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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hcmptmaiin und sein Biograph
Er eilt zu ihr und will sie nimmer meiden,
Sie klingt verstimmt, sogar oft kalt und rauh,
Und schreckt ihn wieder traurig zu der andern --
So giebts ein langes, hoffnungsloses Wärter".
Oft sinkt er müde zwischen beiden nieder
In argen Kampfes übergroßer Qunl,
Da quellen ihm wohl leise, leise Lieder
Vom matten Munde hie und da einmal.
Doch raubt Erholung ihm die Stimme wieder
Und treibt ihn fort zu immer neuer Wahl.
Er bittet jede seiner Schreckgestalten,
Ihn endlich, endlich einmal festzuhalten.

In diesem Zwiespalt reifte in ihm der ungeheuerliche Plan, beiden Musen
dadurch zu dienen, daß er selbst zur Bühne ging. Eifrig begann er zu dem
Zwecke 1885 Studien in Berlin, doch gab er auch diese Idee bald wieder auf.
In dieser Zeit verheiratete er sich, obwohl er erst 22 ^ Jahre alt und noch
dazu kränklich war. Die Verhältnisse seiner Braut gestatteten ihm, "bescheiden,
aber standesgemäß zu leben, ohne litterarische Frondienste annehmen zu müssen."
Kurze Zeit lebte das junge Paar in Berlin und auf Rügen, dann siedelte es
sich in Erkner an, wo ihm drei Söhne geboren wurden.

Immer stärker übermannte Hauptmann jetzt das Gefühl seiner splitter¬
haften Bildung:

Aber der Dichtkunst allein galt nunmehr sein Leben. Waren bisher
überall Anfänge ohne Fortsetzungen, nirgend Ausdauer und Thatkraft, jetzt geht
es zu energischer dichterischer Arbeit. Zunächst bewegt sie sich uoch in aus-
getretnen Geleisen: ein Gedicht ans den Tod des Gracchus, eine dramatische
Dichtung, betitelt "Das Erbe des Tiberius." ein bald nach dem Druck (1835)
wieder zurückgezognes und eingestampftes Epos "Promethidenlos," eine kleine
Sammlung von Gedichten, die schon vor dem Auslaufen aus dem Hafen dnrch
Schuld des Verlegers Schiffbruch litt, ein autobiographischer Roman, der
schon in der Idee stecken blieb, das war der Anfang, das alles lag vor dem
Sonnenaufgang, d. h. vor der Zeit, wo durch den Umgang mit den jungen
Naturalisten in Berlin der neue Hauptmann geboren wurde. Es war im Jahre
1^89, als ihm im Verkehr mit Arno Holz, dem Verfasser der kleinen Skizzen


Grenzboten 1 1899 5
Gerhart Hcmptmaiin und sein Biograph
Er eilt zu ihr und will sie nimmer meiden,
Sie klingt verstimmt, sogar oft kalt und rauh,
Und schreckt ihn wieder traurig zu der andern —
So giebts ein langes, hoffnungsloses Wärter».
Oft sinkt er müde zwischen beiden nieder
In argen Kampfes übergroßer Qunl,
Da quellen ihm wohl leise, leise Lieder
Vom matten Munde hie und da einmal.
Doch raubt Erholung ihm die Stimme wieder
Und treibt ihn fort zu immer neuer Wahl.
Er bittet jede seiner Schreckgestalten,
Ihn endlich, endlich einmal festzuhalten.

In diesem Zwiespalt reifte in ihm der ungeheuerliche Plan, beiden Musen
dadurch zu dienen, daß er selbst zur Bühne ging. Eifrig begann er zu dem
Zwecke 1885 Studien in Berlin, doch gab er auch diese Idee bald wieder auf.
In dieser Zeit verheiratete er sich, obwohl er erst 22 ^ Jahre alt und noch
dazu kränklich war. Die Verhältnisse seiner Braut gestatteten ihm, „bescheiden,
aber standesgemäß zu leben, ohne litterarische Frondienste annehmen zu müssen."
Kurze Zeit lebte das junge Paar in Berlin und auf Rügen, dann siedelte es
sich in Erkner an, wo ihm drei Söhne geboren wurden.

Immer stärker übermannte Hauptmann jetzt das Gefühl seiner splitter¬
haften Bildung:

Aber der Dichtkunst allein galt nunmehr sein Leben. Waren bisher
überall Anfänge ohne Fortsetzungen, nirgend Ausdauer und Thatkraft, jetzt geht
es zu energischer dichterischer Arbeit. Zunächst bewegt sie sich uoch in aus-
getretnen Geleisen: ein Gedicht ans den Tod des Gracchus, eine dramatische
Dichtung, betitelt „Das Erbe des Tiberius." ein bald nach dem Druck (1835)
wieder zurückgezognes und eingestampftes Epos „Promethidenlos," eine kleine
Sammlung von Gedichten, die schon vor dem Auslaufen aus dem Hafen dnrch
Schuld des Verlegers Schiffbruch litt, ein autobiographischer Roman, der
schon in der Idee stecken blieb, das war der Anfang, das alles lag vor dem
Sonnenaufgang, d. h. vor der Zeit, wo durch den Umgang mit den jungen
Naturalisten in Berlin der neue Hauptmann geboren wurde. Es war im Jahre
1^89, als ihm im Verkehr mit Arno Holz, dem Verfasser der kleinen Skizzen


Grenzboten 1 1899 5
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[0041] Gerhart Hcmptmaiin und sein Biograph Er eilt zu ihr und will sie nimmer meiden, Sie klingt verstimmt, sogar oft kalt und rauh, Und schreckt ihn wieder traurig zu der andern — So giebts ein langes, hoffnungsloses Wärter». Oft sinkt er müde zwischen beiden nieder In argen Kampfes übergroßer Qunl, Da quellen ihm wohl leise, leise Lieder Vom matten Munde hie und da einmal. Doch raubt Erholung ihm die Stimme wieder Und treibt ihn fort zu immer neuer Wahl. Er bittet jede seiner Schreckgestalten, Ihn endlich, endlich einmal festzuhalten. In diesem Zwiespalt reifte in ihm der ungeheuerliche Plan, beiden Musen dadurch zu dienen, daß er selbst zur Bühne ging. Eifrig begann er zu dem Zwecke 1885 Studien in Berlin, doch gab er auch diese Idee bald wieder auf. In dieser Zeit verheiratete er sich, obwohl er erst 22 ^ Jahre alt und noch dazu kränklich war. Die Verhältnisse seiner Braut gestatteten ihm, „bescheiden, aber standesgemäß zu leben, ohne litterarische Frondienste annehmen zu müssen." Kurze Zeit lebte das junge Paar in Berlin und auf Rügen, dann siedelte es sich in Erkner an, wo ihm drei Söhne geboren wurden. Immer stärker übermannte Hauptmann jetzt das Gefühl seiner splitter¬ haften Bildung: Aber der Dichtkunst allein galt nunmehr sein Leben. Waren bisher überall Anfänge ohne Fortsetzungen, nirgend Ausdauer und Thatkraft, jetzt geht es zu energischer dichterischer Arbeit. Zunächst bewegt sie sich uoch in aus- getretnen Geleisen: ein Gedicht ans den Tod des Gracchus, eine dramatische Dichtung, betitelt „Das Erbe des Tiberius." ein bald nach dem Druck (1835) wieder zurückgezognes und eingestampftes Epos „Promethidenlos," eine kleine Sammlung von Gedichten, die schon vor dem Auslaufen aus dem Hafen dnrch Schuld des Verlegers Schiffbruch litt, ein autobiographischer Roman, der schon in der Idee stecken blieb, das war der Anfang, das alles lag vor dem Sonnenaufgang, d. h. vor der Zeit, wo durch den Umgang mit den jungen Naturalisten in Berlin der neue Hauptmann geboren wurde. Es war im Jahre 1^89, als ihm im Verkehr mit Arno Holz, dem Verfasser der kleinen Skizzen Grenzboten 1 1899 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/41>, abgerufen am 23.07.2024.