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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Zeitlichkeit erheben, so war auch für Tante Julie und deren älteste Schwester,
die Respektsperson der Familie, für das kluge Fräulein Auguste Strühler, die
ihren verwachsenen Körper am liebsten in Herrnhuter Tracht kleidete, die Musik
der herrlichste Lebensgenuß."

Der achtzehnjährige Jüngling sollte sich nun in der bildenden Kunst ver¬
suchen, da er im Kneten und Formen mancherlei Geschicklichkeit gezeigt hatte.
Aber auf der Königlichen Kunstschule in Breslau machte er sich bald unleidlich,
wiewohl man ein gewisses Talent anerkannte; er vertiefte sich damals schon
mehr und mehr in die Dichtkunst und ließ sich durch die altgermanischen
Sagen zum Drama und Epos begeistern. Da er jedoch je länger je mehr
die klaffenden Lücken seiner Schulbildung fühlte, so begab er sich 1882 nach
Jena, wo sein Bruder Karl bei Haeckel Naturwissenschaften studierte, und hörte
an der Universität Vorlesungen, wozu der Großherzog dem Breslauer Kunst-
schüler ausdrücklich Erlaubnis gab. Daß dieses Studium ihm sonderliche
Förderung gebracht habe, wird man bei seiner überaus mangelhaften Vor¬
bildung bezweifeln können. Aber loin: er spielte Student und verkehrte im
akademisch-naturwissenschaftlichen Verein, dessen Heros Darwin war. Jedoch
auch in Jena beim Studieren hielt er nur ein Jahr aus, dann zog er in die
weite Welt, nach Hamburg und auf einem Kauffahrteidampfer ins Mittelländische
Meer. Von Marseille gings zu Eisenbahn nach Genua, Neapel, Capri und
Rom, von wo ihn das Fieber nach Deutschland trieb. Im nächsten Jahre
eilte er nach Rom zurück und richtete sich dort eine Vildhauerwerkstatt ein.
Allein eine Typhuserkrankung machte seinem Streben ein schnelles Ende. Er
flüchtete sich als Genesender in das Haus seiner Braut, der Tochter eines ver¬
storbnen Großkanfmanns, der in Hohenhaus bei Dresden eine schöne Besitzung
hatte, und dessen zwei von seinen fünf herrnhutisch erzognen Mädchen schon
einen Lebensbund mit Gerhards ältern Brüdern geschlossen hatten.

Noch immer schwankte der zweiundzwanzigjährige Jüngling zwischen zwei
Künsten hin und her, als er sich im Sommer 1884 an der Dresdner Akademie
wieder mit Aktzeichncn beschäftigte. Er drückte seinen Kampf in Versen aus:

Sie nahen ihm, sie nehmen ihn gefangen.
Die spricht: "Durch mich!" Die spricht: "Durch mich sei groß!"
Er greift nach beiden voller Glutverlangen,
Doch beide winden schnell sich von ihm los.
Die eine seh ich Stein und Meißel tragen,
Die andre hör ich eine Laute schlagen,
Ihn aber seh ich bald den Meißel greifen
Und bald der Laute goldne Saiten streifen.
So irrt er lange, lange zwischen beiden,
Er kann nicht ruhen bei der einen Frau.
Will er sich siegend von der Leier scheiden,
So netzt sie ihn mit frischem Liedertnu.

Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Zeitlichkeit erheben, so war auch für Tante Julie und deren älteste Schwester,
die Respektsperson der Familie, für das kluge Fräulein Auguste Strühler, die
ihren verwachsenen Körper am liebsten in Herrnhuter Tracht kleidete, die Musik
der herrlichste Lebensgenuß."

Der achtzehnjährige Jüngling sollte sich nun in der bildenden Kunst ver¬
suchen, da er im Kneten und Formen mancherlei Geschicklichkeit gezeigt hatte.
Aber auf der Königlichen Kunstschule in Breslau machte er sich bald unleidlich,
wiewohl man ein gewisses Talent anerkannte; er vertiefte sich damals schon
mehr und mehr in die Dichtkunst und ließ sich durch die altgermanischen
Sagen zum Drama und Epos begeistern. Da er jedoch je länger je mehr
die klaffenden Lücken seiner Schulbildung fühlte, so begab er sich 1882 nach
Jena, wo sein Bruder Karl bei Haeckel Naturwissenschaften studierte, und hörte
an der Universität Vorlesungen, wozu der Großherzog dem Breslauer Kunst-
schüler ausdrücklich Erlaubnis gab. Daß dieses Studium ihm sonderliche
Förderung gebracht habe, wird man bei seiner überaus mangelhaften Vor¬
bildung bezweifeln können. Aber loin: er spielte Student und verkehrte im
akademisch-naturwissenschaftlichen Verein, dessen Heros Darwin war. Jedoch
auch in Jena beim Studieren hielt er nur ein Jahr aus, dann zog er in die
weite Welt, nach Hamburg und auf einem Kauffahrteidampfer ins Mittelländische
Meer. Von Marseille gings zu Eisenbahn nach Genua, Neapel, Capri und
Rom, von wo ihn das Fieber nach Deutschland trieb. Im nächsten Jahre
eilte er nach Rom zurück und richtete sich dort eine Vildhauerwerkstatt ein.
Allein eine Typhuserkrankung machte seinem Streben ein schnelles Ende. Er
flüchtete sich als Genesender in das Haus seiner Braut, der Tochter eines ver¬
storbnen Großkanfmanns, der in Hohenhaus bei Dresden eine schöne Besitzung
hatte, und dessen zwei von seinen fünf herrnhutisch erzognen Mädchen schon
einen Lebensbund mit Gerhards ältern Brüdern geschlossen hatten.

Noch immer schwankte der zweiundzwanzigjährige Jüngling zwischen zwei
Künsten hin und her, als er sich im Sommer 1884 an der Dresdner Akademie
wieder mit Aktzeichncn beschäftigte. Er drückte seinen Kampf in Versen aus:

Sie nahen ihm, sie nehmen ihn gefangen.
Die spricht: „Durch mich!" Die spricht: „Durch mich sei groß!"
Er greift nach beiden voller Glutverlangen,
Doch beide winden schnell sich von ihm los.
Die eine seh ich Stein und Meißel tragen,
Die andre hör ich eine Laute schlagen,
Ihn aber seh ich bald den Meißel greifen
Und bald der Laute goldne Saiten streifen.
So irrt er lange, lange zwischen beiden,
Er kann nicht ruhen bei der einen Frau.
Will er sich siegend von der Leier scheiden,
So netzt sie ihn mit frischem Liedertnu.

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[0040] Gerhart Hauptmann und sein Biograph Zeitlichkeit erheben, so war auch für Tante Julie und deren älteste Schwester, die Respektsperson der Familie, für das kluge Fräulein Auguste Strühler, die ihren verwachsenen Körper am liebsten in Herrnhuter Tracht kleidete, die Musik der herrlichste Lebensgenuß." Der achtzehnjährige Jüngling sollte sich nun in der bildenden Kunst ver¬ suchen, da er im Kneten und Formen mancherlei Geschicklichkeit gezeigt hatte. Aber auf der Königlichen Kunstschule in Breslau machte er sich bald unleidlich, wiewohl man ein gewisses Talent anerkannte; er vertiefte sich damals schon mehr und mehr in die Dichtkunst und ließ sich durch die altgermanischen Sagen zum Drama und Epos begeistern. Da er jedoch je länger je mehr die klaffenden Lücken seiner Schulbildung fühlte, so begab er sich 1882 nach Jena, wo sein Bruder Karl bei Haeckel Naturwissenschaften studierte, und hörte an der Universität Vorlesungen, wozu der Großherzog dem Breslauer Kunst- schüler ausdrücklich Erlaubnis gab. Daß dieses Studium ihm sonderliche Förderung gebracht habe, wird man bei seiner überaus mangelhaften Vor¬ bildung bezweifeln können. Aber loin: er spielte Student und verkehrte im akademisch-naturwissenschaftlichen Verein, dessen Heros Darwin war. Jedoch auch in Jena beim Studieren hielt er nur ein Jahr aus, dann zog er in die weite Welt, nach Hamburg und auf einem Kauffahrteidampfer ins Mittelländische Meer. Von Marseille gings zu Eisenbahn nach Genua, Neapel, Capri und Rom, von wo ihn das Fieber nach Deutschland trieb. Im nächsten Jahre eilte er nach Rom zurück und richtete sich dort eine Vildhauerwerkstatt ein. Allein eine Typhuserkrankung machte seinem Streben ein schnelles Ende. Er flüchtete sich als Genesender in das Haus seiner Braut, der Tochter eines ver¬ storbnen Großkanfmanns, der in Hohenhaus bei Dresden eine schöne Besitzung hatte, und dessen zwei von seinen fünf herrnhutisch erzognen Mädchen schon einen Lebensbund mit Gerhards ältern Brüdern geschlossen hatten. Noch immer schwankte der zweiundzwanzigjährige Jüngling zwischen zwei Künsten hin und her, als er sich im Sommer 1884 an der Dresdner Akademie wieder mit Aktzeichncn beschäftigte. Er drückte seinen Kampf in Versen aus: Sie nahen ihm, sie nehmen ihn gefangen. Die spricht: „Durch mich!" Die spricht: „Durch mich sei groß!" Er greift nach beiden voller Glutverlangen, Doch beide winden schnell sich von ihm los. Die eine seh ich Stein und Meißel tragen, Die andre hör ich eine Laute schlagen, Ihn aber seh ich bald den Meißel greifen Und bald der Laute goldne Saiten streifen. So irrt er lange, lange zwischen beiden, Er kann nicht ruhen bei der einen Frau. Will er sich siegend von der Leier scheiden, So netzt sie ihn mit frischem Liedertnu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/40>, abgerufen am 23.07.2024.