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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Vberelsaß

fische Sprache wurde Umgangssprache, da ja Handel und Verkehr ihre Kenntnis
erforderten, und der Gebildete sich dadurch vorteilhaft von einem Volke unter¬
schied, das nur die elsässische Mundart kannte. Diese Entwicklung war ganz
folgerichtig. Die deutsche Herrschaft hätte nunmehr in gleicher Weise nur um
so schneller auch ohne Behördezwang die Wiedereinsetzung der angestammten
Muttersprache bewirken müssen. Aber das echt deutsche Wesen der Elsässer
mit all seiner Querköpfigkeit that das Gegenteil und fühlte sich plötzlich als
gekränktes Franzosentum. ......

Kolmar weist keinen gebornen oder auch nur wirklichen Franzosen auf.
Trotzdem wird katholischer und protestantischer Gottesdienst regelmäßig in
beiden Sprachen gehalten, die französische Predigt ist sogar bevorzugt. Im
Seminar hört man bloß französische Laute, vielleicht ist sogar der Unterricht
französisch. Beim Spaziergang der Seminaristen reden jedenfalls diese elsäs-
sischen Bauernjungen, die zu Hause kein Wort französisch haben radebrechen
können, nur die Sprache des Erbfeinds. Die angesehenen Familien lassen sich
Besuchskarten mit Ur. und Ramis. drucken; französisch ergehen die Einladungen.
Französisch sind die am meisten besuchten öffentlichen Vortrüge. Die acht
französischen Vorstellungen des Stadttheaters sind überfüllt, natürlich fehlt der
Altdeutsche nicht. Offiziell finden nur Opern- und Operettenvorstellungen bei
großer städtischer Unterstützung statt. Deutsches Schauspiel ist verpönt und
nur zur Gaste. Achtundzwanzig Jahre nach der Befreiung vom französischen
Joch liest man im Münster auf dem Opferstock nur die französische Inschrift:
1ron<z xour 1a rsst^nratioll als ig. olls-veUs. Im Unterlindenkloster, das als
Museum für herrliche Stücke altdeutscher Kunst und altdeutschen Gewerbes
dient, geht die französische Bezeichnung der deutschen vor, oder diese fehlt
ganz. Niedlich ist die Tafel, die ein wertvolles Bild der oberelsässischen
Malerschule als Geschenk Sr. Majestät des Kaiser bezeichnet, während das
Französisch der Anschläge und sonstigen Bezeichnungen tadellos ist. Der
Kastellan betont hierbei übrigens, daß die Spende aus Landesmitteln gewährt
sei, während die Gaben Napoleons III. prahlerisch als Gnadenerweise erscheinen.
Freilich hat er sogar sein eignes Bildnis und das der Kaiserin Eugenie ge¬
schenkt, woraus man steht, wie er der Eitelkeit seiner vormaligen Unterthanen
Zu schmeicheln wußte. Sonst herrscht in Altdeutschland daheim ziemlich große
Freigebigkeit mit Bildern des Kaisers, warum ist man gerade an so geeigneter
Stelle, wie in Kolmar, knapp mit dergleichen kleinen Geschenken, die die
Freundschaft unterhalten? Das Napoleonische Beispiel ist so schlagend, daß
wir ihm bloß zu folgen brauchen. Die Äußerlichkeiten thun bei den traurigen
elsässischen Verhältnissen sehr viel, da eben alles nur französischer Firnis ist,
der aber doch so fest haftet, daß er der deutschen Herrschaft spottet. Was
soll in einer deutschen Stadt das übliche französische Marsfeld, das eben bei
uns der Exerzier- oder Übungsplatz heißt? Die Aufrechterhaltung solcher wider-


Aus dem Vberelsaß

fische Sprache wurde Umgangssprache, da ja Handel und Verkehr ihre Kenntnis
erforderten, und der Gebildete sich dadurch vorteilhaft von einem Volke unter¬
schied, das nur die elsässische Mundart kannte. Diese Entwicklung war ganz
folgerichtig. Die deutsche Herrschaft hätte nunmehr in gleicher Weise nur um
so schneller auch ohne Behördezwang die Wiedereinsetzung der angestammten
Muttersprache bewirken müssen. Aber das echt deutsche Wesen der Elsässer
mit all seiner Querköpfigkeit that das Gegenteil und fühlte sich plötzlich als
gekränktes Franzosentum. ......

Kolmar weist keinen gebornen oder auch nur wirklichen Franzosen auf.
Trotzdem wird katholischer und protestantischer Gottesdienst regelmäßig in
beiden Sprachen gehalten, die französische Predigt ist sogar bevorzugt. Im
Seminar hört man bloß französische Laute, vielleicht ist sogar der Unterricht
französisch. Beim Spaziergang der Seminaristen reden jedenfalls diese elsäs-
sischen Bauernjungen, die zu Hause kein Wort französisch haben radebrechen
können, nur die Sprache des Erbfeinds. Die angesehenen Familien lassen sich
Besuchskarten mit Ur. und Ramis. drucken; französisch ergehen die Einladungen.
Französisch sind die am meisten besuchten öffentlichen Vortrüge. Die acht
französischen Vorstellungen des Stadttheaters sind überfüllt, natürlich fehlt der
Altdeutsche nicht. Offiziell finden nur Opern- und Operettenvorstellungen bei
großer städtischer Unterstützung statt. Deutsches Schauspiel ist verpönt und
nur zur Gaste. Achtundzwanzig Jahre nach der Befreiung vom französischen
Joch liest man im Münster auf dem Opferstock nur die französische Inschrift:
1ron<z xour 1a rsst^nratioll als ig. olls-veUs. Im Unterlindenkloster, das als
Museum für herrliche Stücke altdeutscher Kunst und altdeutschen Gewerbes
dient, geht die französische Bezeichnung der deutschen vor, oder diese fehlt
ganz. Niedlich ist die Tafel, die ein wertvolles Bild der oberelsässischen
Malerschule als Geschenk Sr. Majestät des Kaiser bezeichnet, während das
Französisch der Anschläge und sonstigen Bezeichnungen tadellos ist. Der
Kastellan betont hierbei übrigens, daß die Spende aus Landesmitteln gewährt
sei, während die Gaben Napoleons III. prahlerisch als Gnadenerweise erscheinen.
Freilich hat er sogar sein eignes Bildnis und das der Kaiserin Eugenie ge¬
schenkt, woraus man steht, wie er der Eitelkeit seiner vormaligen Unterthanen
Zu schmeicheln wußte. Sonst herrscht in Altdeutschland daheim ziemlich große
Freigebigkeit mit Bildern des Kaisers, warum ist man gerade an so geeigneter
Stelle, wie in Kolmar, knapp mit dergleichen kleinen Geschenken, die die
Freundschaft unterhalten? Das Napoleonische Beispiel ist so schlagend, daß
wir ihm bloß zu folgen brauchen. Die Äußerlichkeiten thun bei den traurigen
elsässischen Verhältnissen sehr viel, da eben alles nur französischer Firnis ist,
der aber doch so fest haftet, daß er der deutschen Herrschaft spottet. Was
soll in einer deutschen Stadt das übliche französische Marsfeld, das eben bei
uns der Exerzier- oder Übungsplatz heißt? Die Aufrechterhaltung solcher wider-


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[0426] Aus dem Vberelsaß fische Sprache wurde Umgangssprache, da ja Handel und Verkehr ihre Kenntnis erforderten, und der Gebildete sich dadurch vorteilhaft von einem Volke unter¬ schied, das nur die elsässische Mundart kannte. Diese Entwicklung war ganz folgerichtig. Die deutsche Herrschaft hätte nunmehr in gleicher Weise nur um so schneller auch ohne Behördezwang die Wiedereinsetzung der angestammten Muttersprache bewirken müssen. Aber das echt deutsche Wesen der Elsässer mit all seiner Querköpfigkeit that das Gegenteil und fühlte sich plötzlich als gekränktes Franzosentum. ...... Kolmar weist keinen gebornen oder auch nur wirklichen Franzosen auf. Trotzdem wird katholischer und protestantischer Gottesdienst regelmäßig in beiden Sprachen gehalten, die französische Predigt ist sogar bevorzugt. Im Seminar hört man bloß französische Laute, vielleicht ist sogar der Unterricht französisch. Beim Spaziergang der Seminaristen reden jedenfalls diese elsäs- sischen Bauernjungen, die zu Hause kein Wort französisch haben radebrechen können, nur die Sprache des Erbfeinds. Die angesehenen Familien lassen sich Besuchskarten mit Ur. und Ramis. drucken; französisch ergehen die Einladungen. Französisch sind die am meisten besuchten öffentlichen Vortrüge. Die acht französischen Vorstellungen des Stadttheaters sind überfüllt, natürlich fehlt der Altdeutsche nicht. Offiziell finden nur Opern- und Operettenvorstellungen bei großer städtischer Unterstützung statt. Deutsches Schauspiel ist verpönt und nur zur Gaste. Achtundzwanzig Jahre nach der Befreiung vom französischen Joch liest man im Münster auf dem Opferstock nur die französische Inschrift: 1ron<z xour 1a rsst^nratioll als ig. olls-veUs. Im Unterlindenkloster, das als Museum für herrliche Stücke altdeutscher Kunst und altdeutschen Gewerbes dient, geht die französische Bezeichnung der deutschen vor, oder diese fehlt ganz. Niedlich ist die Tafel, die ein wertvolles Bild der oberelsässischen Malerschule als Geschenk Sr. Majestät des Kaiser bezeichnet, während das Französisch der Anschläge und sonstigen Bezeichnungen tadellos ist. Der Kastellan betont hierbei übrigens, daß die Spende aus Landesmitteln gewährt sei, während die Gaben Napoleons III. prahlerisch als Gnadenerweise erscheinen. Freilich hat er sogar sein eignes Bildnis und das der Kaiserin Eugenie ge¬ schenkt, woraus man steht, wie er der Eitelkeit seiner vormaligen Unterthanen Zu schmeicheln wußte. Sonst herrscht in Altdeutschland daheim ziemlich große Freigebigkeit mit Bildern des Kaisers, warum ist man gerade an so geeigneter Stelle, wie in Kolmar, knapp mit dergleichen kleinen Geschenken, die die Freundschaft unterhalten? Das Napoleonische Beispiel ist so schlagend, daß wir ihm bloß zu folgen brauchen. Die Äußerlichkeiten thun bei den traurigen elsässischen Verhältnissen sehr viel, da eben alles nur französischer Firnis ist, der aber doch so fest haftet, daß er der deutschen Herrschaft spottet. Was soll in einer deutschen Stadt das übliche französische Marsfeld, das eben bei uns der Exerzier- oder Übungsplatz heißt? Die Aufrechterhaltung solcher wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/426>, abgerufen am 03.07.2024.