Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Islam und Zivilisation

prudenz und Politik wurden in Bagdad schon wissenschaftlich behandelt; die
Werke der dortigen Gelehrten zeigen humane und aufgeklärte Anschauungen,
die erst in spätern Jahrhunderten in das Abendland gedrungen sind; die Biblio¬
thek in Bagdad führte den Namen: Haus der Weisheit. Nach der Eroberung
Jerusalems 1187 war eine der ersten Maßregeln Saladins die Errichtung einer
Akademie in der heiligen Stadt; ebenso wurde in Accon im Jahre darauf der
Palast des Hospitaliterordens zu einer Akademie bestimmt.

Auch in Spanien bezeichnet das zehnte Jahrhundert die höchste Blüte der
arabischen Kultur, die Alhambra und die berühmte Bibliothek von Cordova
sprechen deutlich von ihrer Höhe. Cordova nennt die christliche Nonne Hros-
witha von Gandersheim: die helle Zierde der Welt, die junge herrliche Stadt,
stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch die Wonnen, die sie umschließt,
strahlend im Vollbesitz aller Dinge. Nebenbei sei hier bemerkt, das; diese
Bibliothek auf Befehl des Kardinals Ximenez zur größern Ehre Gottes ver¬
brannt wurde, während die Erzählung von der Verbrennung der Bibliothek
von Alexandrien durch die Araber als unwahr nachgewiesen ist. Auf arabische
Wissenschaft gründeten sich die berühmten Universitäten Italiens. Die Summe
des Vergleichs bezeichnet Prutz: Im Morgenlande ordnete sich der Einzelne
weit mehr als im Abendlande der Gesamtheit unter. Die wirtschaftliche Kultur
ist ausgezeichnet durch Mannigfaltigkeit, verständige Arbeitsteilung und hohe
Technik. Das geistige Leben entwickelt sich ebenso vielseitig wie tief: unge¬
hindert durch kirchliche Rücksichten führt es zum erstenmale seit dem Untergang
der antiken Welt zu ernstem und erfolgreichem, wirklich wissenschaftlichem
Streben, das der Menschheit neue Gebiete erobert und einen ersten großen
Fortschritt im Leben herbeiführt. Und ein andrer Kenner (G. Diercks) zieht
die Summe: die Araber in ihrem Einfluß auf Europa gleichen der Frllhlings-
sonne, die überall die ersten Keime hervorlockt.*) Für den religiösen Geist ist
es bezeichnend, daß. als Saladin 1192 den christlichen Pilgern den unge¬
hinderten Besuch der heiligen Stätten erlaubte und ihnen sicheres Geleit ge¬
währte, der Erzbischof von Thrns unter Androhung des Bannes verbot, davon
Gebrauch zu machen: denn niemand solle unter dem Geleite der Ungläubigen
nach Jerusalem pilgern.

So lagen die Verhältnisse, als der große Kampf die mannigfachste Be¬
rührung und Wechselwirkung der beiden Kulturen herbeiführte. Und was war
das Resultat? Im Abendlande erlitt das Papsttum, dessen Machtstellung er
vollenden sollte, durch den Mißerfolg eine Erschütterung und Schwächung, von
der es sich nicht wieder erholt hat: die Vereinigung der geistlichen und welt-



Im Abendlande begründete Ludwig IX. von Frankreich in der Sande Chapelle die erste
öffentliche Büchersammlung zur Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen. Die Anregung dazu
hatte er im Morgenlande empfangen, dessen Bildung er staunend bewunderte.
Grenzboten I 1899 40
Islam und Zivilisation

prudenz und Politik wurden in Bagdad schon wissenschaftlich behandelt; die
Werke der dortigen Gelehrten zeigen humane und aufgeklärte Anschauungen,
die erst in spätern Jahrhunderten in das Abendland gedrungen sind; die Biblio¬
thek in Bagdad führte den Namen: Haus der Weisheit. Nach der Eroberung
Jerusalems 1187 war eine der ersten Maßregeln Saladins die Errichtung einer
Akademie in der heiligen Stadt; ebenso wurde in Accon im Jahre darauf der
Palast des Hospitaliterordens zu einer Akademie bestimmt.

Auch in Spanien bezeichnet das zehnte Jahrhundert die höchste Blüte der
arabischen Kultur, die Alhambra und die berühmte Bibliothek von Cordova
sprechen deutlich von ihrer Höhe. Cordova nennt die christliche Nonne Hros-
witha von Gandersheim: die helle Zierde der Welt, die junge herrliche Stadt,
stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch die Wonnen, die sie umschließt,
strahlend im Vollbesitz aller Dinge. Nebenbei sei hier bemerkt, das; diese
Bibliothek auf Befehl des Kardinals Ximenez zur größern Ehre Gottes ver¬
brannt wurde, während die Erzählung von der Verbrennung der Bibliothek
von Alexandrien durch die Araber als unwahr nachgewiesen ist. Auf arabische
Wissenschaft gründeten sich die berühmten Universitäten Italiens. Die Summe
des Vergleichs bezeichnet Prutz: Im Morgenlande ordnete sich der Einzelne
weit mehr als im Abendlande der Gesamtheit unter. Die wirtschaftliche Kultur
ist ausgezeichnet durch Mannigfaltigkeit, verständige Arbeitsteilung und hohe
Technik. Das geistige Leben entwickelt sich ebenso vielseitig wie tief: unge¬
hindert durch kirchliche Rücksichten führt es zum erstenmale seit dem Untergang
der antiken Welt zu ernstem und erfolgreichem, wirklich wissenschaftlichem
Streben, das der Menschheit neue Gebiete erobert und einen ersten großen
Fortschritt im Leben herbeiführt. Und ein andrer Kenner (G. Diercks) zieht
die Summe: die Araber in ihrem Einfluß auf Europa gleichen der Frllhlings-
sonne, die überall die ersten Keime hervorlockt.*) Für den religiösen Geist ist
es bezeichnend, daß. als Saladin 1192 den christlichen Pilgern den unge¬
hinderten Besuch der heiligen Stätten erlaubte und ihnen sicheres Geleit ge¬
währte, der Erzbischof von Thrns unter Androhung des Bannes verbot, davon
Gebrauch zu machen: denn niemand solle unter dem Geleite der Ungläubigen
nach Jerusalem pilgern.

So lagen die Verhältnisse, als der große Kampf die mannigfachste Be¬
rührung und Wechselwirkung der beiden Kulturen herbeiführte. Und was war
das Resultat? Im Abendlande erlitt das Papsttum, dessen Machtstellung er
vollenden sollte, durch den Mißerfolg eine Erschütterung und Schwächung, von
der es sich nicht wieder erholt hat: die Vereinigung der geistlichen und welt-



Im Abendlande begründete Ludwig IX. von Frankreich in der Sande Chapelle die erste
öffentliche Büchersammlung zur Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen. Die Anregung dazu
hatte er im Morgenlande empfangen, dessen Bildung er staunend bewunderte.
Grenzboten I 1899 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230007"/>
            <fw type="header" place="top"> Islam und Zivilisation</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1290" prev="#ID_1289"> prudenz und Politik wurden in Bagdad schon wissenschaftlich behandelt; die<lb/>
Werke der dortigen Gelehrten zeigen humane und aufgeklärte Anschauungen,<lb/>
die erst in spätern Jahrhunderten in das Abendland gedrungen sind; die Biblio¬<lb/>
thek in Bagdad führte den Namen: Haus der Weisheit. Nach der Eroberung<lb/>
Jerusalems 1187 war eine der ersten Maßregeln Saladins die Errichtung einer<lb/>
Akademie in der heiligen Stadt; ebenso wurde in Accon im Jahre darauf der<lb/>
Palast des Hospitaliterordens zu einer Akademie bestimmt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1291"> Auch in Spanien bezeichnet das zehnte Jahrhundert die höchste Blüte der<lb/>
arabischen Kultur, die Alhambra und die berühmte Bibliothek von Cordova<lb/>
sprechen deutlich von ihrer Höhe. Cordova nennt die christliche Nonne Hros-<lb/>
witha von Gandersheim: die helle Zierde der Welt, die junge herrliche Stadt,<lb/>
stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch die Wonnen, die sie umschließt,<lb/>
strahlend im Vollbesitz aller Dinge. Nebenbei sei hier bemerkt, das; diese<lb/>
Bibliothek auf Befehl des Kardinals Ximenez zur größern Ehre Gottes ver¬<lb/>
brannt wurde, während die Erzählung von der Verbrennung der Bibliothek<lb/>
von Alexandrien durch die Araber als unwahr nachgewiesen ist. Auf arabische<lb/>
Wissenschaft gründeten sich die berühmten Universitäten Italiens. Die Summe<lb/>
des Vergleichs bezeichnet Prutz: Im Morgenlande ordnete sich der Einzelne<lb/>
weit mehr als im Abendlande der Gesamtheit unter. Die wirtschaftliche Kultur<lb/>
ist ausgezeichnet durch Mannigfaltigkeit, verständige Arbeitsteilung und hohe<lb/>
Technik. Das geistige Leben entwickelt sich ebenso vielseitig wie tief: unge¬<lb/>
hindert durch kirchliche Rücksichten führt es zum erstenmale seit dem Untergang<lb/>
der antiken Welt zu ernstem und erfolgreichem, wirklich wissenschaftlichem<lb/>
Streben, das der Menschheit neue Gebiete erobert und einen ersten großen<lb/>
Fortschritt im Leben herbeiführt. Und ein andrer Kenner (G. Diercks) zieht<lb/>
die Summe: die Araber in ihrem Einfluß auf Europa gleichen der Frllhlings-<lb/>
sonne, die überall die ersten Keime hervorlockt.*) Für den religiösen Geist ist<lb/>
es bezeichnend, daß. als Saladin 1192 den christlichen Pilgern den unge¬<lb/>
hinderten Besuch der heiligen Stätten erlaubte und ihnen sicheres Geleit ge¬<lb/>
währte, der Erzbischof von Thrns unter Androhung des Bannes verbot, davon<lb/>
Gebrauch zu machen: denn niemand solle unter dem Geleite der Ungläubigen<lb/>
nach Jerusalem pilgern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> So lagen die Verhältnisse, als der große Kampf die mannigfachste Be¬<lb/>
rührung und Wechselwirkung der beiden Kulturen herbeiführte. Und was war<lb/>
das Resultat? Im Abendlande erlitt das Papsttum, dessen Machtstellung er<lb/>
vollenden sollte, durch den Mißerfolg eine Erschütterung und Schwächung, von<lb/>
der es sich nicht wieder erholt hat: die Vereinigung der geistlichen und welt-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_75" place="foot"> Im Abendlande begründete Ludwig IX. von Frankreich in der Sande Chapelle die erste<lb/>
öffentliche Büchersammlung zur Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen. Die Anregung dazu<lb/>
hatte er im Morgenlande empfangen, dessen Bildung er staunend bewunderte.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1899 40</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] Islam und Zivilisation prudenz und Politik wurden in Bagdad schon wissenschaftlich behandelt; die Werke der dortigen Gelehrten zeigen humane und aufgeklärte Anschauungen, die erst in spätern Jahrhunderten in das Abendland gedrungen sind; die Biblio¬ thek in Bagdad führte den Namen: Haus der Weisheit. Nach der Eroberung Jerusalems 1187 war eine der ersten Maßregeln Saladins die Errichtung einer Akademie in der heiligen Stadt; ebenso wurde in Accon im Jahre darauf der Palast des Hospitaliterordens zu einer Akademie bestimmt. Auch in Spanien bezeichnet das zehnte Jahrhundert die höchste Blüte der arabischen Kultur, die Alhambra und die berühmte Bibliothek von Cordova sprechen deutlich von ihrer Höhe. Cordova nennt die christliche Nonne Hros- witha von Gandersheim: die helle Zierde der Welt, die junge herrliche Stadt, stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch die Wonnen, die sie umschließt, strahlend im Vollbesitz aller Dinge. Nebenbei sei hier bemerkt, das; diese Bibliothek auf Befehl des Kardinals Ximenez zur größern Ehre Gottes ver¬ brannt wurde, während die Erzählung von der Verbrennung der Bibliothek von Alexandrien durch die Araber als unwahr nachgewiesen ist. Auf arabische Wissenschaft gründeten sich die berühmten Universitäten Italiens. Die Summe des Vergleichs bezeichnet Prutz: Im Morgenlande ordnete sich der Einzelne weit mehr als im Abendlande der Gesamtheit unter. Die wirtschaftliche Kultur ist ausgezeichnet durch Mannigfaltigkeit, verständige Arbeitsteilung und hohe Technik. Das geistige Leben entwickelt sich ebenso vielseitig wie tief: unge¬ hindert durch kirchliche Rücksichten führt es zum erstenmale seit dem Untergang der antiken Welt zu ernstem und erfolgreichem, wirklich wissenschaftlichem Streben, das der Menschheit neue Gebiete erobert und einen ersten großen Fortschritt im Leben herbeiführt. Und ein andrer Kenner (G. Diercks) zieht die Summe: die Araber in ihrem Einfluß auf Europa gleichen der Frllhlings- sonne, die überall die ersten Keime hervorlockt.*) Für den religiösen Geist ist es bezeichnend, daß. als Saladin 1192 den christlichen Pilgern den unge¬ hinderten Besuch der heiligen Stätten erlaubte und ihnen sicheres Geleit ge¬ währte, der Erzbischof von Thrns unter Androhung des Bannes verbot, davon Gebrauch zu machen: denn niemand solle unter dem Geleite der Ungläubigen nach Jerusalem pilgern. So lagen die Verhältnisse, als der große Kampf die mannigfachste Be¬ rührung und Wechselwirkung der beiden Kulturen herbeiführte. Und was war das Resultat? Im Abendlande erlitt das Papsttum, dessen Machtstellung er vollenden sollte, durch den Mißerfolg eine Erschütterung und Schwächung, von der es sich nicht wieder erholt hat: die Vereinigung der geistlichen und welt- Im Abendlande begründete Ludwig IX. von Frankreich in der Sande Chapelle die erste öffentliche Büchersammlung zur Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen. Die Anregung dazu hatte er im Morgenlande empfangen, dessen Bildung er staunend bewunderte. Grenzboten I 1899 40

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/321>, abgerufen am 23.07.2024.