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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

Zeit ist darauf zurückzuführen. Auch der Bilderstreit, der die morgenlündische
christliche Kirche ein Jahrhundert lang auf das tiefste bewegte, scheint aus diesen
Anregungen hervorgegangen zu sein und hat wahrscheinlich eine Vereinigung der
beiden Religionen zum Zweck gehabt. Die Duldung, die die Anhänger des
Propheten den Christen gewährten, und die Verwandtschaft der Lehre führten
viele Christen zur Annahme des Islam. Eine ganz irrige Vorstellung ist die,
daß sich der Islam allein auf dem Wege blutiger Eroberung so schnell über
die Welt verbreitet habe. Das griechische Reich war beim Auftreten des Mu-
hammedanismus schon in Verfall und Entartung. Seine Unterthanen unter¬
lagen zu Gunsten des Militärs, der Beamten, des Hofes und der Hauptstadt
einem entsetzlichen Steuerdruck; religiöse Sektierer wurden mit großer Härte
unterdrückt und verfolgt. So kam es, daß die Errichtung der muhammedanischen
Herrschaft meist als Erleichterung empfunden und dankbar begrüßt wurde. Die
arabische Herrschaft wurde der griechischen nicht selten geradezu vorgezogen,
ganze Provinzen drängten sich zu dem Wechsel der Herrschaft, dem häufig
genug die Annahme der neuen Religion folgte.

Gewiß kann die religiöse Leidenschaft auch bei den Muhammedanern nicht
geleugnet werden, denn Begeisterung wird nur allzuleicht zur Leidenschaft; alle
Eroberungszüge der Araber sind glühender religiöser Begeisterung entsprungen.
Aber man kann daraus den Bekennern des Islam gewiß keinen schwerern Vorwurf
machen, als denen andrer Religionen, und zumal katholische über Fanatismus
und Unduldsamkeit klagende Schriftsteller erinnern nur an die über Aufruhr
schreienden Gracchen. Wohl keine Religion hat so viel Blut vergossen und Grau¬
samkeiten verübt wie das Christentum, man denke an die Sachsenkriege Karls
des Großen und an den Kampf gegen die Slawen und Preußen in den deutschen
Ostmarken; man denke an Spanien und die Niederlande,*) an die Albigenser
und die Hugenotten. In Beziehung auf die Toleranz der jüdischen Religion sehe
man Jeremias 48, 10. In dem Kampf der beiden Religionen um die Welt¬
herrschaft eilten tausende und aber tausende von Muhammedanern und Christen
mit gleicher Freudigkeit im Namen Gottes in den Tod. Die großen und guten
Thaten, zu denen der Islam seine Gläubigen begeistert hat, legen Zeugnis ab,
daß auch diese Religion geeignet war, in den Seelen ihrer Bekenner die edelsten
Kräfte zu entfesseln, die Menschen von kleinlicher Selbstsucht zu befreien und
im Dienst einer großen Idee über sich selbst zu erhebeu. Das muhammedanische
Kriegsrecht war dem besiegten Feinde gegenüber menschlich und gerecht. Das
gegebne Wort soll auch dem Ungläubigen gegenüber gehalten, und im Kampfe
selbst sollen keine betrügerischen Mittel angewandt werden. Die Instruktion,



") In den Niederlanden wurden allein unter Karl V. nach Sarpi 50000, nach Grotius
100 N00 Menschen ihrer Religion halber hingerichtet, in Spanien durch die Inquisition 31000
verbrannt, 290000 anders bestraft.
Islam und Zivilisation

Zeit ist darauf zurückzuführen. Auch der Bilderstreit, der die morgenlündische
christliche Kirche ein Jahrhundert lang auf das tiefste bewegte, scheint aus diesen
Anregungen hervorgegangen zu sein und hat wahrscheinlich eine Vereinigung der
beiden Religionen zum Zweck gehabt. Die Duldung, die die Anhänger des
Propheten den Christen gewährten, und die Verwandtschaft der Lehre führten
viele Christen zur Annahme des Islam. Eine ganz irrige Vorstellung ist die,
daß sich der Islam allein auf dem Wege blutiger Eroberung so schnell über
die Welt verbreitet habe. Das griechische Reich war beim Auftreten des Mu-
hammedanismus schon in Verfall und Entartung. Seine Unterthanen unter¬
lagen zu Gunsten des Militärs, der Beamten, des Hofes und der Hauptstadt
einem entsetzlichen Steuerdruck; religiöse Sektierer wurden mit großer Härte
unterdrückt und verfolgt. So kam es, daß die Errichtung der muhammedanischen
Herrschaft meist als Erleichterung empfunden und dankbar begrüßt wurde. Die
arabische Herrschaft wurde der griechischen nicht selten geradezu vorgezogen,
ganze Provinzen drängten sich zu dem Wechsel der Herrschaft, dem häufig
genug die Annahme der neuen Religion folgte.

Gewiß kann die religiöse Leidenschaft auch bei den Muhammedanern nicht
geleugnet werden, denn Begeisterung wird nur allzuleicht zur Leidenschaft; alle
Eroberungszüge der Araber sind glühender religiöser Begeisterung entsprungen.
Aber man kann daraus den Bekennern des Islam gewiß keinen schwerern Vorwurf
machen, als denen andrer Religionen, und zumal katholische über Fanatismus
und Unduldsamkeit klagende Schriftsteller erinnern nur an die über Aufruhr
schreienden Gracchen. Wohl keine Religion hat so viel Blut vergossen und Grau¬
samkeiten verübt wie das Christentum, man denke an die Sachsenkriege Karls
des Großen und an den Kampf gegen die Slawen und Preußen in den deutschen
Ostmarken; man denke an Spanien und die Niederlande,*) an die Albigenser
und die Hugenotten. In Beziehung auf die Toleranz der jüdischen Religion sehe
man Jeremias 48, 10. In dem Kampf der beiden Religionen um die Welt¬
herrschaft eilten tausende und aber tausende von Muhammedanern und Christen
mit gleicher Freudigkeit im Namen Gottes in den Tod. Die großen und guten
Thaten, zu denen der Islam seine Gläubigen begeistert hat, legen Zeugnis ab,
daß auch diese Religion geeignet war, in den Seelen ihrer Bekenner die edelsten
Kräfte zu entfesseln, die Menschen von kleinlicher Selbstsucht zu befreien und
im Dienst einer großen Idee über sich selbst zu erhebeu. Das muhammedanische
Kriegsrecht war dem besiegten Feinde gegenüber menschlich und gerecht. Das
gegebne Wort soll auch dem Ungläubigen gegenüber gehalten, und im Kampfe
selbst sollen keine betrügerischen Mittel angewandt werden. Die Instruktion,



") In den Niederlanden wurden allein unter Karl V. nach Sarpi 50000, nach Grotius
100 N00 Menschen ihrer Religion halber hingerichtet, in Spanien durch die Inquisition 31000
verbrannt, 290000 anders bestraft.
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[0318] Islam und Zivilisation Zeit ist darauf zurückzuführen. Auch der Bilderstreit, der die morgenlündische christliche Kirche ein Jahrhundert lang auf das tiefste bewegte, scheint aus diesen Anregungen hervorgegangen zu sein und hat wahrscheinlich eine Vereinigung der beiden Religionen zum Zweck gehabt. Die Duldung, die die Anhänger des Propheten den Christen gewährten, und die Verwandtschaft der Lehre führten viele Christen zur Annahme des Islam. Eine ganz irrige Vorstellung ist die, daß sich der Islam allein auf dem Wege blutiger Eroberung so schnell über die Welt verbreitet habe. Das griechische Reich war beim Auftreten des Mu- hammedanismus schon in Verfall und Entartung. Seine Unterthanen unter¬ lagen zu Gunsten des Militärs, der Beamten, des Hofes und der Hauptstadt einem entsetzlichen Steuerdruck; religiöse Sektierer wurden mit großer Härte unterdrückt und verfolgt. So kam es, daß die Errichtung der muhammedanischen Herrschaft meist als Erleichterung empfunden und dankbar begrüßt wurde. Die arabische Herrschaft wurde der griechischen nicht selten geradezu vorgezogen, ganze Provinzen drängten sich zu dem Wechsel der Herrschaft, dem häufig genug die Annahme der neuen Religion folgte. Gewiß kann die religiöse Leidenschaft auch bei den Muhammedanern nicht geleugnet werden, denn Begeisterung wird nur allzuleicht zur Leidenschaft; alle Eroberungszüge der Araber sind glühender religiöser Begeisterung entsprungen. Aber man kann daraus den Bekennern des Islam gewiß keinen schwerern Vorwurf machen, als denen andrer Religionen, und zumal katholische über Fanatismus und Unduldsamkeit klagende Schriftsteller erinnern nur an die über Aufruhr schreienden Gracchen. Wohl keine Religion hat so viel Blut vergossen und Grau¬ samkeiten verübt wie das Christentum, man denke an die Sachsenkriege Karls des Großen und an den Kampf gegen die Slawen und Preußen in den deutschen Ostmarken; man denke an Spanien und die Niederlande,*) an die Albigenser und die Hugenotten. In Beziehung auf die Toleranz der jüdischen Religion sehe man Jeremias 48, 10. In dem Kampf der beiden Religionen um die Welt¬ herrschaft eilten tausende und aber tausende von Muhammedanern und Christen mit gleicher Freudigkeit im Namen Gottes in den Tod. Die großen und guten Thaten, zu denen der Islam seine Gläubigen begeistert hat, legen Zeugnis ab, daß auch diese Religion geeignet war, in den Seelen ihrer Bekenner die edelsten Kräfte zu entfesseln, die Menschen von kleinlicher Selbstsucht zu befreien und im Dienst einer großen Idee über sich selbst zu erhebeu. Das muhammedanische Kriegsrecht war dem besiegten Feinde gegenüber menschlich und gerecht. Das gegebne Wort soll auch dem Ungläubigen gegenüber gehalten, und im Kampfe selbst sollen keine betrügerischen Mittel angewandt werden. Die Instruktion, ") In den Niederlanden wurden allein unter Karl V. nach Sarpi 50000, nach Grotius 100 N00 Menschen ihrer Religion halber hingerichtet, in Spanien durch die Inquisition 31000 verbrannt, 290000 anders bestraft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/318>, abgerufen am 23.07.2024.