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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

diese Weise preußische Grenadiere gegen Frankreich kämpfen, das sich thörichter¬
weise wieder in Festlandspolitik verfangen hatte und im Kriege gegen Preußen
seine Kräfte zersplitterte, während es diese gegen seineu Hauptgegncr England
ungeteilt hätte gebrauchen müssen. Indem aber England Friedrich den Großen
materiell unterstützte und so Frankreich auf dem Festlande beschäftigt hielt,
konzentrierte es seinerseits seine ganze Kraft auf das eine große Ziel: den
Seekampf gegen Frankreich und die Sicherung seiner eignen Kolonialmacht.
Das durch die verschiedenartigen Kämpfe arg mitgenommene Frankreich konnte
schließlich auch den Besitz Indiens nicht aufrecht erhalten. Auch hier siegte
die feste Politik Englands. Aus den Festlandskriegcn Napoleons I. zog Eng¬
land wieder den größten Gewinn. Durch sie "verlor Frankreich seine über¬
seeische Stellung an England. Großbritannien blickte wieder mit freien Armen
als Sieger auf die Schlachtfelder Europas herab. Der Pariser Frieden von
1815 brachte ihm das Kapland, Malta, Helgoland, Ceylon, und das ge¬
schwächte, mit den Kontinentalmächten verfeindete Frankreich mußte ruhig zu¬
sehen, wie England in Asien und Amerika die Vorherrschaft gewann, indem
es sein indisches Reich aufbaute und durch Unterstützung der Aufstände der
spanischen und portugiesischen Kolonien gegen das Mutterland diese Märkte
seinen: Handel und seiner Industrie botmäßig machte. ... So waren durch
die Napoleonischen Kriege mit Groß-Frankreich zugleich Groß-Syrmien und
Groß-Portugal in die Luft gesprengt. Nur Groß-England blieb übrig"
Mez).

Frankreich hat die verhängnisvollen Fehler seiner Politik, die das Land
durch die Verwicklung in eine schier ununterbrochne Kette von Festlandskriegcn
davon abgehalten hat, eine energische Kolonialpolitik zu verfolgen, neuerdings
nach Möglichkeit auszugleichen gesucht. Frankreich baut sich im nordwestlichen
und mittlern Afrika el" Kolonialreich ans, das jetzt beinahe so groß ist, wie
alle unsre deutscheu kolonialen Besitzungen zusammengenommen, und das ihm
einst seine völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande wird sichern
können. Ein drittes Reich mit gewaltiger kolonisatorischer Thätigkeit erhebt
sich im Osten Europas: Rußland. Alles Land zwischen Ural und Stillen
Ozean, zwischen nördlichen Eismeer und dem chinesischen Reiche und Persien
im Süden ist russisches Kolonialgebiet, ein ungeheures Landareal umfassend,
das vor dem Kolonialbesitze sämtlicher übrigen Mächte den großen Vorteil
eines völlig in sich zusammenhängenden, abgeschlossenen Territoriums vor¬
aus hat.

Wo bleibt gegenüber diesen gewaltigen Reichen und Koloniallündern
Deutschland? Es ist von Interesse, einmal die Größenverhältnisse Deutschlands
einschließlich seines kolonialen Besitzes den Ländergebieten Frankreichs, Bri¬
tanniens und Rußlands gegenüberzustellen.


Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

diese Weise preußische Grenadiere gegen Frankreich kämpfen, das sich thörichter¬
weise wieder in Festlandspolitik verfangen hatte und im Kriege gegen Preußen
seine Kräfte zersplitterte, während es diese gegen seineu Hauptgegncr England
ungeteilt hätte gebrauchen müssen. Indem aber England Friedrich den Großen
materiell unterstützte und so Frankreich auf dem Festlande beschäftigt hielt,
konzentrierte es seinerseits seine ganze Kraft auf das eine große Ziel: den
Seekampf gegen Frankreich und die Sicherung seiner eignen Kolonialmacht.
Das durch die verschiedenartigen Kämpfe arg mitgenommene Frankreich konnte
schließlich auch den Besitz Indiens nicht aufrecht erhalten. Auch hier siegte
die feste Politik Englands. Aus den Festlandskriegcn Napoleons I. zog Eng¬
land wieder den größten Gewinn. Durch sie „verlor Frankreich seine über¬
seeische Stellung an England. Großbritannien blickte wieder mit freien Armen
als Sieger auf die Schlachtfelder Europas herab. Der Pariser Frieden von
1815 brachte ihm das Kapland, Malta, Helgoland, Ceylon, und das ge¬
schwächte, mit den Kontinentalmächten verfeindete Frankreich mußte ruhig zu¬
sehen, wie England in Asien und Amerika die Vorherrschaft gewann, indem
es sein indisches Reich aufbaute und durch Unterstützung der Aufstände der
spanischen und portugiesischen Kolonien gegen das Mutterland diese Märkte
seinen: Handel und seiner Industrie botmäßig machte. ... So waren durch
die Napoleonischen Kriege mit Groß-Frankreich zugleich Groß-Syrmien und
Groß-Portugal in die Luft gesprengt. Nur Groß-England blieb übrig"
Mez).

Frankreich hat die verhängnisvollen Fehler seiner Politik, die das Land
durch die Verwicklung in eine schier ununterbrochne Kette von Festlandskriegcn
davon abgehalten hat, eine energische Kolonialpolitik zu verfolgen, neuerdings
nach Möglichkeit auszugleichen gesucht. Frankreich baut sich im nordwestlichen
und mittlern Afrika el» Kolonialreich ans, das jetzt beinahe so groß ist, wie
alle unsre deutscheu kolonialen Besitzungen zusammengenommen, und das ihm
einst seine völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande wird sichern
können. Ein drittes Reich mit gewaltiger kolonisatorischer Thätigkeit erhebt
sich im Osten Europas: Rußland. Alles Land zwischen Ural und Stillen
Ozean, zwischen nördlichen Eismeer und dem chinesischen Reiche und Persien
im Süden ist russisches Kolonialgebiet, ein ungeheures Landareal umfassend,
das vor dem Kolonialbesitze sämtlicher übrigen Mächte den großen Vorteil
eines völlig in sich zusammenhängenden, abgeschlossenen Territoriums vor¬
aus hat.

Wo bleibt gegenüber diesen gewaltigen Reichen und Koloniallündern
Deutschland? Es ist von Interesse, einmal die Größenverhältnisse Deutschlands
einschließlich seines kolonialen Besitzes den Ländergebieten Frankreichs, Bri¬
tanniens und Rußlands gegenüberzustellen.


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[0411] Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes? diese Weise preußische Grenadiere gegen Frankreich kämpfen, das sich thörichter¬ weise wieder in Festlandspolitik verfangen hatte und im Kriege gegen Preußen seine Kräfte zersplitterte, während es diese gegen seineu Hauptgegncr England ungeteilt hätte gebrauchen müssen. Indem aber England Friedrich den Großen materiell unterstützte und so Frankreich auf dem Festlande beschäftigt hielt, konzentrierte es seinerseits seine ganze Kraft auf das eine große Ziel: den Seekampf gegen Frankreich und die Sicherung seiner eignen Kolonialmacht. Das durch die verschiedenartigen Kämpfe arg mitgenommene Frankreich konnte schließlich auch den Besitz Indiens nicht aufrecht erhalten. Auch hier siegte die feste Politik Englands. Aus den Festlandskriegcn Napoleons I. zog Eng¬ land wieder den größten Gewinn. Durch sie „verlor Frankreich seine über¬ seeische Stellung an England. Großbritannien blickte wieder mit freien Armen als Sieger auf die Schlachtfelder Europas herab. Der Pariser Frieden von 1815 brachte ihm das Kapland, Malta, Helgoland, Ceylon, und das ge¬ schwächte, mit den Kontinentalmächten verfeindete Frankreich mußte ruhig zu¬ sehen, wie England in Asien und Amerika die Vorherrschaft gewann, indem es sein indisches Reich aufbaute und durch Unterstützung der Aufstände der spanischen und portugiesischen Kolonien gegen das Mutterland diese Märkte seinen: Handel und seiner Industrie botmäßig machte. ... So waren durch die Napoleonischen Kriege mit Groß-Frankreich zugleich Groß-Syrmien und Groß-Portugal in die Luft gesprengt. Nur Groß-England blieb übrig" Mez). Frankreich hat die verhängnisvollen Fehler seiner Politik, die das Land durch die Verwicklung in eine schier ununterbrochne Kette von Festlandskriegcn davon abgehalten hat, eine energische Kolonialpolitik zu verfolgen, neuerdings nach Möglichkeit auszugleichen gesucht. Frankreich baut sich im nordwestlichen und mittlern Afrika el» Kolonialreich ans, das jetzt beinahe so groß ist, wie alle unsre deutscheu kolonialen Besitzungen zusammengenommen, und das ihm einst seine völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande wird sichern können. Ein drittes Reich mit gewaltiger kolonisatorischer Thätigkeit erhebt sich im Osten Europas: Rußland. Alles Land zwischen Ural und Stillen Ozean, zwischen nördlichen Eismeer und dem chinesischen Reiche und Persien im Süden ist russisches Kolonialgebiet, ein ungeheures Landareal umfassend, das vor dem Kolonialbesitze sämtlicher übrigen Mächte den großen Vorteil eines völlig in sich zusammenhängenden, abgeschlossenen Territoriums vor¬ aus hat. Wo bleibt gegenüber diesen gewaltigen Reichen und Koloniallündern Deutschland? Es ist von Interesse, einmal die Größenverhältnisse Deutschlands einschließlich seines kolonialen Besitzes den Ländergebieten Frankreichs, Bri¬ tanniens und Rußlands gegenüberzustellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/411>, abgerufen am 23.07.2024.