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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

erste große nationale Arbeitsteilung; wieder ein halbes Jahrhundert später ver¬
vollständigt der Stadtbürger in dem Beruf als Kaufmann oder Handwerker
die ursprüngliche ständische Gliederung. Hierarchischer Gehorsam und Askese
beherrschen die Geister bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. Diesem Zu¬
stande gegenüber erscheint die Kultur des muhammedanischen Orients und des
maurischen Spaniens um das Jahr 1000 als viel höher. Die Völker des
Islam stehen zu dieser Zeit noch an der Spitze der Zivilisation: noch der Ge¬
schichtschreiber des Kreuzzuges von Richard Löwenherz bewundert die kriegerischen
Tugenden der Muhammedaner; er nennt diese reich an jeder Art von Tüchtigkeit
und meint, sie entbehrten nur des wahren Glaubens, um das erste Volk der
Welt zu sein. In der Religion lag damals also keinesfalls ein feindseliger
Gegensatz zur Kultur, und so entsteht die Frage: Woher stammte die frühe
Blüte, und wie kam es, daß sich das Verhältnis von Morgenland und Abend¬
land später völlig umkehrte?

Bei der Schilderung der arabischen Kultur folgen wir im wesentlichen
der Kulturgeschichte der Kreuzzüge von Prutz. Die Lehre Muhammeds ist vor
allen Dingen reiner Monotheismus und nur darin völlig originell, daß sie allein
von allen Religionen ursprünglich kein Wunder kennt. Dogmatisch ist der Islam
in der Hauptsache eine Mischung jüdischer und christlicher Lehren; namentlich
zeigt er eine große Verwandtschaft mit dem christlichen Arianismus. Peter,
der Abt von Cluny, bekennt in einem Briefe an Bernhard von Clairvaux, er
wisse nicht, ob er den Islam als eine christliche Häresie oder einen Götzendienst
bezeichnen solle, und giebt zu, daß er viel Wahres enthalte. Noch Dante faßt
Muhammed auf als den Urheber eines Schisma in der Christenheit und den
Islam als eine orientalische Sekte. Als der Arianismus im Abendlande dem
Bunde des römischen Bischofs mit den katholischen Franken erlag, erhob er
sich in morgenländischer Färbung unter der Fahne Muhammeds in verjüngter
Gestalt und eroberte in raschem Siegeszuge die halbe Welt.*) Merkwürdiger¬
weise ist von katholischen Heißspornen die Reformation häufig als eine Tochter
Muhammeds bezeichnet, die Prädestinationslehre mit dem Fatalismus, die
Bilderfeindlichkeit der Protestanten mit der des Islam verglichen worden.
Gegen Christentum und Judentum stellte sich der Muhammedanismus ver¬
söhnlich, auch Christus und Moses waren ihm wahre Propheten; gegen den
Polytheismus und den Pantheismus führte er überall einen Vernichtungskrieg.
In Damaskus, dem Sitze der Ommaijadischen Kalifen von 661 bis 750, blühte
gleichzeitig eine islamitische und eine christliche Theologenschule; die Verwandt¬
schaft mehrerer der zahlreiche" muhammedanischen und christlichen Sekten dieser



Alle andern bedeutenden germanischen Völker waren Arianer, so die Goten, Bur¬
gunder, Vandalen, Sueven und Langobarden, Die Parteinahme Chlodwigs und Justininns
entschied gegen den Arianismus.
Islam und Zivilisation

erste große nationale Arbeitsteilung; wieder ein halbes Jahrhundert später ver¬
vollständigt der Stadtbürger in dem Beruf als Kaufmann oder Handwerker
die ursprüngliche ständische Gliederung. Hierarchischer Gehorsam und Askese
beherrschen die Geister bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. Diesem Zu¬
stande gegenüber erscheint die Kultur des muhammedanischen Orients und des
maurischen Spaniens um das Jahr 1000 als viel höher. Die Völker des
Islam stehen zu dieser Zeit noch an der Spitze der Zivilisation: noch der Ge¬
schichtschreiber des Kreuzzuges von Richard Löwenherz bewundert die kriegerischen
Tugenden der Muhammedaner; er nennt diese reich an jeder Art von Tüchtigkeit
und meint, sie entbehrten nur des wahren Glaubens, um das erste Volk der
Welt zu sein. In der Religion lag damals also keinesfalls ein feindseliger
Gegensatz zur Kultur, und so entsteht die Frage: Woher stammte die frühe
Blüte, und wie kam es, daß sich das Verhältnis von Morgenland und Abend¬
land später völlig umkehrte?

Bei der Schilderung der arabischen Kultur folgen wir im wesentlichen
der Kulturgeschichte der Kreuzzüge von Prutz. Die Lehre Muhammeds ist vor
allen Dingen reiner Monotheismus und nur darin völlig originell, daß sie allein
von allen Religionen ursprünglich kein Wunder kennt. Dogmatisch ist der Islam
in der Hauptsache eine Mischung jüdischer und christlicher Lehren; namentlich
zeigt er eine große Verwandtschaft mit dem christlichen Arianismus. Peter,
der Abt von Cluny, bekennt in einem Briefe an Bernhard von Clairvaux, er
wisse nicht, ob er den Islam als eine christliche Häresie oder einen Götzendienst
bezeichnen solle, und giebt zu, daß er viel Wahres enthalte. Noch Dante faßt
Muhammed auf als den Urheber eines Schisma in der Christenheit und den
Islam als eine orientalische Sekte. Als der Arianismus im Abendlande dem
Bunde des römischen Bischofs mit den katholischen Franken erlag, erhob er
sich in morgenländischer Färbung unter der Fahne Muhammeds in verjüngter
Gestalt und eroberte in raschem Siegeszuge die halbe Welt.*) Merkwürdiger¬
weise ist von katholischen Heißspornen die Reformation häufig als eine Tochter
Muhammeds bezeichnet, die Prädestinationslehre mit dem Fatalismus, die
Bilderfeindlichkeit der Protestanten mit der des Islam verglichen worden.
Gegen Christentum und Judentum stellte sich der Muhammedanismus ver¬
söhnlich, auch Christus und Moses waren ihm wahre Propheten; gegen den
Polytheismus und den Pantheismus führte er überall einen Vernichtungskrieg.
In Damaskus, dem Sitze der Ommaijadischen Kalifen von 661 bis 750, blühte
gleichzeitig eine islamitische und eine christliche Theologenschule; die Verwandt¬
schaft mehrerer der zahlreiche» muhammedanischen und christlichen Sekten dieser



Alle andern bedeutenden germanischen Völker waren Arianer, so die Goten, Bur¬
gunder, Vandalen, Sueven und Langobarden, Die Parteinahme Chlodwigs und Justininns
entschied gegen den Arianismus.
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[0317] Islam und Zivilisation erste große nationale Arbeitsteilung; wieder ein halbes Jahrhundert später ver¬ vollständigt der Stadtbürger in dem Beruf als Kaufmann oder Handwerker die ursprüngliche ständische Gliederung. Hierarchischer Gehorsam und Askese beherrschen die Geister bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. Diesem Zu¬ stande gegenüber erscheint die Kultur des muhammedanischen Orients und des maurischen Spaniens um das Jahr 1000 als viel höher. Die Völker des Islam stehen zu dieser Zeit noch an der Spitze der Zivilisation: noch der Ge¬ schichtschreiber des Kreuzzuges von Richard Löwenherz bewundert die kriegerischen Tugenden der Muhammedaner; er nennt diese reich an jeder Art von Tüchtigkeit und meint, sie entbehrten nur des wahren Glaubens, um das erste Volk der Welt zu sein. In der Religion lag damals also keinesfalls ein feindseliger Gegensatz zur Kultur, und so entsteht die Frage: Woher stammte die frühe Blüte, und wie kam es, daß sich das Verhältnis von Morgenland und Abend¬ land später völlig umkehrte? Bei der Schilderung der arabischen Kultur folgen wir im wesentlichen der Kulturgeschichte der Kreuzzüge von Prutz. Die Lehre Muhammeds ist vor allen Dingen reiner Monotheismus und nur darin völlig originell, daß sie allein von allen Religionen ursprünglich kein Wunder kennt. Dogmatisch ist der Islam in der Hauptsache eine Mischung jüdischer und christlicher Lehren; namentlich zeigt er eine große Verwandtschaft mit dem christlichen Arianismus. Peter, der Abt von Cluny, bekennt in einem Briefe an Bernhard von Clairvaux, er wisse nicht, ob er den Islam als eine christliche Häresie oder einen Götzendienst bezeichnen solle, und giebt zu, daß er viel Wahres enthalte. Noch Dante faßt Muhammed auf als den Urheber eines Schisma in der Christenheit und den Islam als eine orientalische Sekte. Als der Arianismus im Abendlande dem Bunde des römischen Bischofs mit den katholischen Franken erlag, erhob er sich in morgenländischer Färbung unter der Fahne Muhammeds in verjüngter Gestalt und eroberte in raschem Siegeszuge die halbe Welt.*) Merkwürdiger¬ weise ist von katholischen Heißspornen die Reformation häufig als eine Tochter Muhammeds bezeichnet, die Prädestinationslehre mit dem Fatalismus, die Bilderfeindlichkeit der Protestanten mit der des Islam verglichen worden. Gegen Christentum und Judentum stellte sich der Muhammedanismus ver¬ söhnlich, auch Christus und Moses waren ihm wahre Propheten; gegen den Polytheismus und den Pantheismus führte er überall einen Vernichtungskrieg. In Damaskus, dem Sitze der Ommaijadischen Kalifen von 661 bis 750, blühte gleichzeitig eine islamitische und eine christliche Theologenschule; die Verwandt¬ schaft mehrerer der zahlreiche» muhammedanischen und christlichen Sekten dieser Alle andern bedeutenden germanischen Völker waren Arianer, so die Goten, Bur¬ gunder, Vandalen, Sueven und Langobarden, Die Parteinahme Chlodwigs und Justininns entschied gegen den Arianismus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/317>, abgerufen am 23.07.2024.