Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dein Gberelsaß

tum gar nicht beweisen, als wenn er sich hübsch mit diesem Erbübel behaftet
zeigt. Aber die deutsche Bildung hat im Gegenteil zu dem elenden franzö¬
sischen Unterricht auch folgendes Kunststück fertig gebracht. Die wohlhabenden
Bauerntöchter lernen jetzt zwar auch hochdeutsch sprechen; aber zugleich fran¬
zösisch, das sich der Knabe mangels genügender Zeit kaum aneignen kaun.
So kommt es, daß erst die deutsche Schule dem ländlichen Mittelstande die
Fähigkeit gegeben hat, mit der Kenntnis der französischen Sprache zu glänzen.
Das schlechte Beispiel der obern Stunde verführt natürlich nur allzu häufig
zu dem Gebrauch dieser sonst sicherlich nicht schädlichen Sprachweisheit, und
auch im Familienverkehr wird das bis dahin kaum bekannte Französisch fleißig
angewandt. Deutsche Gründlichkeit ist somit volksverräterisch zum Vermittler
einer sonst erfreulichen Sprachkenntnis geworden. Dieser Vorgang findet sich
jetzt ni allen größern Weindörfern, wo der Wohlstand der Winzer eine bessere
Erziehung der Kinder erlaubt. Der Reisende ist ja überrascht, fern von der
großen Heerstraße ein mundartfreics Hochdeutsch zu hören, das aber nur allzu
gern mit dem geliebten Französisch vertauscht wird. Freilich berührt diese
Eitelkeit nicht die Gesinnung der elsüssischcn Bauern, die niemals für Frank¬
reich geschwärmt haben, wenn nicht der Kriegsruhm der eignen Landsleute
oder ein klingender Lohn seitens des Staats im Spiele gewesen ist. Wesentlich
anders liegen die Verhältnisse in den gewerbfleißigen Städten, besonders wo
der Reichtum erst nach der französischen Revolution entstanden, also ein Kind
der Fremdherrschaft ist. Kolmar und Mülhausen sind lehrreiche Beispiele
dieser vaterlandslosen Zwitterart. Beide Städte sind stolze Stätten altdeutschen
Bürgerfleißes und enthalten noch herrliche steinerne Zeugnisse der deutschen
Gotik und der deutschen Renaissance; ähnliche weltliche Bauten haben andre
Orte der großen Pfaffengasse des Rheins kaum noch aufzuweisen. Die Ver¬
gangenheit fußt lediglich auf dem Deutschtum. Alle Verbindungen führten
über den Rhein oder südwärts nach der Schweiz. Die Vogesen schieden that¬
sächlich diese Städte vom französischen Nachbarlande, wie auch jetzt noch die
Gebirgsmauer nicht wegsam für den Güterverkehr in größerm Maßstabe ist.
Der Glanz des Sonnenkönigs konnte die tapfern Bürgerherzen der alten Reichs¬
stadt Mülhausen und des Landvogteisitzes Kvlmcir nicht gewinnen. Aber
das Aufblühen der Industrie unter französischem Schutze in diesem Jahr¬
hundert änderte mit einem Schlage die Sachlage. Kolmar, Schongauers
Wohnort und die Stätte der altdeutschen Malerei, die kaiserliche Stadt der
Hohenstaufen, die der tapfre Schultheiß Nösselmann siegreich gegen den fran¬
zösischen Übermut beschirmt hat, wurde eine folgsame Dienerin des französischen
Prüfetten und errichtete nunmehr den französischen Feldherren zu Wasser und
zu Lande (Vruort und Rapp) als elsässischen Volks Helden auf kaiserliche An¬
regung geschmacklose Standbilder, die in unschöner Prahlerei von den übrigen
Denkmälern von Pfeffel, Nösselmann und Schongauer abstechen. Die franzö-


Grenzboton I .1899 53
Aus dein Gberelsaß

tum gar nicht beweisen, als wenn er sich hübsch mit diesem Erbübel behaftet
zeigt. Aber die deutsche Bildung hat im Gegenteil zu dem elenden franzö¬
sischen Unterricht auch folgendes Kunststück fertig gebracht. Die wohlhabenden
Bauerntöchter lernen jetzt zwar auch hochdeutsch sprechen; aber zugleich fran¬
zösisch, das sich der Knabe mangels genügender Zeit kaum aneignen kaun.
So kommt es, daß erst die deutsche Schule dem ländlichen Mittelstande die
Fähigkeit gegeben hat, mit der Kenntnis der französischen Sprache zu glänzen.
Das schlechte Beispiel der obern Stunde verführt natürlich nur allzu häufig
zu dem Gebrauch dieser sonst sicherlich nicht schädlichen Sprachweisheit, und
auch im Familienverkehr wird das bis dahin kaum bekannte Französisch fleißig
angewandt. Deutsche Gründlichkeit ist somit volksverräterisch zum Vermittler
einer sonst erfreulichen Sprachkenntnis geworden. Dieser Vorgang findet sich
jetzt ni allen größern Weindörfern, wo der Wohlstand der Winzer eine bessere
Erziehung der Kinder erlaubt. Der Reisende ist ja überrascht, fern von der
großen Heerstraße ein mundartfreics Hochdeutsch zu hören, das aber nur allzu
gern mit dem geliebten Französisch vertauscht wird. Freilich berührt diese
Eitelkeit nicht die Gesinnung der elsüssischcn Bauern, die niemals für Frank¬
reich geschwärmt haben, wenn nicht der Kriegsruhm der eignen Landsleute
oder ein klingender Lohn seitens des Staats im Spiele gewesen ist. Wesentlich
anders liegen die Verhältnisse in den gewerbfleißigen Städten, besonders wo
der Reichtum erst nach der französischen Revolution entstanden, also ein Kind
der Fremdherrschaft ist. Kolmar und Mülhausen sind lehrreiche Beispiele
dieser vaterlandslosen Zwitterart. Beide Städte sind stolze Stätten altdeutschen
Bürgerfleißes und enthalten noch herrliche steinerne Zeugnisse der deutschen
Gotik und der deutschen Renaissance; ähnliche weltliche Bauten haben andre
Orte der großen Pfaffengasse des Rheins kaum noch aufzuweisen. Die Ver¬
gangenheit fußt lediglich auf dem Deutschtum. Alle Verbindungen führten
über den Rhein oder südwärts nach der Schweiz. Die Vogesen schieden that¬
sächlich diese Städte vom französischen Nachbarlande, wie auch jetzt noch die
Gebirgsmauer nicht wegsam für den Güterverkehr in größerm Maßstabe ist.
Der Glanz des Sonnenkönigs konnte die tapfern Bürgerherzen der alten Reichs¬
stadt Mülhausen und des Landvogteisitzes Kvlmcir nicht gewinnen. Aber
das Aufblühen der Industrie unter französischem Schutze in diesem Jahr¬
hundert änderte mit einem Schlage die Sachlage. Kolmar, Schongauers
Wohnort und die Stätte der altdeutschen Malerei, die kaiserliche Stadt der
Hohenstaufen, die der tapfre Schultheiß Nösselmann siegreich gegen den fran¬
zösischen Übermut beschirmt hat, wurde eine folgsame Dienerin des französischen
Prüfetten und errichtete nunmehr den französischen Feldherren zu Wasser und
zu Lande (Vruort und Rapp) als elsässischen Volks Helden auf kaiserliche An¬
regung geschmacklose Standbilder, die in unschöner Prahlerei von den übrigen
Denkmälern von Pfeffel, Nösselmann und Schongauer abstechen. Die franzö-


Grenzboton I .1899 53
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230111"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dein Gberelsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1735" prev="#ID_1734" next="#ID_1736"> tum gar nicht beweisen, als wenn er sich hübsch mit diesem Erbübel behaftet<lb/>
zeigt.  Aber die deutsche Bildung hat im Gegenteil zu dem elenden franzö¬<lb/>
sischen Unterricht auch folgendes Kunststück fertig gebracht. Die wohlhabenden<lb/>
Bauerntöchter lernen jetzt zwar auch hochdeutsch sprechen; aber zugleich fran¬<lb/>
zösisch, das sich der Knabe mangels genügender Zeit kaum aneignen kaun.<lb/>
So kommt es, daß erst die deutsche Schule dem ländlichen Mittelstande die<lb/>
Fähigkeit gegeben hat, mit der Kenntnis der französischen Sprache zu glänzen.<lb/>
Das schlechte Beispiel der obern Stunde verführt natürlich nur allzu häufig<lb/>
zu dem Gebrauch dieser sonst sicherlich nicht schädlichen Sprachweisheit, und<lb/>
auch im Familienverkehr wird das bis dahin kaum bekannte Französisch fleißig<lb/>
angewandt.  Deutsche Gründlichkeit ist somit volksverräterisch zum Vermittler<lb/>
einer sonst erfreulichen Sprachkenntnis geworden.  Dieser Vorgang findet sich<lb/>
jetzt ni allen größern Weindörfern, wo der Wohlstand der Winzer eine bessere<lb/>
Erziehung der Kinder erlaubt.  Der Reisende ist ja überrascht, fern von der<lb/>
großen Heerstraße ein mundartfreics Hochdeutsch zu hören, das aber nur allzu<lb/>
gern mit dem geliebten Französisch vertauscht wird.  Freilich berührt diese<lb/>
Eitelkeit nicht die Gesinnung der elsüssischcn Bauern, die niemals für Frank¬<lb/>
reich geschwärmt haben, wenn nicht der Kriegsruhm der eignen Landsleute<lb/>
oder ein klingender Lohn seitens des Staats im Spiele gewesen ist. Wesentlich<lb/>
anders liegen die Verhältnisse in den gewerbfleißigen Städten, besonders wo<lb/>
der Reichtum erst nach der französischen Revolution entstanden, also ein Kind<lb/>
der Fremdherrschaft ist.  Kolmar und Mülhausen sind lehrreiche Beispiele<lb/>
dieser vaterlandslosen Zwitterart. Beide Städte sind stolze Stätten altdeutschen<lb/>
Bürgerfleißes und enthalten noch herrliche steinerne Zeugnisse der deutschen<lb/>
Gotik und der deutschen Renaissance; ähnliche weltliche Bauten haben andre<lb/>
Orte der großen Pfaffengasse des Rheins kaum noch aufzuweisen.  Die Ver¬<lb/>
gangenheit fußt lediglich auf dem Deutschtum.  Alle Verbindungen führten<lb/>
über den Rhein oder südwärts nach der Schweiz. Die Vogesen schieden that¬<lb/>
sächlich diese Städte vom französischen Nachbarlande, wie auch jetzt noch die<lb/>
Gebirgsmauer nicht wegsam für den Güterverkehr in größerm Maßstabe ist.<lb/>
Der Glanz des Sonnenkönigs konnte die tapfern Bürgerherzen der alten Reichs¬<lb/>
stadt Mülhausen und des Landvogteisitzes Kvlmcir nicht gewinnen. Aber<lb/>
das Aufblühen der Industrie unter französischem Schutze in diesem Jahr¬<lb/>
hundert änderte mit einem Schlage die Sachlage.  Kolmar, Schongauers<lb/>
Wohnort und die Stätte der altdeutschen Malerei, die kaiserliche Stadt der<lb/>
Hohenstaufen, die der tapfre Schultheiß Nösselmann siegreich gegen den fran¬<lb/>
zösischen Übermut beschirmt hat, wurde eine folgsame Dienerin des französischen<lb/>
Prüfetten und errichtete nunmehr den französischen Feldherren zu Wasser und<lb/>
zu Lande (Vruort und Rapp) als elsässischen Volks Helden auf kaiserliche An¬<lb/>
regung geschmacklose Standbilder, die in unschöner Prahlerei von den übrigen<lb/>
Denkmälern von Pfeffel, Nösselmann und Schongauer abstechen. Die franzö-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboton I .1899 53</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] Aus dein Gberelsaß tum gar nicht beweisen, als wenn er sich hübsch mit diesem Erbübel behaftet zeigt. Aber die deutsche Bildung hat im Gegenteil zu dem elenden franzö¬ sischen Unterricht auch folgendes Kunststück fertig gebracht. Die wohlhabenden Bauerntöchter lernen jetzt zwar auch hochdeutsch sprechen; aber zugleich fran¬ zösisch, das sich der Knabe mangels genügender Zeit kaum aneignen kaun. So kommt es, daß erst die deutsche Schule dem ländlichen Mittelstande die Fähigkeit gegeben hat, mit der Kenntnis der französischen Sprache zu glänzen. Das schlechte Beispiel der obern Stunde verführt natürlich nur allzu häufig zu dem Gebrauch dieser sonst sicherlich nicht schädlichen Sprachweisheit, und auch im Familienverkehr wird das bis dahin kaum bekannte Französisch fleißig angewandt. Deutsche Gründlichkeit ist somit volksverräterisch zum Vermittler einer sonst erfreulichen Sprachkenntnis geworden. Dieser Vorgang findet sich jetzt ni allen größern Weindörfern, wo der Wohlstand der Winzer eine bessere Erziehung der Kinder erlaubt. Der Reisende ist ja überrascht, fern von der großen Heerstraße ein mundartfreics Hochdeutsch zu hören, das aber nur allzu gern mit dem geliebten Französisch vertauscht wird. Freilich berührt diese Eitelkeit nicht die Gesinnung der elsüssischcn Bauern, die niemals für Frank¬ reich geschwärmt haben, wenn nicht der Kriegsruhm der eignen Landsleute oder ein klingender Lohn seitens des Staats im Spiele gewesen ist. Wesentlich anders liegen die Verhältnisse in den gewerbfleißigen Städten, besonders wo der Reichtum erst nach der französischen Revolution entstanden, also ein Kind der Fremdherrschaft ist. Kolmar und Mülhausen sind lehrreiche Beispiele dieser vaterlandslosen Zwitterart. Beide Städte sind stolze Stätten altdeutschen Bürgerfleißes und enthalten noch herrliche steinerne Zeugnisse der deutschen Gotik und der deutschen Renaissance; ähnliche weltliche Bauten haben andre Orte der großen Pfaffengasse des Rheins kaum noch aufzuweisen. Die Ver¬ gangenheit fußt lediglich auf dem Deutschtum. Alle Verbindungen führten über den Rhein oder südwärts nach der Schweiz. Die Vogesen schieden that¬ sächlich diese Städte vom französischen Nachbarlande, wie auch jetzt noch die Gebirgsmauer nicht wegsam für den Güterverkehr in größerm Maßstabe ist. Der Glanz des Sonnenkönigs konnte die tapfern Bürgerherzen der alten Reichs¬ stadt Mülhausen und des Landvogteisitzes Kvlmcir nicht gewinnen. Aber das Aufblühen der Industrie unter französischem Schutze in diesem Jahr¬ hundert änderte mit einem Schlage die Sachlage. Kolmar, Schongauers Wohnort und die Stätte der altdeutschen Malerei, die kaiserliche Stadt der Hohenstaufen, die der tapfre Schultheiß Nösselmann siegreich gegen den fran¬ zösischen Übermut beschirmt hat, wurde eine folgsame Dienerin des französischen Prüfetten und errichtete nunmehr den französischen Feldherren zu Wasser und zu Lande (Vruort und Rapp) als elsässischen Volks Helden auf kaiserliche An¬ regung geschmacklose Standbilder, die in unschöner Prahlerei von den übrigen Denkmälern von Pfeffel, Nösselmann und Schongauer abstechen. Die franzö- Grenzboton I .1899 53

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/425>, abgerufen am 03.07.2024.