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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

Grundsteuer. Byzantinisch war und blieb das Münzwesen. Außerordent¬
liche Ähnlichkeit mit den Einrichtungen des Abendlandes zeigt die Entwick¬
lung des Lehnswesens, sodaß die Franken von der Ähnlichkeit der Ver¬
hältnisse ihrer Heimat mit denen in Syrien überrascht waren. Der Sold
der Truppen, der Gehalt der Beamten wurde aus den Einkünften be¬
stimmter Grundstücke bestritten, die als Entschädigung für die zu leistenden
Dienste überwiesen wurden. Nach dem Koran stammt alles Eigentum von
Gott; der Kauf, sein irdischer Stellvertreter, ist daher der Grundherr, seine
Emire und Beamten gelten als seine Stellvertreter, nur der Nießbrauch wird
denen eingeräumt, die sie bebauen und besitzen. Das Kalifat war viele Menschen¬
alter hindurch der am zweckmüßigsten geordnete und am besten regierte Staat
des frühen Mittelalters. Die sizilianischen Sarazenen waren auch die Lehrmeister
Kaiser Friedrichs II. Erst im verfallenden Kalifat entartete die Verwaltung
und Besteuerung, besonders seit der Despotismus zunahm und unabhängige
Teilstaaten entstanden. Der Handelsverkehr zwischen Christen und Muhamme-
danern war bis zu den Kreuzzügen äußerst lebhaft, obgleich die Kirche heftig
dagegen eiferte. Auch in wirtschaftlicher, künstlerischer und wissenschaftlicher
Beziehung stand die arabische Kultur vor den Kreuzzügen zweifellos über der
christlichen. Von Spanien, von Sizilien und Unteritalien aus machten sich
vielfache Förderungen der Kultur, zumal auf das übrige Italien und auf das
südliche Frankreich geltend. Noch in die Gegenwart reichen die Spuren dieser
Wirkungen in gewissen Industriezweigen, in landwirtschaftlichen Gebräuchen, in
Maschinen zum Wasserschöpfen und zum Bewässern der Felder.

Ganz bedeutende Summen wurden auf die Errichtung milder Stiftungen
und Krankenhäuser, zur Gründung von Bibliotheken, Schulen und wissenschaft¬
lichen Akademien verwandt. Die frommen Stiftungen Nnreddins warfen noch
zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts jährlich die Summe von 120000
Franken ab. Dem Landbau haben die Araber da, wo sich der Anbau lohnte,
eine besondre Sorgfalt zugewandt; ihre Wasserleitungen sind allbekannt und
viel zweckmäßiger angelegt als die römischen. In der Weberei und Färberei,
in Metallarbeiten, namentlich der Goldschmiedekunst, waren sie früh als Meister
anerkannt. Als die Kreuzzüge begannen, war in der Entwicklung der arabischen
Kultur schon ein Stillstand eingetreten, aber noch waren kaum zwei Menschen-
alter vergangen, seit der Orient der Sitz der vollendetsten Kultur gewesen war,
die das Mittelalter gehabt hat. Bagdad war nicht nur die Hauptstadt des
großen Reichs der Abbassiden, sondern der Brennpunkt aller wissenschaftlichen
Bestrebungen. Während in den Klöstern des Abendlandes dürftige Gelehrsam¬
keit ein kümmerliches und unfruchtbares Dasein fristete, vertieften sich die Araber
in das Studium des Aristoteles, trieben im Anschluß an die Griechen Astro¬
nomie und Mathematik, entwickelten die Heilkunde in wissenschaftlichem Geiste
und begannen in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Auch die Juris-


Islam und Zivilisation

Grundsteuer. Byzantinisch war und blieb das Münzwesen. Außerordent¬
liche Ähnlichkeit mit den Einrichtungen des Abendlandes zeigt die Entwick¬
lung des Lehnswesens, sodaß die Franken von der Ähnlichkeit der Ver¬
hältnisse ihrer Heimat mit denen in Syrien überrascht waren. Der Sold
der Truppen, der Gehalt der Beamten wurde aus den Einkünften be¬
stimmter Grundstücke bestritten, die als Entschädigung für die zu leistenden
Dienste überwiesen wurden. Nach dem Koran stammt alles Eigentum von
Gott; der Kauf, sein irdischer Stellvertreter, ist daher der Grundherr, seine
Emire und Beamten gelten als seine Stellvertreter, nur der Nießbrauch wird
denen eingeräumt, die sie bebauen und besitzen. Das Kalifat war viele Menschen¬
alter hindurch der am zweckmüßigsten geordnete und am besten regierte Staat
des frühen Mittelalters. Die sizilianischen Sarazenen waren auch die Lehrmeister
Kaiser Friedrichs II. Erst im verfallenden Kalifat entartete die Verwaltung
und Besteuerung, besonders seit der Despotismus zunahm und unabhängige
Teilstaaten entstanden. Der Handelsverkehr zwischen Christen und Muhamme-
danern war bis zu den Kreuzzügen äußerst lebhaft, obgleich die Kirche heftig
dagegen eiferte. Auch in wirtschaftlicher, künstlerischer und wissenschaftlicher
Beziehung stand die arabische Kultur vor den Kreuzzügen zweifellos über der
christlichen. Von Spanien, von Sizilien und Unteritalien aus machten sich
vielfache Förderungen der Kultur, zumal auf das übrige Italien und auf das
südliche Frankreich geltend. Noch in die Gegenwart reichen die Spuren dieser
Wirkungen in gewissen Industriezweigen, in landwirtschaftlichen Gebräuchen, in
Maschinen zum Wasserschöpfen und zum Bewässern der Felder.

Ganz bedeutende Summen wurden auf die Errichtung milder Stiftungen
und Krankenhäuser, zur Gründung von Bibliotheken, Schulen und wissenschaft¬
lichen Akademien verwandt. Die frommen Stiftungen Nnreddins warfen noch
zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts jährlich die Summe von 120000
Franken ab. Dem Landbau haben die Araber da, wo sich der Anbau lohnte,
eine besondre Sorgfalt zugewandt; ihre Wasserleitungen sind allbekannt und
viel zweckmäßiger angelegt als die römischen. In der Weberei und Färberei,
in Metallarbeiten, namentlich der Goldschmiedekunst, waren sie früh als Meister
anerkannt. Als die Kreuzzüge begannen, war in der Entwicklung der arabischen
Kultur schon ein Stillstand eingetreten, aber noch waren kaum zwei Menschen-
alter vergangen, seit der Orient der Sitz der vollendetsten Kultur gewesen war,
die das Mittelalter gehabt hat. Bagdad war nicht nur die Hauptstadt des
großen Reichs der Abbassiden, sondern der Brennpunkt aller wissenschaftlichen
Bestrebungen. Während in den Klöstern des Abendlandes dürftige Gelehrsam¬
keit ein kümmerliches und unfruchtbares Dasein fristete, vertieften sich die Araber
in das Studium des Aristoteles, trieben im Anschluß an die Griechen Astro¬
nomie und Mathematik, entwickelten die Heilkunde in wissenschaftlichem Geiste
und begannen in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Auch die Juris-


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[0320] Islam und Zivilisation Grundsteuer. Byzantinisch war und blieb das Münzwesen. Außerordent¬ liche Ähnlichkeit mit den Einrichtungen des Abendlandes zeigt die Entwick¬ lung des Lehnswesens, sodaß die Franken von der Ähnlichkeit der Ver¬ hältnisse ihrer Heimat mit denen in Syrien überrascht waren. Der Sold der Truppen, der Gehalt der Beamten wurde aus den Einkünften be¬ stimmter Grundstücke bestritten, die als Entschädigung für die zu leistenden Dienste überwiesen wurden. Nach dem Koran stammt alles Eigentum von Gott; der Kauf, sein irdischer Stellvertreter, ist daher der Grundherr, seine Emire und Beamten gelten als seine Stellvertreter, nur der Nießbrauch wird denen eingeräumt, die sie bebauen und besitzen. Das Kalifat war viele Menschen¬ alter hindurch der am zweckmüßigsten geordnete und am besten regierte Staat des frühen Mittelalters. Die sizilianischen Sarazenen waren auch die Lehrmeister Kaiser Friedrichs II. Erst im verfallenden Kalifat entartete die Verwaltung und Besteuerung, besonders seit der Despotismus zunahm und unabhängige Teilstaaten entstanden. Der Handelsverkehr zwischen Christen und Muhamme- danern war bis zu den Kreuzzügen äußerst lebhaft, obgleich die Kirche heftig dagegen eiferte. Auch in wirtschaftlicher, künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung stand die arabische Kultur vor den Kreuzzügen zweifellos über der christlichen. Von Spanien, von Sizilien und Unteritalien aus machten sich vielfache Förderungen der Kultur, zumal auf das übrige Italien und auf das südliche Frankreich geltend. Noch in die Gegenwart reichen die Spuren dieser Wirkungen in gewissen Industriezweigen, in landwirtschaftlichen Gebräuchen, in Maschinen zum Wasserschöpfen und zum Bewässern der Felder. Ganz bedeutende Summen wurden auf die Errichtung milder Stiftungen und Krankenhäuser, zur Gründung von Bibliotheken, Schulen und wissenschaft¬ lichen Akademien verwandt. Die frommen Stiftungen Nnreddins warfen noch zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts jährlich die Summe von 120000 Franken ab. Dem Landbau haben die Araber da, wo sich der Anbau lohnte, eine besondre Sorgfalt zugewandt; ihre Wasserleitungen sind allbekannt und viel zweckmäßiger angelegt als die römischen. In der Weberei und Färberei, in Metallarbeiten, namentlich der Goldschmiedekunst, waren sie früh als Meister anerkannt. Als die Kreuzzüge begannen, war in der Entwicklung der arabischen Kultur schon ein Stillstand eingetreten, aber noch waren kaum zwei Menschen- alter vergangen, seit der Orient der Sitz der vollendetsten Kultur gewesen war, die das Mittelalter gehabt hat. Bagdad war nicht nur die Hauptstadt des großen Reichs der Abbassiden, sondern der Brennpunkt aller wissenschaftlichen Bestrebungen. Während in den Klöstern des Abendlandes dürftige Gelehrsam¬ keit ein kümmerliches und unfruchtbares Dasein fristete, vertieften sich die Araber in das Studium des Aristoteles, trieben im Anschluß an die Griechen Astro¬ nomie und Mathematik, entwickelten die Heilkunde in wissenschaftlichem Geiste und begannen in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Auch die Juris-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/320>, abgerufen am 23.07.2024.