sondern liegen lassen wird
man ihn, sobald man auf Unverständliches stößt. Was soll es z. B. heißen,
wenn er auf Seite 413 bis 414 schreibt: "Vor allem hat ein richtiges Urteil
über Sozialismus und Sozialdemokratie sich von der Einsicht bestimmen zu
lassen, daß die Menschen, welche den materiellen Kampf um Brot und Besitz


Reinhold

hätten. Damit ist nämlich der Staatswille für den Willen der Besitzenden
und der Staat für die Gesamtheit der Besitzenden erklärt. Das ist ein Stand¬
punkt, den ich bekanntlich für durchaus berechtigt halte, nur daß ich, so oft
ich ihn erwähne, niemals daran zu erinnern versäume, daß, wer ihn einnimmt,
eine gründliche Änderung unsrer Verfassungen fordern müsse. Geradezu gefähr¬
lich aber wird die Sache dadurch, daß Reinhold mit dieser zwar nicht aus¬
drücklichen aber stillschweigend vorausgesetzte» Begriffserklcirnng vom Staat die
Lehre verbindet, das Eigentumsrecht beruhe nicht auf Arbeit, sondern lediglich
auf dem Willen zu besitzen. Daß legitimiertes Eigentum nicht angetastet
werden darf, auch wenn es auf offenbar unrechtmäßige Weise entstanden ist,
das leugnet kein vernünftiger Mensch. Wer aber leugnet, daß es ein ideales
Recht gebe, dem sich das positive anzupassen bemüht sein soll, und daß dieses
ideale Recht fordert, der Mensch solle nichts besitzen, was er nicht oder was
nicht wenigstens einer seiner Vorfahren durch Arbeit oder durch Dienste und
Leistungen erworben hat (wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen), wer das
leugnet, der verkündigt die Räubermoral und das Näuberrecht und rechtfertigt
sowohl den Einzclraub wie den Massenraub, auf den Proletarieraufstände ab¬
zielen. Das ^ suis, ^ r«Z8es der einen rechtfertigt das nes-toi, Wo ^jg in'/
wells der andern, und wenn vorlünfig die Besitzenden noch zu stark sind, als
daß die Besitzlosen einen Raubzug wagen könnten, so bleibt doch zu bedenken,
daß, was nicht ist, noch werden kann.

Das wäre das eine positive: es soll eine Staatsgewalt geben, die den
wilden Kampf ums Dasein zügelt, einige Ordnung ins Chaos bringt, und die
nach Grundsätzen, nicht nach dem Willen der Parteien verführt. Eine nicht
eben neue und ungewöhnliche Forderung, denn alle Staatsweisen stellen sie,
einschließlich der „Kathedcrsozialisten," sodaß man auch bei dieser Gelegenheit
wiederum fragen darf: Wozu der Aufwand, wenn Reinhold sonst nichts weiß?
Aber freilich, er erhebt sich zu höherm Fluge! Da er Schopenhauern den
Willen entnommen hat, kann er die Vorstellung nicht ganz beiseite lassen, nur
daß er sie lieber mit Hegel „Idee" nennt. Diese Idee ist nun aber bei ihm
mit dem raubtierartig fressenden und wühlenden Willen nur äußerlich zusammen¬
geleimt. Reinhold irrt sich, wenn er glaubt, weil man Bibliotheken zusammen¬
geschrieben hat, um klar zu machen, was Kant im Unklaren gelassen hat, z. B.
die Verbindung von Notwendigkeit und Freiheit, so würden sich Kommentatoren
genug finden, die sich abmühen würden, herauszukriegen, was er, Reinhold,
eigentlich gemeint hat. Nein, nicht kommentieren, sondern liegen lassen wird
man ihn, sobald man auf Unverständliches stößt. Was soll es z. B. heißen,
wenn er auf Seite 413 bis 414 schreibt: „Vor allem hat ein richtiges Urteil
über Sozialismus und Sozialdemokratie sich von der Einsicht bestimmen zu
lassen, daß die Menschen, welche den materiellen Kampf um Brot und Besitz


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[0436] Reinhold hätten. Damit ist nämlich der Staatswille für den Willen der Besitzenden und der Staat für die Gesamtheit der Besitzenden erklärt. Das ist ein Stand¬ punkt, den ich bekanntlich für durchaus berechtigt halte, nur daß ich, so oft ich ihn erwähne, niemals daran zu erinnern versäume, daß, wer ihn einnimmt, eine gründliche Änderung unsrer Verfassungen fordern müsse. Geradezu gefähr¬ lich aber wird die Sache dadurch, daß Reinhold mit dieser zwar nicht aus¬ drücklichen aber stillschweigend vorausgesetzte» Begriffserklcirnng vom Staat die Lehre verbindet, das Eigentumsrecht beruhe nicht auf Arbeit, sondern lediglich auf dem Willen zu besitzen. Daß legitimiertes Eigentum nicht angetastet werden darf, auch wenn es auf offenbar unrechtmäßige Weise entstanden ist, das leugnet kein vernünftiger Mensch. Wer aber leugnet, daß es ein ideales Recht gebe, dem sich das positive anzupassen bemüht sein soll, und daß dieses ideale Recht fordert, der Mensch solle nichts besitzen, was er nicht oder was nicht wenigstens einer seiner Vorfahren durch Arbeit oder durch Dienste und Leistungen erworben hat (wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen), wer das leugnet, der verkündigt die Räubermoral und das Näuberrecht und rechtfertigt sowohl den Einzclraub wie den Massenraub, auf den Proletarieraufstände ab¬ zielen. Das ^ suis, ^ r«Z8es der einen rechtfertigt das nes-toi, Wo ^jg in'/ wells der andern, und wenn vorlünfig die Besitzenden noch zu stark sind, als daß die Besitzlosen einen Raubzug wagen könnten, so bleibt doch zu bedenken, daß, was nicht ist, noch werden kann. Das wäre das eine positive: es soll eine Staatsgewalt geben, die den wilden Kampf ums Dasein zügelt, einige Ordnung ins Chaos bringt, und die nach Grundsätzen, nicht nach dem Willen der Parteien verführt. Eine nicht eben neue und ungewöhnliche Forderung, denn alle Staatsweisen stellen sie, einschließlich der „Kathedcrsozialisten," sodaß man auch bei dieser Gelegenheit wiederum fragen darf: Wozu der Aufwand, wenn Reinhold sonst nichts weiß? Aber freilich, er erhebt sich zu höherm Fluge! Da er Schopenhauern den Willen entnommen hat, kann er die Vorstellung nicht ganz beiseite lassen, nur daß er sie lieber mit Hegel „Idee" nennt. Diese Idee ist nun aber bei ihm mit dem raubtierartig fressenden und wühlenden Willen nur äußerlich zusammen¬ geleimt. Reinhold irrt sich, wenn er glaubt, weil man Bibliotheken zusammen¬ geschrieben hat, um klar zu machen, was Kant im Unklaren gelassen hat, z. B. die Verbindung von Notwendigkeit und Freiheit, so würden sich Kommentatoren genug finden, die sich abmühen würden, herauszukriegen, was er, Reinhold, eigentlich gemeint hat. Nein, nicht kommentieren, sondern liegen lassen wird man ihn, sobald man auf Unverständliches stößt. Was soll es z. B. heißen, wenn er auf Seite 413 bis 414 schreibt: „Vor allem hat ein richtiges Urteil über Sozialismus und Sozialdemokratie sich von der Einsicht bestimmen zu lassen, daß die Menschen, welche den materiellen Kampf um Brot und Besitz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/436>, abgerufen am 26.06.2024.