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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Vberelsaß

bei Frankreich gelassen, wie z. V. Weißenbach ^issemdkleu). Das Deutschtum
des französischen Lothringens innerhalb des Umkreises der Waldberge des
Wasgaues interessiert uns hier nicht und ist früher an andrer Stelle von mir
nachgewiesen worden.*)

Wenn wir daher bescheiden diesseits der neuen Reichsgrenze bleiben, die
zwei große Departements vom alten deutschen Mutterlands, dem sie erst hundert
Jahre entfremdet waren, auf ungewisse Zeit abgetrennt hat, so ist das Schau¬
spiel auch nicht erbaulicher. Als der lothringische Herzog Franz, der der
Stammvater der neuen Habsburger und schließlich deutscher Kaiser wurde,
volksverräterisch sein Stammland gegen Toskana eintauschte, war diese West¬
mark schon stark verwelscht, da die Herzoge sich mehr als französische Große,
denn als deutsche Neichsstünde fühlten und sich mit Vorliebe in französische
Händel mischten. Thatsächlich haben ja die Guisen auch trotz ihrer Abkunft
als alemannische Grafen des Elsasses im sechzehnten Jahrhundert eine große
Rolle in Frankreich gespielt und sind im Kriege der drei Heinriche die wirk¬
lichen Gebieter dieses Landes gewesen. Erst der überlebende Heinrich von
Navarrci, der spätere Heinrich IV., hat den übermächtigen lothringischen Ein¬
fluß gebrochen. Das Elsaß ist aber unberührt von wirklicher Frauzösterung
wieder aus Reich gefallen. Trotzdem gebärdet sich gerade der unverfälschte
deutsche Gebirgsteil des Oberelsasses als abgetrenntes Glied des Nachbarstaats.
Freilich ist man jenseits der Grenze in geflissentlicher Weise bestrebt, diesen
Irrwahn aufrecht zu erhalten, und stellt die deutsche Langmut auf eine be¬
denkliche Probe. Ein touristischer Glanzpunkt des Münsterthals ist die Schlucht
bei Kolmar. Dieser Gebirgsgrund dringt bis zum Greuzkamm vor, sodaß sich
am Ausgang beide Länder berühren. Trotzdem hat man das gute deutsche
Wort selbst auf französischer Seite nicht in gorgo verwandelt, sich aber für
die Rückforderung des französischen Raubes in desto frecherer Weise schriftlich
gerächt. Auf dem Damm stehen sich überall deutsche und französische Weg¬
weiser gegenüber, ja der Franzose hat sogar absichtlich und manchmal über¬
flüssig für besonders viele Wegezeichen gesorgt. Aber selbst diese harmlosen
Erleichterungsmittel für die Gebirgswanderung sind in den Dienst des Rache¬
gedankens gestellt. Überall wird das deutsche Gebiet als "rmex6 5
bezeichnet. Bei den Behörden hat man wohl die Ausdrucksweise xar
beanstandet, wie es früher geheißen haben foll. Niedlich ist aber folgende
Wegetafel:


^.vis imxorwnt.
Kontier xsrmsttant ä'irllor oansiiaiuwsnt
sur 1s torritoirs krany-ris.


*) Dus verwelschte Deutschtum jenseit?, der Westmarken des Reichs. Berlin, Fr. Luck-
hardt, 1888.
Aus dem Vberelsaß

bei Frankreich gelassen, wie z. V. Weißenbach ^issemdkleu). Das Deutschtum
des französischen Lothringens innerhalb des Umkreises der Waldberge des
Wasgaues interessiert uns hier nicht und ist früher an andrer Stelle von mir
nachgewiesen worden.*)

Wenn wir daher bescheiden diesseits der neuen Reichsgrenze bleiben, die
zwei große Departements vom alten deutschen Mutterlands, dem sie erst hundert
Jahre entfremdet waren, auf ungewisse Zeit abgetrennt hat, so ist das Schau¬
spiel auch nicht erbaulicher. Als der lothringische Herzog Franz, der der
Stammvater der neuen Habsburger und schließlich deutscher Kaiser wurde,
volksverräterisch sein Stammland gegen Toskana eintauschte, war diese West¬
mark schon stark verwelscht, da die Herzoge sich mehr als französische Große,
denn als deutsche Neichsstünde fühlten und sich mit Vorliebe in französische
Händel mischten. Thatsächlich haben ja die Guisen auch trotz ihrer Abkunft
als alemannische Grafen des Elsasses im sechzehnten Jahrhundert eine große
Rolle in Frankreich gespielt und sind im Kriege der drei Heinriche die wirk¬
lichen Gebieter dieses Landes gewesen. Erst der überlebende Heinrich von
Navarrci, der spätere Heinrich IV., hat den übermächtigen lothringischen Ein¬
fluß gebrochen. Das Elsaß ist aber unberührt von wirklicher Frauzösterung
wieder aus Reich gefallen. Trotzdem gebärdet sich gerade der unverfälschte
deutsche Gebirgsteil des Oberelsasses als abgetrenntes Glied des Nachbarstaats.
Freilich ist man jenseits der Grenze in geflissentlicher Weise bestrebt, diesen
Irrwahn aufrecht zu erhalten, und stellt die deutsche Langmut auf eine be¬
denkliche Probe. Ein touristischer Glanzpunkt des Münsterthals ist die Schlucht
bei Kolmar. Dieser Gebirgsgrund dringt bis zum Greuzkamm vor, sodaß sich
am Ausgang beide Länder berühren. Trotzdem hat man das gute deutsche
Wort selbst auf französischer Seite nicht in gorgo verwandelt, sich aber für
die Rückforderung des französischen Raubes in desto frecherer Weise schriftlich
gerächt. Auf dem Damm stehen sich überall deutsche und französische Weg¬
weiser gegenüber, ja der Franzose hat sogar absichtlich und manchmal über¬
flüssig für besonders viele Wegezeichen gesorgt. Aber selbst diese harmlosen
Erleichterungsmittel für die Gebirgswanderung sind in den Dienst des Rache¬
gedankens gestellt. Überall wird das deutsche Gebiet als »rmex6 5
bezeichnet. Bei den Behörden hat man wohl die Ausdrucksweise xar
beanstandet, wie es früher geheißen haben foll. Niedlich ist aber folgende
Wegetafel:


^.vis imxorwnt.
Kontier xsrmsttant ä'irllor oansiiaiuwsnt
sur 1s torritoirs krany-ris.


*) Dus verwelschte Deutschtum jenseit?, der Westmarken des Reichs. Berlin, Fr. Luck-
hardt, 1888.
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[0423] Aus dem Vberelsaß bei Frankreich gelassen, wie z. V. Weißenbach ^issemdkleu). Das Deutschtum des französischen Lothringens innerhalb des Umkreises der Waldberge des Wasgaues interessiert uns hier nicht und ist früher an andrer Stelle von mir nachgewiesen worden.*) Wenn wir daher bescheiden diesseits der neuen Reichsgrenze bleiben, die zwei große Departements vom alten deutschen Mutterlands, dem sie erst hundert Jahre entfremdet waren, auf ungewisse Zeit abgetrennt hat, so ist das Schau¬ spiel auch nicht erbaulicher. Als der lothringische Herzog Franz, der der Stammvater der neuen Habsburger und schließlich deutscher Kaiser wurde, volksverräterisch sein Stammland gegen Toskana eintauschte, war diese West¬ mark schon stark verwelscht, da die Herzoge sich mehr als französische Große, denn als deutsche Neichsstünde fühlten und sich mit Vorliebe in französische Händel mischten. Thatsächlich haben ja die Guisen auch trotz ihrer Abkunft als alemannische Grafen des Elsasses im sechzehnten Jahrhundert eine große Rolle in Frankreich gespielt und sind im Kriege der drei Heinriche die wirk¬ lichen Gebieter dieses Landes gewesen. Erst der überlebende Heinrich von Navarrci, der spätere Heinrich IV., hat den übermächtigen lothringischen Ein¬ fluß gebrochen. Das Elsaß ist aber unberührt von wirklicher Frauzösterung wieder aus Reich gefallen. Trotzdem gebärdet sich gerade der unverfälschte deutsche Gebirgsteil des Oberelsasses als abgetrenntes Glied des Nachbarstaats. Freilich ist man jenseits der Grenze in geflissentlicher Weise bestrebt, diesen Irrwahn aufrecht zu erhalten, und stellt die deutsche Langmut auf eine be¬ denkliche Probe. Ein touristischer Glanzpunkt des Münsterthals ist die Schlucht bei Kolmar. Dieser Gebirgsgrund dringt bis zum Greuzkamm vor, sodaß sich am Ausgang beide Länder berühren. Trotzdem hat man das gute deutsche Wort selbst auf französischer Seite nicht in gorgo verwandelt, sich aber für die Rückforderung des französischen Raubes in desto frecherer Weise schriftlich gerächt. Auf dem Damm stehen sich überall deutsche und französische Weg¬ weiser gegenüber, ja der Franzose hat sogar absichtlich und manchmal über¬ flüssig für besonders viele Wegezeichen gesorgt. Aber selbst diese harmlosen Erleichterungsmittel für die Gebirgswanderung sind in den Dienst des Rache¬ gedankens gestellt. Überall wird das deutsche Gebiet als »rmex6 5 bezeichnet. Bei den Behörden hat man wohl die Ausdrucksweise xar beanstandet, wie es früher geheißen haben foll. Niedlich ist aber folgende Wegetafel: ^.vis imxorwnt. Kontier xsrmsttant ä'irllor oansiiaiuwsnt sur 1s torritoirs krany-ris. *) Dus verwelschte Deutschtum jenseit?, der Westmarken des Reichs. Berlin, Fr. Luck- hardt, 1888.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/423>, abgerufen am 23.07.2024.